Die Farben des Alls Teil 1

133 4 0
                                    

27.August, 973 NEE, an Bord der Valkyrie

»Charles!«, rief ich verzweifelt.

Das Vibrieren wurde zu einem deutlich spürbaren Kribbeln, das meinen gesamten Körper erfasste und ich brauchte wenig Fantasie, um zu ahnen, worin es enden würde. Die verfluchten Strafanzüge des Lancecorps verfügten über zahllose Möglichkeiten, widerspenstige Sträflinge wieder in die Spur zu bringen. Deshalb hießen sie ja Strafanzug.

»Mir fällt leider auch nichts mehr ein ...«, gab die körperlose Stimme meines Symbionten kleinlaut zu.

Fuck!

Irgendetwas muss ich doch unternehmen können ...

Mein Blick zuckte hektisch durch die Krankenstation, fraß sich aber immer wieder an dem hektisch blinkenden Visier des Anzugs fest.

Jetzt hätte ich es fast geschafft ...

Ein bitterer Geschmack sammelte sich in meinem Mund.

»Denk nicht mal dran, Alex!«

»Hast du eine bessere Idee?«, erwiderte ich wütend und löste damit ein Gefühl aus, von dem ich wusste, dass es Charles Version eines Schulterzuckens war.

Der Anzug blockierte meine Möglichkeiten, mit der Umwelt zu interagieren und würde mich solange foltern, bis ich ...

Die Tür zur Krankenstation öffnete sich exakt in dem Moment, als die erste Welle purer Agonie durch meine Nerven brandete.

»Wie oft muss ich heute eigentlich noch ...«, polterte Wee.

Ich brach stöhnend vor der Aérien zusammen.

»Heilige Scheiße!«, flüsterte sie. »Lance, was ...«

»Der Anzug!«, keuchte ich.

»Ich tue hier echt mein Möglichstes, Alex. Aber du hast einfach viel zu viele Nerven. Menschen sind wirklich unpraktisch.«

Wee packte mich, drehte mich wie eine Puppe auf den Bauch und riss das Siegelschloss am Lancecollar auf. Der Schmerz ebbte sofort ab.

Ich schnappte nach Luft.

»Garstiges Ding«, sagte Wee, zog mich auf die Beine und kramte aus einer der unzähligen Schubladen ein Handtuch hervor. »Hier. Ich würde dir ja gern die Zeit für eine Dusche gönnen, aber im Orbit warten jede Menge Schiffe auf uns.«

Ich nickte und quälte mich mühsam aber dafür umso erleichterter aus dem Anzug. »Das geht schon ...«

»Nein, eigentlich nicht. Vorallem hätte das nie passieren dürfen ...« Wee presste die Lippen zusammen und wir versanken in dröhnendem Schweigen, bis ich mich wieder in meine Uniform gearbeitet hatte und halbwegs vorzeigbar war. Ich zitterte noch immer am ganzen Körper, während ich die mit einigen letzten Griffen die Kragenspiegel richtete und Wee mich mit ausdrucksloser Miene beobachtete. Sie hatte natürlich Recht. Für eine Dusche, um die Reste des ekligen Gleitgels abzuwaschen, das sich anscheinend zusammen mit dem Geruch des Anzugs in meine Haut gefressen hatte, wäre ich gestorben. Aber da die Valkyrie dank Norman ihrem Zeitplan hoffnungslos hinterherhinkte, musste ich vermutlich noch einige Zeit mit dem klebrigen Gefühl, mich überall festzusaugen, klarkommen.

Aber träumen darf man ja mal ...

Ich folgte der Aérien durch die klaustrophobisch engen Gänge des Leichten Kreuzers, bis ich mich nach einer gefühlten Ewigkeit durch das letzte Schott hangelte und auf der Brücke des Schiffs ankam, wo mich Captain Jacobs mit düsterem Blick empfing.

Er öffnete den Mund ...

Weiter kam er allerdings nicht, da Wee ihren Vorgesetzten mit einer knappen Geste unterbrach, bevor sie sich in den Sessel des taktischen Offiziers gleiten ließ. »Sie kann nichts dafür. Dieser widerliche MP war schuld. Wir hätten ihn nie an Bord lassen dürfen.«

»Hm ...«, machte Saul Jacobs nur und ließ mich nicht aus den Augen.

»Wir hätten uns auch nie so um Kopf und Kragen reden sollen«, giftete die Stimme von Charles in meinem Verstand. »Aber ich hoffe, das war dir eine Lehre und bist in Zukunft ein wenig vorsichtiger mit deinen Wünschen. Sie könnten wahr werden ...«

Ich biss mir auf die Unterlippe und war dankbar dafür, dass die Anwesenheit der Crew auf der Brücke eine ausgiebige Diskussion mit meinem Symbionten unmöglich machte.

»Du brauchst noch eine Freisprechung, bevor du die Brücke betreten darfst, Alex. Sonst kommen wir schon wieder in Schwierigkeiten!«

Ich huschte wortlos zur Navigationskonsole und setzte mich. Es stimmte zwar, was Charles sagte. Ohne ausdrückliche Erlaubnis durfte ein Lance keine kristischen Bereiche eines Raumschiffs betreten, aber ich bezweifelte, dass Captain Jacobs den Lancecodex gelesen hatte, und wollte ihn nicht mit idiotischen Vorschriften, die noch mehr Zeit kosten würden nerven. Ich ließ den HoloScreen zu blinkendem Leben erwachen und fluchte stumm. Wer immer vor mir auf diesem Sessel gesessen hatte, hatte von Sternennavigation nicht mehr Ahnung gehabt als eine Kuh vom griechischen Alphabet. Zumindest nicht von richtiger echter Navigation.

»Wie lange werden Sie für das Go brauchen, Lance?«, fragte der Captain.

Ich spreizte die Finger und verschränkte sie zum Anne Hayfield Griff. Anne Hayfield war eine hochtalentierte, aber leider auch nicht besonders fleißige Kadettin der imperialen Flotte einer lange zurückliegenden Ära gewesen, weshalb man sich an sie nur noch wegen eines Tricks erinnerte, mit dem man das Startprotokoll drastisch beschleunigen konnte. Sämtliche Anzeigen vor mir sprangen auf Grün.

»Go«, sagte ich tonlos und die Valkyrie schwang sich in den Himmel.


Fortsetzung folgt am 30,10.2021


Hoppla! Dieses Bild entspricht nicht unseren inhaltlichen Richtlinien. Um mit dem Veröffentlichen fortfahren zu können, entferne es bitte oder lade ein anderes Bild hoch.
Ratpack 7Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt