Davor, zuvor, Vergangenheit
Frieda hat aufgehört zu kauen. Ihre großen blauen Augen sind vor Mitleid noch größer geworden. Ihre Wangen sind nass und sind von schwarzen Schlieren überzogen.
Der Teller klappert als meine beste Freundin ihn neben sich auf die graue Steinplatte stellt, von ihr herunterspringt und mich in eine Umarmung zieht, die mich mit so viel Verständnis und Liebe erfüllt, dass auch ich anfangen muss zu weinen. Noch nie in meinem ganzen Leben habe ich jemanden von meinem Vater erzählt. Die Familie ausgeschlossen. Und mit so einer Anteilnahme habe ich nicht gerechnet. Mir war bis zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst, wie sehr ich Frieda vertraue und wie gerne ich sie habe.
„Wir zwei sind ganz schlimme Heulsusen", sagt Frieda mit einem breiten Grinsen als wir uns wieder voneinander lösen.
Ich nicke. Zusammen zu weinen fühlt sich ganz anders an. Irgendwie nicht so aussichtslos.
Und ich lächle. Zwar bin ich noch etwas bedrückt, aber dieser Moment zwischen uns erfüllt mich mit einer solchen, mir unverständlichen Glückseligkeit, dass ich kaum etwas dagegen tun kann.
Nachdem auch der letzte Bissen des, jetzt schon kalten, Spiegeleis von Frieda vertilgt wurde, haben wir es uns auf meinem Bett gemütlich gemacht und sind bei ein paar Folgen „F.R.I.E.N.D.S" hängen geblieben. Eine Serie in der Zeit zu schauen, in der alle anderen in der Schule sitzen oder zur Arbeit gehen fühlt sich komisch an. Dazu noch an einem Montag und erst recht, wenn man eigentlich jemand ist, der nie krank ist. Immer in der ersten Reihe sitzt und eine beinahe unmöglich hohe Unterrichtsbeteiligung hat. Ja, das alles ist anders, aber anders ist schön. Zumindest bis einen die Realität wieder einholt.
„Sag mal hat Finley nichts besser zu tun, als mir zu schreiben, dass er mit dir reden muss?"
Genau das sind die Worte, die mich wieder zurück in die Gegenwart holen. Denn jetzt werfe ich einen Blick auf die Uhr. 11:07. Wie schnell die Zeit doch mit einer guten Serie und der besten Freundin vergeht. Aber dass Finley jetzt Frieda schreibt, wundert mich. Müsste er nicht im Unterricht sein? Anderseits müssten wir das auch.
„Na ja, er hat nicht wirklich eine andere Wahl. Ich habe ihn sicherheitshalber blockiert."
Mag sein, dass diese Reaktion etwas überzogen wirkt, aber es hat sich richtig angefühlt. Wie ein Schlussstrich. Wenige Stunden später habe ich gemerkt, dass dies nur ein temporärer und provisorischer Schlussstrich war. Und eigentlich hätte ich ihm wieder ermöglichen müssen, mir zu schreiben. Doch dann sind mir meine Prinzipien plus meine Dickköpfigkeit dazwischengekommen.
Der Blick, den mir Frieda zu wirft, zeigt, dass auch sie weiß, dass dies nur der schwache Versuch war, ihn aus meinem Leben zu halten. Ein Versuch, der mir nicht gelingen wird. Zumindest flüstert mir das mein Herz, mein Bauchgefühl und auch mein Verstand zu. Dass diese drei zusammenarbeiten ist eine Besonderheit, die ich nicht ignorieren darf. Das muss außer mir aber noch niemand erfahren.
„Julie, ich gebe selten und ungern Ratschläge, aber dieser kommt von Herzen. Finley ist ein guter Kerl. Keiner, der dir mit Absicht das Herz herausreißt, es in kleine Teile zerbricht und es dir dann wieder als Geschenk anbietet. Das ist Evan. Aber Finley würde das nicht machen. Bevor du an die Schule kamst, und ich weiß, dass er selbst zu dem Zeitpunkt erst ein paar Wochen da war, aber in dieser kurzen Zeit sind viele seiner norwegischen Art verfallen. Er hat alle auf die freundlichsten Weisen, die es womöglich auf dieser Welt gibt, zurückgewiesen und sie alle mögen ihn noch immer. Wissen zwar, dass sie keine Chance haben, aber finden ihn trotzdem toll. Was ich versuche, dir zu sagen ist, dass er nicht so viel Zeit mit dir verbracht und dich auch nicht geküsst hätte, wenn er nicht wirklich etwas für dich empfindet. Er hat sich nur mit dir getroffen, mit keinem anderen Mädchen. Du bist die einzige, die er geküsst hat. Und glaub mir, ich hätte es mitbekommen, wenn du nicht die einzige gewesen wärst. Meiner Meinung nach solltest du über deinen eigenen Schatten und Stolz springen und mit ihm reden. Hör dir an, was er zu sagen hat und vielleicht werden deine Fragen, die deine hübsche Stirn in den letzten Tagen mit Falten geplagt haben, beantwortet."
Ihr Kopf liegt auf dem Kopfkissen und sie sieht mich von der Seite an. Ihre Worte bewegen mich. Bewegen etwas in mir und reizen mich dazu an, meine Mauer aus Prinzipien und Dickköpfigkeit einzureißen.
„Und wenn ich dich jetzt noch nicht überzeugen konnte, lege ich eine Schippe schlechtes Gewissen obendrauf. Du musst mit ihm reden. Tu's für mich. Ich würde gerne diese Möglichkeit haben. Was würde ich nur dafür geben, wenn Evan mir so hinterherrennen würde."
„Okay, stopp. Sonst muss ich vor lauter schlechtem Gewissen und Mitleid wieder anfangen zu weinen."
„Dann liebe Juliette solltest du mit deinem Romeo reden."
„Ich hätte dir nie meinen richtigen Namen verraten dürfen..."
Kopfschüttelnd setzte ich mich auf, greife nach einem Kissen und werfe es nach ihr.
„Ey!"
Frieda fängt das Kissen bevor es sie im Gesicht treffen kann und verfällt in ein lautes Lachen, in das ich sogleich einstimme. Es war meine Entscheidung ihr zu erzählen, dass ich eigentlich Juliette heiße. Eigentlich hätte ich mit den Wortwitzen rechnen müssen. Und ich muss zugeben, dass es kreativ ist meinen Namen mit Romeos, aus dem Shakespeare Drama, zusammenzuführen.
Das geworfene Kissen löst eine Kissenschlacht aus, die erst damit endet, dass ich mich in einen Haufen von Kissen auf dem Bett fallen lasse.
„Ich ergebe mich", stoße ich lachend aus. „Ich ergebe mich."
Die Erschöpfung kriecht mir in die Glieder und lässt mich noch tiefer in den Kissenberg sinken.
Kissenschlachten sind kindisch. Keine Frage, aber manchmal muss man kindisch sein dürfen. Nicht immer aber in Ausnahmefällen und dieser ganze Tag ist ein Ausnahmefall, also können auch zwei 17-Jährige sich kindisch verhalten.
„Am Freitag ist wieder eine Party."
Das ist ein beinahe makabrer Gegensatz zu dem unbefangenen Verhalten, dass wir kurz zuvor noch an den Tag gelegt haben.
Eine Party also. Schon wieder? Der Abstand zwischen den Partys erscheint mir etwas kurz. Sowas würde nur in einem Buch einigermaßen Sinn ergeben. Oder selbst dort nicht. Niemand macht das.
„Soweit ich mich erinnern kann, war doch gerade am Samstag die letzte Party oder irre ich mich?"
Für diesen Kommentar fange ich mir einen Schlag gegen den Oberarm ein.
„Aua."
Frieda schenkt mir einen Blick der vor – du hast es verdient – nur so trieft.
„Julie, wenn sich unsere Stufe ohne Grund betrinken würde, wären wir Alkoholiker. Deswegen organisiert so gut wie jeder mal eine Party. Sodass wir jede Woche einen Grund haben unsere Dramen in Alkohol zu ertränken", erklärt sie mit einer todernsten Mine.
„Du willst mir also erzählen, dass unsere ganze Stufe ein Alkoholproblem hat, es aber durch das wöchentliche schmeißen von Partys vertuscht?"
„Du hast es mal wieder erfasst, Sherlock."
Wieder ein Schlag gegen den Oberarm. Dieses Mal bleibe ich stumm und akzeptiere, dass sich dort bald ein blauer Fleck bilden wird.
„Und wieso gehen wir dort hin? Ich habe kein Alkoholproblem."
Ihre roten Haare fallen wie ein Vorhang um sie herum als sie ihren Kopf in die Hände fallen lässt. Nur um ihn einen Augenblick später wieder zu heben und meine weiße Kommode mit abwesenden Blicken zu strafen. Diese Geste soll wohl ausdrücken wie äußerst unnötig meine Frage ist.
„Wir gehen dorthin, weil du noch ein offenes Gespräch hast und ich dafür sorge, dass wir die Party erst wieder verlassen, wenn du mit Finley gesprochen hast und ich verdammt betrunken bin."
Ich nicke langsam und lasse mir das Gesagte noch einmal durch den Kopf gehen. Doch mir erschließt sich noch nicht ganz, wieso ich mein Gespräch auf einer Party führen muss. Die Aussicht alle paar Minuten von einem betrunkenen Gast unterbrochen zu werden, lässt mich Friedas Idee infrage stellen.
„Okay, noch eine Frage."
Frieda dreht langsam den Kopf und schaut mich mit einer Mischung aus Neugierde und Langeweile an. Wie sie das schafft, weiß ich auch nicht. Dass sie es schafft, sehe ich live.
„Gibt es einen tieferen Sinn hinter der Idee, dass ich mein klärendes Gespräch auf einer Party führe?"
„Casual. Es ist casual."
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may i love him
Teen FictionIn Julies Augen sind alle Jungs gleich, und zwar gleich schrecklich. Doch als sie die Schule wechselt und am ersten Schultag dem norwegischen Austauschschüler Finley über den Weg läuft, ändert sich einiges. Sie beginnt ihre Abneigung gegenüber Jungs...