Die Farben des Alls Teil 3

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Acht Jahre zuvor, Canis Minor

Ich atmete tief ein und ließ meinen Blick über die endlose Wasseroberfläche des Lake George schweifen. Die Lange Nacht war seit zwei Standardtagen vorüber und damit war es an der Zeit ein Versprechen einzulösen und gleichzeitig jemanden loszuwerden. Charles hatte mich zwar gerettet und so geschwätzig er auf dem Weg ins Camp gewesen war, so still war in der Zeit danach geworden, aber es war trotzdem noch immer ein seltsames Gefühl zu wissen, dass ich nicht mehr allein in meinem Körper war. Dass da noch jemand anders war, der auch all das sah und fühlte, was ich sah und fühlte. Das mochte bei einem der seltenen kulinarischen Highlights des Camps noch halbwegs ok sein, wurde aber spätestens dann ober peinlich, wenn sich mein Puls in Timothys Nähe beschleunigte – oder wenn Claudia mir einen verstohlenen Blick zuwarf.

Vor allem, weil das dann die wenigen Momente waren, in denen Charles sich zu Wort meldete und verschlafen fragte, weshalb mich das gleiche Geschlecht sexuell erregte. Biologisch würde das doch überhaupt keinen Sinn ergeben ...

Genau Kumpel, biologisch ergibt das nicht den geringsten Sinn, aber darum geht bei Liebe ja auch nicht.

Ich strich mir die feuerrote Mähne zurück, die der mir der leichte Wind ins Gesicht wehte. Canis Minor trat in einen Zyklus ein und bereits jetzt war kaum noch etwas von den infernalischen Kräften zu erkennen, die am Beginn der Langen Nacht gewütet hatten. Es war eine bemerkenswerte Welt, die in einem stetig wiederkehrenden Kreislauf aus Leben und Tod gefangen war. Es war eine Welt, in der das Überleben des Einzelnen unwichtig war. Was zählte, war der Fortbestand, der eigenen Art. Dafür hatte jede Spezies ihre eigenen ausgefallenen Strategien entwickelt. Vielleicht tat ich mich deshalb so schwer, dem seltsamen Wesen, das sich in mir eingenistet hatte das Konzept der Liebe zu erklären, bei der es deutlich mehr darum ging sich selbst zu verwirklichen, als das eigene Genmaterial weiterzugeben.

»Bist du soweit, Kumpel?«, fragte ich leise, um nicht die Aufmerksamkeit eines anderen Bears zu erregen. Natürlich hatte ich nicht allein durch die erwachende Wildnis zum Lake George hinausfahren dürfen, sondern hatte auf einen Gruppenausflug des Camps warten müssen und jetzt hüpfte eine halbe Hundertschaft euphorischer Jugendlicher um mich herum, die schreiend und tobend versuchten, die Enge zwischen den Chalets mit einem Bad im warmen Wasser loszuwerden.

»Bereit, wenn du es bist«, sagte die körperlose Stimme in meinem Kopf.

Ich nickte, ging in die Hocke und tauchte die Hand ins Wasser. Es war unerwartet warm, badewannenwarm. Canis Minor wurde von den gigantischen Gezeitenkräften seines Mutterplaneten durchgeknetet und war vulkanisch unglaublich aktiv, deshalb fror der Lake George auch nie bis zum Grund zu und bot der seltsamen Algenart, zu der das Wesen in mir gehörte, selbst dann noch Schutz, wenn sich die Atmosphäre des fremdartigen Mondes in der Mitte der Langen Nacht verflüssigte.

»Mach's gut und Danke für alles«, krächzte ich und presste die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. So froh ich war, Charles loszuwerden, so verstörend fühlte sich der Gedanke an, plötzlich wieder vollkommen allein zu sein.

»Du auch ...«, wehte die Präsenz des exotischen Wesens ein letztes Mal durch meinen Verstand, dann rieselte ein wohliger warmer Schauer durch meinen Körper, der sich beinahe so herrlich anfühlte, als würde ich nach einer kalten Winternacht eine warme Dusche nehmen ...

... oder als hätte ich gerade einen galaktischen Orgasmus ...

... und es war vorbei. Charles hatte sich deutlich unspektakulärer von mir verabschiedet, als er in mich eingedrungen war. Einige Sekunden lang sah ich noch die lumineszierenden Schlieren seiner Blätter unter der Wasseroberfläche, dann war er endgültig verschwunden.

Ich seufzte und richtete mich wieder auf.

Allein ...

... ich war wieder vollkommen allein.

»Alex, was ist?«, brüllte Timothy und winkte aus dem abgezäunten Badebereich aufgeregt zu mir herüber. »Kommst du jetzt endlich mal?«

»Erscheinen reicht«, kicherte eine Stimme, die ich nicht identifizieren konnte. »Mit dem Kommen kann sie warten, bis ihr zwei ...«

Ich schüttelte seufzend den Kopf und blendete den Rest des völlig unnötigen und absolut ekligen Kommentars aus.

»Neidisch?«, konterte Timothy und alle lachten.

»Also zurück zu meinem Leben ...«, murmelte ich genervt, während in der Ferne die ersten Walker auf der Suche Nahrung die Fluten des Lake George aufwirbelten. Die gigantischen Hexapoden waren Pflanzenfresser und erinnerten mit ihren langen dünnen Hälsen und dem tonnenförmigen Körper nicht nur optisch an die ausgestorbenen Dinosaurier der fernen Erde, sie standen ihnen auch in ihrer Größe in nichts nach. Während des langen Tages pflügten die Tiere durch die seichten Seen von Canis Minor und ernährten sich von den riesigen Rotalgenteppichen, die einen atemberaubenden optischen Kontrast zum Blauviolett der endlosen Wälder bildeten.

»Pass auf dich auf, Kumpel«, flüsterte ich.

Und lass dich nicht von so einem Vieh frühstücken ...

... aber das sagte ich nicht laut, auch wenn ich wusste, dass es für Charles keinen Unterschied machen würde.

Ich biss mir auf die Unterlippe.

Aber für mich würde es einen Unterschied machen, denn in dem Moment, in dem ich es laut aussprach, wurde die Gefahr für meinen seltsamen Freund real.

Ich drehte mich um und ging zurück zu den anderen Jugendlichen, die ausgelassen im Wasser planschten wie kleine Kinder, Arschbombe von dem kleinen Steg spielten oder sich unter der Wasseroberfläche und damit außerhalb der Aufmerksamkeit des Camppersonals anatomischen Studien des anderen Geschlechts hingaben. Als schließlich das Badetuch, das ich mir um die Taille geschlungen hatte, zu Boden fiel, grinste ich tapfer und sprang ins Haifischbecken. Nicht dabei zu sein war schlimmer, als dabei zu sein und sobald ich ins Wasser eintauchte, spürte ich auch schon eine Hand genau dort, wo ich sie garantiert nicht spüren wollte. Ich wirbelte wütend herum, trat wild aus und quittierte die weit aufgerissenen Augen neben mir mit einem sardonischen Lächeln, als mein Fuß etwas Weiches traf. Mein Triumph währte allerdings nur kurz, weil sich bereits nach wenigen Augenblicken die nächsten Hände näherten und mir das Gefühl gaben, das Opfer in einem nicht enden wollenden Tentakelhentai zu sein.

Zumindest bis Timothy sich nährte und dem Spuk ein Ende bereitete. Und so widmete ich dem jungen Mann für den Rest des Nachmittags deutlich mehr Aufmerksamkeit, als ich wollte. Dadurch hatte ich zwar meine Ruhe, fühlte mich aber widerlich benutzt und hundeelend. So hundeelnd, dass ich zusammenbrach, als wir das Wasser verließen, um für das abendliche Grillevent ins Little Big Bear Camp zurückzufahren ...


Fortsetzung folgt am 13.11.2021


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