Danach, gegenwärtig, Gegenwart
Manchmal braucht man eine Pause vom Denken. Nachdem ich mir heute schon drei Mal den Kopf zerbrochen habe, ohne eine neue Erkenntnis bekommen zu haben, übe ich mich jetzt in Meditation. Ich achte nur auf meinen Atem und starre dabei Löcher in die Luft. Na gut, vielleicht schummle ich ein bisschen und denke trotzdem weiter nach. Der Albtraum in meiner ersten Nacht hier im Krankenhaus war der einzige Moment, in dem ich mich an etwas von der Unfallnacht erinnern konnte. Der Rest liegt immer noch verborgen und verschlossen in einem Bereich meines Gedächtnisses. Weder die Ärzte noch meine Mutter haben mir irgendetwas erzählt. Ich konnte nur bei meiner Mutter zwischen den Zeilen lesen, dass der Unfall schrecklich war. Keine neuen Informationen. Keine neuen Erinnerungen. Und keine neuen Erkenntnisse. Mir bleibt also wirklich nichts anders übrig als zu meditieren. Denn selbst ein Buch zu lesen könnte meinen Kopf zu sehr anstrengen. Das leise und nach vier Tagen vertraute Klicken der Tür zieht meine Aufmerksamkeit an sich. Langsam bewege ich meinen Kopf in Richtung Tür. Eine zu schnelle Bewegung könnte die Kopfschmerzen zurückholen. Eine hochgewachsene Ärztin im weißen Kittel und meine Mutter betreten das Zimmer. Ein schlechtes Omen?
„Wie schön, dass du wach bist, Julie", sagt die Ärztin sanft und wirft einen prüfenden Blick auf ihr Klemmbrett.
Während meine Mutter sich zu mir setzt, bleibt sie am Fußende meines Bettes stehen. Sie streicht ihre braunen Haare zurück und schaut mich dann mit einer freundlichen Miene an. Dann wirft sie erneut einen Blick auf das Klemmbrett, als würde sie das, was dort steht, auswendig lernen wollen.
„Ich bin Frau Diana Friedmann", stellt sie sich vor. „Du hast dich bestimmt schon gefragt, was mit dir los ist. Die Kopfschmerzen. Die Müdigkeit. Und dein eingeschränktes Erinnerungsvermögen."
Ich nicke, bin mir aber nicht ganz sicher, ob eine Antwort erforderlich ist und werfe meiner Mutter einen flüchtigen Blick zu. Wahrscheinlich kennt sie meine Diagnose schon und ist nur dabei, um mich emotional zu unterstützen. Na dann kann ja nichts schiefgehen, oder?
„Du hast ein schweres Schädelhirntrauma. Bei deiner MRT-Untersuchung konnten wir kleine Blutungen in deinem Gehirn feststellen. Das alles ist nichts Lebensbedrohliches, aber dennoch müssen wir dich zur Beobachtung noch ein paar Tage dabehalten."
Wieder wirft sie einen Blick auf die Papiere.
„Ja genau. Außerdem haben sich bei dem Unfall kleine Glassplitter in deinen rechten Arm gebohrt, diese konnten wir aber ohne Probleme entfernen. Vielleicht bleibt die ein oder andere Narbe zurück. Wir wissen leider noch nicht, wann und ob du deine Erinnerungen an den Unfall zurückbekommen wirst, da ihr Verlust nur zum Teil neurologische Gründe hat. Es wäre in jedem Falle eine gute Idee eine Traumatherapie zu machen, um das Geschehene zu verarbeiten und vielleicht so auch an deine verlorenen Erinnerungen zu kommen."
Neurologische Grüne? Traumatherapie? Ich verstehe alles, was sie gesagt hat und zugleich nichts. Als würde mein Kopf diese Diagnose nicht aufnehmen können oder wollen. Dennoch kann ich das wichtigste aus dem Gesagten heraushören. Irgendwann werde ich mich erinnern können. Ich werde wissen, wieso ich in den Unfall verwickelt war und wer noch betroffen ist.
„Hast du alles verstanden, mein Schatz? Du schaust nämlich wie ein begossener Pudel", sagt meine Mutter.
Ich schüttle kurz meinenKopf und damit meine Gedanken ab, bevor ich bestätige, dass ich allesverstanden habe. Frau Friedman verabschiedet sich und geht, hinterlässt abereine Stille, in der meine Gedanken sofort wieder beginnen fahrt aufzunehmen.Wer war noch betroffen? Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht.Eigentlich hätte mir klar sein müssen, dass ich ganz sicher nicht das Auto gefahrenhabe. Nur wer war dann der Autofahrer oder die Autofahrerin?
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may i love him
Teen FictionIn Julies Augen sind alle Jungs gleich, und zwar gleich schrecklich. Doch als sie die Schule wechselt und am ersten Schultag dem norwegischen Austauschschüler Finley über den Weg läuft, ändert sich einiges. Sie beginnt ihre Abneigung gegenüber Jungs...