Mein Kopf liegt an Finleys warmer Brust. Nachdem ich nicht reagiert habe als Evan, Finley und Frieda mit mir reden wollten, haben sie beschlossen, dass Finley mich nach Hause bringen soll. Und jetzt steht Finley mit mir in den Armen vor meiner Haustür. Die kleine Lampe, die im Hauseingang hängt, verbreitet ihr spärliches Licht und doch haben Motten und andere Insekten zu ihr gefunden.
„Hast du einen Schlüssel, Julie?"
Finley schaut abwartend zu mir runter. Ich kann nicht genau sagen, ob er mir die Frage zum ersten oder zum fünften Mal stellt. Dennoch nicke ich und rekle mich etwas, um ihm verstehen zu geben, dass er mich jetzt runterlassen kann. Das tut er auch und ich beginne in meiner kleinen Handtasche nach dem Schlüsseln zu suchen. Nur lässt sich dieses verdammte Ding nicht finden. Die Tasche ist zwar klein, aber irgendwie... Ich seufze genervt auf und mir ist zum Heulen zumute. Wieso kann nicht einmal mehr das klappen?
„Alles okay?"
Wieder dieser abwartende Blick, aber dieses Mal liegt eindeutig mehr Besorgnis darin.
„Ich... Es ist nur... Dieser Schlüssel lässt sich nicht finden!"
„Darf ich?"
Finley streckt mir seine Handfläche entgegen. Er möchte mir nur helfen, aber der Umstand, dass ich nicht einmal mehr in der Lage bin einen Schlüssel in meiner eigenen Handtasche zu finden, treibt mir beinahe die Tränen in die Augen. Widerwillig gebe ich sie ihm und verschränke meine Arme vor der Brust. In dieser kleinen Tasche sind neben einem Lippenstift, meinem Handy und einem kleinen Büchlein außerdem noch ein paar Tampons. Aber Finley scheint sich davon nicht beirren zu lassen. Er durchsucht die Handtasche geschickt und nicht einmal mehr eine Minute später hat er den Schlüssel auch schon in der Hand.
„Danke", sage ich knapp und nehme ihm den Schlüssel wie auch die Handtasche wieder ab.
„Du kannst jetzt gehen, Finley. Danke, dass du mich nach Hause gebracht hast."
Die Worte kommen härter als geplant aus meinem Mund und ich sehe wie ein verletzter Ausdruck über Finleys Gesicht huscht.
„Nein. Ich lasse dich in diesem Zustand nicht allein, Julie."
Ich stecke den Schlüssel ins Schloss und drehe ihn um. Es ertönt ein kurzes Klicken und dann springt die Tür auf.
„Welcher Zustand?"
Ich mache einen Schritt ins Treppenhaus und das Licht geht an. Finley steht immer noch hinter mir. Doch ich wage es nicht mich umzudrehen. Ich möchte einfach nur allein sein. Wieso kann er das nicht verstehen?
„Kann ich dich wenigstens noch bis zu deinem Zimmer begleiten?", fragt er und seine Stimme klingt dunkel vor Enttäuschung. „Ich verspreche dir, danach verschwinde ich sofort."
Meine Schultern verkrampfen sich leicht, bevor ich nicke.
„Das sollte okay sein."
Hinter mir erklingt ein erleichtertes Seufzen und kurz darauf spüre ich eine sanfte Berührung an meinem Oberarm. Als hätte er größte Angst mich zu zerbrechen.
Schweigend treten wir den Weg zu meiner Wohnung an. Keiner von uns bringt ein Wort über die Lippen. Irgendetwas stimmt mit der Luft nicht, denn sie ist viel zu dick zum Atmen.
Die Wohnungstür bekommen wir nur mit vereinten Kräften auf. Ich sollte wirklich dringend den Hausmeister anrufen, ansonsten sind wir wohl bald in unserer Wohnung eingesperrt oder aus unserer Wohnung ausgesperrt. Für einen kurzen Moment scheint sich die Stimmung aufzulockern. Als Finley gerade noch einen Arm um meine Hüfte schlingt, bevor ich in die Wohnung stürzen kann, legt sich ein kleines Grinsen auf seine Lippen. Aber mir ist nicht danach zumute diese Geste zu erwidern und so legt sich wieder diese schwere Stille über uns. Bis wir meine Zimmertür erreichen. Ich drehe mich zu Finley um. Er beobachtet mich genau, analysiert jede noch so kleine Regung meines Gesichts. Ich muss ein Seufzen unterdrücken. Was auch immer er erhofft aus meiner Miene zu lesen, wird ihn leider nicht weiterbringen. Denn ich habe doch selbst keine Ahnung, was ich empfinde. Da ist nur diese Taubheit, die meinen ganzen Körper einzunehmen droht. Und ein Wunsch. Der Wunsch Finley nicht zu verletzen.
„Danke nochmal, Finley. Für alles."
Es scheint als würde sich die Szene vor der Haustür wiederholen. Denn auch jetzt möchte ich Finley wegschicken, möchte allein sein.
„Ruf mich an, wenn du reden möchtest."
Er hat begriffen und ich bin ihm unendlich dankbar dafür.
Ohne etwas zu sagen, drücke ich die Klinke runter und verschwinde in meinem Zimmer. Um Finley brauche ich mir keine Gedanken zu machen, er findet seinen Weg. Aber mir graut es vor der Welle an Gefühlen, die über mir ein brechen wird, sobald ich allein bin und die Taubheit sich langsam aber sicher wieder dorthin zurückzieht, wo sie war.
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may i love him
Teen FictionIn Julies Augen sind alle Jungs gleich, und zwar gleich schrecklich. Doch als sie die Schule wechselt und am ersten Schultag dem norwegischen Austauschschüler Finley über den Weg läuft, ändert sich einiges. Sie beginnt ihre Abneigung gegenüber Jungs...