Die Lange Nacht Teil4

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Acht Jahre zuvor, 12. Juli, 965 NEE, Canis Minor


Die nächste Explosion nahm mir die Entscheidung ab, ob ich den Anweisungen der körperlosen Stimme in meinem Kopf endlich Folge leisten sollte. Die Detonationswelle riss mich von den Beinen und schleuderte mich durch die Luft. 

Ich schrie ...

... und schlug hart auf. Diesmal landete ich nicht in einem weichen Schlammloch, sondern auf felsigem Grund. Der Aufprall trieb mir die Luft aus der Lunge und verengte mein Gesichtsfeld bedrohlich. Ich schluchzte, hustete. Blut schoss in meinen Mund, quoll über meine Lippen. Sengender Schmerz peitschte durch meinen geschundenen Körper wie ein loderndes Buschfeuer.

»Nicht ohnmächtig werden!«

Ich klammerte mich wie eine Ertrinkende an die Worte, während eine weitere Explosion irgendwo neben mir einen weiteren Hagelsturm nagelspitzer Geschosse über mich ergoss.

»Warnung! Warnung! Warnung«, heulte die weibliche Computerstimme.

Bunte Sterne tanzten vor meinen Augen.

Ich konnte nicht atmen.

Meine Lunge stand lichterloh in Flammen und mein Brustkorb bewegte sich keinen Millimeter, egal wie sehr ich nach dem rettenden Atemzug lechzte.

Ich öffnete verzweifelt den Mund ...

»Steh auf!«, bellte die Stimme in meinem Verstand. »Nimm die Arme über den Kopf und beug dich nach vorn!«

Ein unverständliches Gurgeln entrang sich meiner Kehle.

»Steh auf verdammt! Oder willst du ersticken?«

Ich gehorchte, rappelte mich auf, stolperte nach vorn und sog gierig die eiskalte Luft ein. Heiße Tränen brannten auf meinen Wangen.

»Und jetzt wieder runter! Ein paar Meter rechts von dir liegt ein Baumstamm. Der sollte dir Schutz bieten.«

Die Stimme klang leiser, weniger herrisch und fast glaubte ich, dass unter den Worten etwas mitschwang, was bisher nicht dagewesen war ...

... Schmerz ...

Ich schluckte, ließ mich auf die Knie sinken und robbte auf dem Bauch in die angegebene Richtung. In meinem Kopf breitete sich plötzlich eine ungewohnte Stille aus, die sich seltsam bedrohlich anfühlte.

Einen Arm vor den anderen ...

Ich sah nicht auf, während ich mich über den gefrorenen Boden zog und die exotische Welt von Canis Minor in einer Hölle aus Explosionen und Tod versank.

»Bist du ok?«, murmelte ich und wusste nicht einmal, ob die Stimme mich überhaupt hörte, oder ich nur mit mir selbst redete.

»Kümmere dich nicht um mich. Du musst ... Da vorn.«

Ich blinzelte. Eine der beiden Schulterlampen war offensichtlich beschädigt, aber im schwachen Licht der anderen schälten sich die riesenhaften Umrisse eines am Boden liegenden Stammes aus der Dunkelheit. Zu Lebzeiten musste es ein Gigant gewesen sein. Ich ließ die behandschuhte Hand ehrfürchtig über das verrottende Holz gleiten und kuschelte mich in die erstbeste Höhle, die ich fand.

»Gut ...« Die Stimme klang leise und schwach, als würde sie aus großer Ferne mit mir sprechen ...

... oder als würde sie sterben ...

Ich zog die Knie an, schlang die Arme darum und weinte. Ich weinte, bis ich keine Tränen mehr hatte und die warme Feuchtigkeit auf meinen Wangen in der eisigen Kälte der Langen Nacht zu glühender Lava kondensierte. Der Schmerz tat gut. Zeigte mir, dass ich noch lebte, auch wenn die Stimme schwieg, und ich mich plötzlich so einsam fühlte wie noch nie zuvor in meinem Leben.

»Bist du noch da?«, flüsterte ich.

Keine Antwort.

Stille.

Die Explosionen grollten durch die Finsternis und ließen mich bei jedem Donnern zusammenzucken, als würde ein grausamer Folterknecht mit seiner neunschwänzigen Katze auf meinen nackten Rücken eindreschen. Jeder Schlag bezeugte meine Dummheit. Meine Dummheit, mich gegen das System aufzulehnen, jemanden zu lieben, den ich nicht lieben durfte, mich aus dem schützenden Camp zu schleichen. Ich nagte auf meiner Unterlippe, bis ich wieder Blut schmeckte.

»... bin noch da ...«, wehte ein leises Flüstern durch meinen Verstand.

Ich ballte die Hände zu Fäusten. Eine warme Welle der Erleichterung rieselte mein Rückgrat hinunter.

»Aber du bist verletzt?«, fragte ich besorgt.

»... nicht so wichtig ... Ich hatte halt kein so tolles Versteck, wie du ...«

Ich presste die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen.

»... es ist vorbei. Vorerst ...«, fuhr die Stimme schwach fort. »Aber wir haben nicht viel Zeit. Wenn die Eisstürme einsetzen, sind wir tot ...«

Ich nickte zögernd. »Was ... soll ich machen?«

Schweigen.

»Bist du ...«

»Ja ...«, unterbrach mich das körperlose Flüstern. »Du musst ... mich finden ...«

Ich schluckte.

»Du kannst nicht in dem Baum bleiben. Er wird dich nicht vor der Kälte der Eisstürme schützen.«

Ich legte das Kinn auf die Knie und umklammerte meine Beine fester.

»Ich weiß«, sagte ich lapidar, ohne mich zu bewegen.

»Aber?«, fragte die Stimme.

»Ich kann da nicht raus ...«

Die Stimme ließ ein Geräusch in meinem Kopf erklingen, das sich wie ein Seufzen anfühlte.

»Dann werden wir beide sterben ...«

Ich schloss die Augen. »Kannst du nicht ... Ich meine, warum gehst du nicht zum Camp ... vielleicht ... die können uns doch retten, wenn sie wissen ...«

Diesmal perlte ein trauriges Lachen durch meinen Verstand. »Das ist leider nicht ganz so einfach ...«

»Nicht so einfach heißt aber nicht unmöglich?«, hakte ich nach und wagte kaum zu atmen.

»... doch ... ich kann keine Hilfe für uns holen. Tut mir leid ...«

Ich nagte wieder auf meiner Unterlippe und ballte die Hände hilflos zu Fäusten.

»Alexandra ... wenn du leben willst, musst du dieses Loch verlassen und zu mir kommen ...«

Ich wiegte vor und zurück. »Und dann?«

Die Fortsetzung wartet unter dem Bild und hinter dem Knopf auf dich :-)


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