Davor, zuvor, Vergangenheit
Wir stehen mehrere Minuten eng umschlungen unter dem Laubbaum bis sich der Regen endlich in ein sanftes Nieseln verwandelt hat und wir uns auf den Weg Richtung nach Hause machen können.
Ein paar Augenblicke zuvor hatte Finley seinen Kopf noch auf meinen gelegt und angefangen kleine Geschichten zu erzählen. Sie waren nicht besonders lang, aber seine ruhige gleichmäßige Art zu sprechen gepaart mit dem norwegischen Singsang, haben mir das Gefühl von Geborgenheit gegeben.
Jetzt ist von dieser Geborgenheit nicht mehr viel übrig. Wir stolpern über nasse Steine und morsche Äste immer darauf bedacht nicht hinzufallen und gleichzeitig nicht die Richtung zu verlieren. Heute hatte ich definitiv schon genug Abenteuer und brauche nicht noch eine Verirrung, geschweige denn eine Platzwunde, weil einer von uns doof stolpert. Doch die Strecke ist kürzer als erwartet und ich kann schon in wenigen Metern Entfernung den silbernen VW Golf von Finleys Gastmutter durch die Bäume blitzen sehen.
„Habt ihr beiden den Wetterbericht heute Morgen denn nicht gelesen?"
Davids Mutter ist eine kleine Frau mit weichem freundlichem Gesicht und ebenso weichen Körperproportionen. Kurz eine richtige herzliche Mama zum Liebhaben. Sie schaut uns aus fürsorglichen Augen an und öffnet rasch den Kofferraum, in dem wir unsere nassen Rucksäcke unterbringen, bevor wir in das kleine Auto einsteigen.
„Du bist also die sagenumwobene Julie", stellt Frau Acuna fest und mustert mich durch den Rückspiegel mit einem warmen Lächeln, das sich in ein Lachen verwandelt als ich Finley einen kurzen unsicheren Blick zu werfe. Er hat ihr von mir erzählt? Was er wohl alles gesagt hat? Doch dieser zuckt nur mit den Schultern und ein feines Grinsen legt sich auf seine Lippen. Aus dem werde ich wohl nichts rauskriegen.
„Keine Sorge, Schätzchen. Er hat nur Gutes über dich berichtet. Ich wusste gar nicht, dass der Junge so viele Adjektive kennt, die eigentlich nur eines aussagen. Ich mag dieses Mädchen echt gern."
Sein Grinsen kippt und Davids Mutter verfällt von neuem in ein Lachen, während sie den Wagen geschickt durch die bergige Landschaft lenkt.
Spricht Finley wirklich so viel über mich? Oder übertreibt seine Gastmutter einfach etwas? Eltern übertreiben bei sowas ja häufiger. Ich sollte dem also wahrscheinlich nicht allzu viel Bedeutung zuschreiben. Andererseits erwärmt mir der Gedanke, dass Finley seiner Gastmutter so viel anvertraut, das Herz. Natürlich kommt auch noch der Umstand hinzu, dass er ihr anvertraut hat, dass er mich mag.
Finley mag mich. Diese Feststellung bewegt etwas in mir. Etwas, dass sich immer bewegt, wenn Finley mich mit seinem Blick ansieht, er mir zuhört oder mich in den Arm nimmt. Es ist etwas. Ein Gefühl, das mich süchtig macht. Es ist diese Mischung aus der uneingeschränkten Aufmerksamkeit, dem wohlwollenden Ausdruck in seinen Augen und einfach allem. Einfach Finley. Eigentlich kann man das Gefühl nicht ausreichend beschreiben. Man kann Finley nicht ausreichend beschreiben.
Die Fahrt verläuft einigermaßen ereignislos. Hier und da macht Frau Acuna noch ein paar Kommentare, um Finley ein bisschen auf den Arm zu nehmen, aber als das nach wenigen Minuten langweilig wird, da Finley nach den ersten Kommentaren schon ein Lächeln ausfetzte, dass sich auch durch die neckischste Bemerkung nicht regt, geht sie über zu den Fragen. Und ich beantwortete ihr jede einzelne so gut wie möglich.
Die einzige Frage, die ich mir die ganze Zeit über stelle, ist – wie konnte David nur so ein Mistkerl werden? Seine Mutter scheint ein Engel zu sein, aber vielleicht ist ja gerade das das Problem. Vielleicht wurde er zu sehr verwöhnt und denkt jetzt, dass er sich alles rausnehmen kann. Aber vielleicht sollte ich auch einfach aufhören mir Gedanken über David zu machen und lieber im Hier und Jetzt sein. Denn Frau Acuna parkt gerade geschickt in eine enge Parklücke vor einer Reihe Einfamilienhäuser ein. Keine Reihenhäuser. Nein, sie stehen alle für sich und sind auch nicht sehr groß. Süße separat stehende Einfamilienhäuser.
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may i love him
Teen FictionIn Julies Augen sind alle Jungs gleich, und zwar gleich schrecklich. Doch als sie die Schule wechselt und am ersten Schultag dem norwegischen Austauschschüler Finley über den Weg läuft, ändert sich einiges. Sie beginnt ihre Abneigung gegenüber Jungs...