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Davor, zuvor, Vergangenheit

Eigentlich hätte ich damit gerechnet, dass Evan uns blöd angrinst und ihm irgendein bescheuerter Kommentar über die Lippen kommt. Aber dafür scheint er gerade gar keinen Kopf zu haben. Nein, er wirkt gestresst. Sein Blick huscht durch das Badezimmer, bleibt an mir hängen und wird verzweifelt flehentlich.

„Elfchen, ich brauche deine Hilfe."

Er benutzt zwar immer noch meinen Spitznamen, doch der Umstand, dass die Verzweiflung aus seinem Blick sich jetzt auch in seiner Stimme wiederfindet, bereitet mir große Sorgen.

Sofort klettere ich umständlich von Finleys Schoß, stolpere beinahe über meine eigenen Beine und stürze auf Evan und Frieda zu.

„Was ist passiert?", frage ich besorgt und leicht außer Atem.

Evan antwortet mir nicht sofort. Er geht in die Knie, um Frieda vorsichtig auf den Badevorleger abzulegen. Diese räkelt sich und nuschelt etwas Unverständliches vor sich hin. Erst dann antwortet Evan mir.

„Sie hat sich komplett volllaufen lassen. Also wirklich, ich hab' noch nie gesehen, dass sie so viel getrunken hat. Ich weiß nicht, was mit ihr los ist. Aber das war noch nicht einmal mehr das Schlimmste."

Ich hätte Frieda nicht alleine lassen sollen. Erstrecht nicht nach dieser Woche. Nach dieser Woche, in der sie Tag für Tag Evan dabei zu sehen musste, wie er ein Mädchen nach dem anderen aufgerissen hat. Wieso war mir nicht klar, dass das passieren würde? Vielleicht weil sie trotz der Ereignisse der Woche so gefasst gewirkt hat, flüstert mir mein Unterbewusstsein zu. Aber was meint Evan mit – das war noch nicht einmal mehr das Schlimmste. Mein schlechtes Gewissen wächst ins unermesslich und in meinem Kopf entstehen die schrecklichsten Szenarien.

„Was ist das Schlimmste?"

Vorsichtig versuche ich Frieda in eine sitzende Position zu bringen. Dabei steigt mir der Geruch von Alkohol gepaart mit Friedas Parfüm in die Nase. Sie hat definitiv zu viel getrunken.

„Sie hat sich an zwei Jungs rangemacht! Betrunken wie sie war, sind die Jungs natürlich voll darauf angesprungen. Aber Frieda hätte sich doch nicht so verhalten müssen. Sie hat ihnen ihre Wertlosigkeit so offensichtlich gezeigt. Einfach traurig..."

Bitte was?! Für einen kurzen Moment bin ich wirklich davon ausgegangen, dass Evan doch nicht so ein Arschloch ist, aber anscheinend lag ich damit komplett daneben. Es scheint so als würde er es schrecklich finden, dass es Frieda so schlecht geht und es ist beinahe rührend ihm dabei zuzusehen, wie er Frieda behutsam gegen die Wand lehnt. Liebevoll streicht er ihr eine Strähne aus dem Gesicht. Doch seine Aussage passt einfach nicht ins Bild. Wie kann das, was er sagt so gegensätzlich zu dem sein, was er tut?

Ich hole gerade Luft, um Evan zu erklären, wie falsch seine Worte sind, als Frieda sich plötzlich zusammenkrümmt und würgende Geräusche von sich gibt. Sofort drehe ich mich zu ihr und schleppe sie so schnell es geht zur Toilette. Finley ist zum Glück so geistesgegenwärtig, dass er den Deckel der Toilette öffnet und Frieda so ohne Probleme einen Teil ihres Mageninhaltes in die Kloschüssel entleeren kann. Ihre Haare halte ich ihr aus dem Gesicht und muss mich wegen des Gestanks nach Magensäure beinahe selber übergeben. So viel zu eine gute Freundin sein.

Evan eilt zu Frieda, um zu sehen, ob es ihr gut geht. Doch ich halte ihn zurück.

„Du hast schon genug getan, Evan. Verschwinde!"

Erst schaut er mich verwirrt an, aber dann wird er wütend. Eine Ader an seinem Hals wird deutlich sichtbar und sein Blick hart als sich sein Kiefer anspannt. Wahrscheinlich muss er sich zusammenreißen, um mir nicht hier und jetzt eine rein zu hauen. Verdammt, wieso schaffe ich es immer mich mit den falschen anzulegen? Irgendwie habe ich ein Händchen dafür. Aber bevor Evan seine Beherrschung verliert oder seine Zähne zertrümmert bei dem Versuch sie zu bewahren, steht Finley auf. Natürlich ist es bescheuert, dass ich es mal wieder nicht geschafft habe mich aus einer brenzligen Situation selbst zu befreien, aber in diesem Moment muss ich meine ganze Kraft dafür aufwenden für Frieda da zu sein.

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