36.

8 2 0
                                    

Danach, gegenwärtig, Gegenwart

Der Klang zweier Menschen die sich unterhalten gepaart mit unerträglich hellem Sonnenlicht, holen mich langsam aber sicher aus dem Tiefschlaf. Wie viel Uhr ist? Und wieso wird diese Unterhaltung ausgerechnet in meinem Zimmer geführt? Diese beiden Menschen müssen Tyrannen sein, die nur gekommen sind, um mir den Schlaf zu rauben. Nur, dass sich einer dieser Tyrannen sehr nach Dr. Friedmann anhört. Ihre feine Stimme, die mir in den letzten Wochen meine Diagnose und dann hin und wieder meinen Krankheitsverlauf erklärt hat, würde ich überall wieder erkennen. Die Stimme der zweiten Person hingegen habe ich noch nie gehört. Sie ist tief und scheint zu einem Jungen zu gehören, der mit jeder Erwiderung den Raum um ein paar Grad sinken lässt.

„Du solltest sie auf keinen Fall darauf ansprechen, was passiert ist oder sie nach den Anderen fragen. Ich denke, du solltest es hinbekommen über unverfängliche Dinge zu sprechen. Das letzte, was Julie jetzt nämlich braucht, ist, dass sie mit zu vielen Dingen aus dem letzten halben Jahr konfrontiert wird. Trotzdem, es wird ihr guttun, jemanden an ihrer Seite zu haben. Denkst du, dass du das hinbekommst?"

„Natürlich, Doc", antwortet der Fremde auf die Anweisungen. In seiner Aussage liegt etwas neckisches, als würde er nur mit diesen zwei Worten Dr. Friedmann provozieren wollen. Dann setzt er sich in Bewegung und steuert direkt auf mein Bett zu. Ach, stimmt ja. Ich bin diese ominöse Julie, über die sie gesprochen haben.

Aus halb geschlossenen Lidern beobachte ich die Situation und erst als sich Evan auf dem Stuhl neben meinem Bett fallen lässt, öffne ich meine Augen ganz.

„Da bist du ja schon. Ich dachte schon, ich müsste hier ewig rumsitzen und darauf warten, dass du überhaupt aufwachst."

Mit zusammengezogenen Augenbrauen mustere ich den Fremdling. Er streicht sich sein etwas längeren schwarzen Haare aus dem Gesicht und mustert mich ebenfalls mit seinen blauen Augen. Er sieht einem der Jungen auf den Fotos zum Verwechseln ähnlich. Mein müdes Gehirn arbeitet langsam und erst nach ein paar Sekunden, komme ich darauf, dass der Fremde einer meiner Freunde sein muss. David. Seine Gesichtszüge sehen in diesem Moment weniger aggressive aus und auch in seinem Blick liegt nichts Erbarmungsloses. Nein, er betrachtet mich nahezu sanft und... liebevoll?

„Ich bin übrigens Evan, du erinnerst dich wahrscheinlich nicht mehr an mich."

Evans Miene verfinstert sich für einen Moment und ein trauriges Lächeln legt sich auf seine Lippen. Im Hintergrund seufzt Dr. Friedmann und fasst sich verzweifelt an die Stirn. Genau so etwas sollte Evan mir wahrscheinlich nicht erzählen. Warte kurz. Evan? Sollte der Jungen mit den kalten Augen nicht eigentlich David heißen? Evan war doch der mit den braunen Augen. Anderseits war meine Namensverteilung ja nur eine Vermutung. Eine Vermutung die sich jetzt als falsch herausgestellt hat.

„So Evan, du kannst dann auch gleich wieder gehen. Hast du mir überhaupt zugehört?"

Frau Friedmann bedenkt Evan mit einem grimmigen Blick und macht ihm mit einer Handbewegung klar, dass er verschwinden soll. Nur dass ich nicht möchte, dass Evan verschwindet. Er ist mein einziger Anhaltspunkt zu dem letzten halben Jahr. Meine einzige Hoffnung auf Antworten.

„Er soll bleiben", krächze ich also.

„Haben Sie gehört, Doc?"

Evan wirft Dr. Friedmann einen provokanten Blick zu, doch diese nickt darauf nur und geht. Wahrscheinlich hat sie wichtigeres zu tun, als sich mit einem nervigen Jugendlichen rum zu streiten.

„Danke, Elfchen. Du hast mich vor dem Doktor-Drachen gerettet. Ich glaube, dieses Mal wäre ich nicht mehr lebend davongekommen."

Ich schüttle lachend den Kopf. Doktor-Drache, dieses Bild werde ich nicht mehr aus meinem Kopf bekommen. Und Elfchen? Anscheinend muss ich wirklich mit diesem Jungen befreundet gewesen sein.

may i love himWo Geschichten leben. Entdecke jetzt