Die Farben des Alls Teil 2

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27.August, 973 NEE, an Bord der Valkyrie

»Echt jetzt! Wie lange willst du dich noch im Spiegel bewundern?«, nörgelte Charles körperlose Stimme in meinem Verstand.

Ich antwortete nicht.

»Deine Haare sind fast wieder so lang, rot und hübsch wie vorher. Können wir jetzt also bitte gehen?«

Das stimmte. Dank einer Injektion von Doc Bones waren meine Haare fast wieder genauso lang wie vor Norman. Trotzdem bewegte ich mich nicht.

»Du lechzt echt immer noch nach diesem verfluchten Anzug, oder?«, seufzte mein Symbiont.

»Nein, natürlich nicht«, sagte ich zögernd.

»Oh, es spricht! Ich dachte schon, du hättest diese wundersame Fähigkeit der Menschen in den letzten Stunden verloren. Weil du dich nämlich weigerst, mit mir zu reden!« Die letzten Worte donnerten wie die Brandung eines fernen Meeres durch meinen Schädel.

»Es dreht sich doch immer um dasselbe ...«

»Ja! Weil der Scheiß immer noch in deiner Akte steht! Und wenn es dir nicht gelingt den Captain davon zu überzeugen, den Eintrag zu löschen, stecken wir in ein paar Wochen genau da, wo wir vor zwei Tagen schon fast waren. Nämlich in einem verdammten Deprivationsanzug! Bitte entschuldige, dass mich das beschäftigt. Aber vielleicht war mir auch einfach nicht klar, dass du darauf stehst, dir Gummistöpsel in Körperöffnungen stopfen zu lassen, wo normale Menschen so was nicht haben wollen.«

Ich verdrehte die Augen. »Ich stehe nicht auf ... wie hast du das ausgedrückt ... Gummistöpsel in Körperöffnungen ...«

»Dann verhalte dich nicht so und beweg deinen Hintern endlich auf deine Station! Du hast nachher ein Gespräch mit dem Captain und da wäre es vielleicht hilfreich, pünktlich zum Dienst zu erscheinen, wenn du etwas von ihm möchtest. Vorgesetzte sollen da pingelig sein!«

Natürlich hatte Charles Recht. Selbst wenn ich mich beeilte, würde ich es kaum noch rechtzeitig vor dem Sprung auf die Brücke schaffen. Das war nicht unbedingt die optimale Ausgangssituation für ein Gespräch, in dem ich Captain Jacobs bitten wollte, mir eine Bestrafung wegen Pflichtverletzung im Dienst zu ersparen, egal wie ungerechtfertigt sie auch war. Aber vielleicht stimmte es. Vielleicht hatte Charles auch hier recht und tief in meinem Inneren gab es etwas, das sich nach Bestrafung sehnte. Nach einer echten Bestrafung in der gnadenlosen Enge und Unausweichlichkeit eines Deprivationsanzugs, weil ein paar Stunden Deckschrubben im Lancecorps einfach nicht genug waren, für das, was ich getan hatte ...

... oder nicht getan hatte.

Ich rieb mir die Schläfen.

Nein!

Ich bin nicht schuld gewesen.

Dumm, ahnungslos ...

... ja ...

... aber nicht ...

Sie hatten mich missbraucht. Nach Strich und Faden. Ich war ein leichtes Opfer gewesen, weil ich das Geld brauchte für den nächsten Schuss, den nächsten verfluchten Rausch, um mir Charles vom Hals zu halten. Und wenn ich es nicht gewesen wäre, hätten sie einfach einen anderen Trottel gefunden für die Drecksarbeit. Wenn jemand erstochen wurde, war ja auch nicht das Messer schuld – oder der Händler, der es verkauft hatte.

Trotzdem blieb ein bitterer Geschmack zurück, der irgendwie nach dem Knebel schmeckte, mit dem Norman meinen Mund versiegeln wollte.

Genau das verdiene ich eigentlich ...

Vielleicht war das ja wirklich der Grund, weshalb ich jeden Lancemaster bis aufs Blut reizte. Weil irgendein tiefverwurzelter Gerechtigkeitssinn, der schon nicht fassen konnte, dass Sam mit dem Diebstahl meiner Formel davonkam, jetzt endgültig rebellierte und davon überzeugt war, dass ich den Anzug verdiente. Das klang total bescheuert, ergab aber auf verstörende Art Sinn.

Ich fluchte, wirbelte auf dem Absatz herum und stürmte aus meiner Kabine, die sich auch am zweiten Tag unwirklicher anfühlte als die qualvolle Enge des Deprivationsanzugs.

»Ach jetzt plötzlich doch...?«, giftete Charles.

Ich verkniff mir eine bissige Antwort und schaffte die drei Decks zur Brücke schnell genug, um mir missbilligende Blicke der übrigen Crew zu ersparen. Im technikstarrenden Halbdunkel, das nur vom geisterhaften Glühen der HoloScreens und der riesigen Projektion des Frontschirms erleuchtet wurde, ließ ich mich in meinen Sessel fallen und aktivierte die Kontrollen. Die Navigationskonsole erwachte zum Leben. Zahlenreihen huschten über den holografischen Bildschirm, formten sich zu Kursdiagrammen und Sprungfenstern, die als Gitterkäfige aufgeregt um die schematisierten Schiffsdarstellungen herumtanzten. Der Verband bestand aus einundzwanzig Frachtschiffen und zwölf mittleren und kleineren Kriegsschiffen der imperialen Flotte. Ziel war Charon Superior, fünfter Planet eines Roten Riesensterns, der sich die Umlaufbahn mit seinem Zwillingsplaneten Charon Inferior teilte. Beide zusammen bildeten das Herz des Stellaren Herzogtums Roter Riese. Das ferne Sternenreich gehörte zu den abgelegensten Einflusssphären des Imperiums und lieferte sich beinahe täglich Grenzscharmützel mit den Separatisten. Umso wichtiger war es, dass die Frachtschiffe mit dem dringend benötigten Nachschub ihr Ziel erreichten, was eigentlich kein Problem wäre, wenn es im Charon System einen der Portalringe der Aérien geben würde.

»Du bist völlig fixiert auf diesen verfluchten Anzug, das ist dir hoffentlich klar«, erklang wieder Charles Stimme in meinem Kopf.

»Nein, du bist völlig fixiert darauf!«, presste ich leise zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, weiter kam ich aber glücklicherweise nicht, da die Valhalla die Sprungkoordinaten übermittelte. Eine mehrzeilige Zahlenreihe erschien auf meinem HoloScreen.

»Hör auf zu quatschen und konzentrier dich lieber auf deine Arbeit!«

Ich schnaubte und ignorierte den seltsamen Blick den Wee mir plötzlich zuwarf.

»Alles in Ordnung, Lance?«, fragte sie mit einer tiefen Furche auf ihrer Stirn.

Und da war es wieder. Mein altes Problem mit Selbstgesprächen.

Ich grinste so breit und dümmlich wie ein Vollmond.

»Lance?«, hakte sie nach.


Fortsetzung folgt am 06.11.2021


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