27.August, 973 NEE, HMSS Arizona
Kaya Ngono presste die Lippen zu einem hauchdünnen Strich zusammen, während sie vor Lancemaster Deeze Schreibtisch strammstand. Die Luft in dem schmalen Büro schmeckte nach alten Socken und Maschinenöl und nach einer gefühlten Ewigkeit, in der sie nicht gewagt hatte, sich zu bewegen, fühlten sich ihre Arme wie Mühlsteine an, die an ihren Schultern zerrten. Der Alte, wie alle den Herren des Lancedecks der HMSS Arizona nannten, ignorierte sie. Er ging Memos durch, hämmerte mit zwei Fingern Anweisungen in sein Holoterminal und machte keinerlei Anstalten sie irgendwann einmal wahrnehmen zu wollen. Und damit zerrann ihr brillanter Plan, den sie mühsam aufgebaut hatte, wie eine Sandburg in der Brandung.
»Sir ...«, brach sie schließlich das bleierne Schweigen.
»Ich kann mich nicht erinnern, Sie nach ihrer Meinung gefragt zu haben, Lancemaster«, knurrte Deeze mit einer Stimme, die so kalt klang, dass sich selbst der absolute Nullpunkt des Alls wie ein wärmendes Lagerfeuer anfühlte.
Kaya seufzte. »Auf dem Planeten ...«
»Auf Amber IV«, korrigierte Deeze sie ungerührt.
Sie ballte die Hände zu Fäusten. »Auf Amber IV wird in Kürze SC – 1780 – Arizona fliehen, wenn wir nicht ...«
Lancemaster 2. Class Owen Deeze lehnte sich in seinem altmodischen Schreibtischsessel zurück und verschränkte die Hände vor dem Bauchansatz. Das kalte Licht der indirekten Beleuchtung spiegelte sich auf dem kahlrasierten Schädel. »Wie alt sind Sie, Lancemaster?«
Kaya leckte sich über die Lippen. »Das steht in meiner Personalakte ...«
»Das war nicht die Frage, Lancemaster ...«
Sie schloss die Augen. »Vierundzwanzig, Sir.«
Deeze nickte bedächtig. »Vierundzwanzig Jahre ... und trotzdem sind Sie bereits Lancemaster 3. Class auf einem Großkampfschiff seiner Hoheit des Imperators ...«
»Ich verstehe nicht, worauf Sie hinauswollen, Sir?«
Deeze schwang in seinem Sessel herum und deutete auf das raumhohe Fenster, das sich hinter dem Schreibtisch von einer Wand zur anderen erstreckte. »Was sehen Sie dort unten, Lancemaster 3. Class Ngono?«
Kaya zuckte mit den Schultern. »Das Lancedeck, Sir ...?«
»Nicht einmal ansatzweise ...« Deeze schnaubte wie ein zorniges Rhinozeros. »Es ist ein Knast, Lancemaster Ngono. Ein beschissener Knast mit 3500 Dieben, Mördern, Vergewaltigern und jeder Art von Verbrechern, die Sie sich vorstellen können. Bedauerlicherweise hat seine Hoheit der Imperator beschlossen, dass dieser Abschaum die Hände und Füße der mächtigsten Schlachtschiffe sein sollen, die die Menschheit je gesehen hat. Sie schrubben die Korridore, reinigen die Lüftungsschächte, führen Reparaturen an unzugänglichen Stellen durch und werden überall dort eingesetzt, wo Leben entbehrlich sein muss ...«
»Ich habe das Handbuch gelesen, Sir.«
»Das bezweifle ich nicht ...« Deeze grinste süffisant. »Aber haben sie es auch verstanden?«
Kaya atmete tief ein.
»3500 Häftlinge sind 3500 Menschen, die nur darauf warten auszubrechen, das Ruder herumzureißen und ihrem erbärmlichen Schicksal eine neue Richtung zu geben«, fuhr er fort. »Deshalb hat das Lancecorps seine Traditionen und Protokolle. Jeder Befehl, jede Kette, jeder Schlagstock und jede Demütigung dient nur dazu, den Haufen dort unten unter Kontrolle zu halten und in eine sorgsam geölte Maschine zu verwandeln, die die Arizona am Laufen hält.«
»Sir ...«
»Und jetzt ..., Lancemaster 3. Class Kaya Ngono ...«, unterbrach er sie unwirsch. »... erklären Sie mir doch noch einmal, weshalb Sie unter Umgehung sämtlicher Hierarchien und Protokolle vollkommen eigenmächtig Lance SC – 1780 – Arizona verlegt haben. Und sich selbst nebenbei gleich mit. Aber sprechen Sie bitte langsam und in großen Buchstaben, damit ich es auch wirklich verstehe!«
Kaya ließ die Schultern hängen.
Zwei Minuten ...
... wenn das verfluchte Shuttle zwei Minuten eher abgehoben hätte, würde sie jetzt auf Amber IV stehen und wäre der Erfüllung ihres Auftrags und damit ihrer eigenen Freiheit ein gutes Stück näher.
»Es gab eine Anfrage ...«, flüsterte sie leise.
»Eine Anfrage zur Verlegung von Lance SC – 1780 – Arizona?«, Deeze Hand krachte donnernd auf den Schreibtisch. »Wirklich ...? Ich habe in den letzten Tagen eine Menge Anfragen erhalten. Die Meisten kamen von der Mienengilde und eine war bescheuerter als die andere. Aber an diese Spezielle, von der Sie mir erzählen wollen, kann ich mich nicht erinnern. Möchten Sie wirklich, dass ich jede einzelne Anfrage noch einmal durchgehe?«
»Sir ...«
»Ich habe ihnen eine Frage gestellt!«, herrschte Deeze sie an.
Kaya atmete wieder tief ein und schüttelte schließlich den Kopf. »Nein, Sir. Das möchte ich nicht ...«
Lancemaster 2. Class Owen Deeze Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen und spießten sie auf. Kaya seufzte ...
... auf der Planetenoberfläche wäre es leicht gewesen, sich über ein öffentliches Terminal in die Datenbank des Lancecorps zu hacken und eine gefakte Anfrage zu erstellen. Aber auf einem Schlachtschiff wie der Arizona wurde jede Kommunikation überwacht und zurückverfolgt. Es war schon fast Harakiri gewesen, vom Terminal ihres Quartiers aus auf die Besatzungslisten der Schiffe zuzugreifen, die auf Amber IV stationiert waren.
»Möchten Sie mir dann vielleicht doch noch etwas erzählen, Lancemaster Ngono?«, fragte Deeze lauernd.
Kaya leckte sich über die Lippen. »Nein, Sir. Ich glaube nicht ...«
Der Mann sah sie an, als hätte sie ihm gerade eine schallende Ohrfeige verpasst. Dann wuchtete er seinen massigen Körper aus dem Sessel und stürmte an ihr vorbei. »Mitkommen, Ngono!«
»Sir?«
»Mitkommen, habe ich gesagt«, bellte Deeze und verschwand durch die Tür des Büros.
Kaya zögerte kurz, folgte ihrem Dienstherren dann aber schließlich durch die militärgrauen Korridore der HMSS Arizona, bis sie vor einer Reihe kreisrunder Zellentüren stand.
»Ausziehen!«, befahl Deeze scharf und hieb auf das Kontrollpanel einer der Zellen, die sich gehorsam öffnete.
»Bitte was, Sir?«, fragte Kaya verwirrt.
»Ich sagte, sie sollen sich ausziehen, Ngono. Was in den nächsten drei Tagen vor ihnen liegt, wird für Sie einfacher, wenn sie nur ihre Unterwäsche tragen.«
»Ich bin eine Lancemaster, Sir!«, protestierte Kaya und starrte entsetzt in den trommelförmigen Raum, der wie ein hungriges Raubtier nach ihr zu gieren schien.
»Das werde ich entscheiden, wenn sich in drei Tagen diese Tür wieder für Sie öffnet, Ngono. Bis dahin sollten Sie sich überlegen, was Sie mir dann erzählen möchten.« Mit diesen Worten schob Lancemaster 2. Class Owen Deeze sie in die Trommelzelle.
Kaya öffnete den Mund, aber die Zellentür schloss sich bereits zischend und die Zelle setzte sich in Bewegung.
»Nein!«, schrie sie.
Fortsetzung folgt am 10.07.2021
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Ratpack 7
Ficção CientíficaDie Menschheit hat die Sterne erobert und die Macht des Ewigen Imperiums schenkt ihr ein scheinbar goldenes Zeitalter, in dem mehr Dunkelheit als Licht herrscht. Mein Name ist Alexandra Wilson, Mathe - Nerd, Social - Noob und sonst alles dazwischen...