Die Lange Nacht Teil 1b

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8 Jahre zuvor, 12. Juli, 965 NEE, Canis Minor

Es war kalt. Bitterkalt.

»Hilfe ...«

Die Stimme klang sonderbar hohl und schien von allen Seiten gleichzeitig zu kommen, aber ich ignorierte sie und fummelte weiterhin mit klammen Fingern an der Lünette meiner Comwatch herum.

Es ist nur der Wind, der durch die Bäume heult.

Irgendwie glaubte ich das selbst nicht, aber es fühlte sich wunderbar normal an. Außerdem hätte ich eh nichts tun können, wenn tatsächlich noch jemand hier draußen sein sollte. Ich konnte mich ja noch nicht einmal selbst retten. Ich seufzte. Obwohl es nur Sekundenbruchteile dauerte, bis das Hologramm über der Uhr von der wenig hilfreichen Kartenansicht zu meinem Life Profil wechselte, kam es mir so vor, als würden Stunden vergehen, bevor sich endlich der Newsfeed mit meinen Nachrichten aufbaute.

Wieder nichts. War ja klar.

Damit pulverisierte das Schicksal die letzte Hoffnung, meine eigene Dummheit doch noch irgendwie zu überleben. Mir lief die Zeit davon, aber trotzdem blinkte hinter dem obersten Briefsymbol weiterhin unerbittlich das Datum, an dem die I.S.S. Aislingh in den Orbit von Canis Minor eingeschwenkt war. Sonntag vor zwei Wochen. Und das bedeutete, dass entweder das gesamte Imperium in einer spontan aufkeimenden Zombieseuche untergegangen war, oder ich schlicht noch immer kein Netz hatte und mich somit viel zu weit von meinem Ziel entfernt befand. Wenn es überhaupt existierte. So fühlte es sich also an, wenn man sich auf einem fremden Planeten am Arsch der Galaxis verirrte – oder sich gerade aus dem Genpool der eigenen Rasse wegen erwiesenen intellektuellen Defiziten herausmendelte, wie Mr. Nibley es wohl ausdrücken würde.

Fick dich du Arsch! Ohne dich wäre ich nicht einmal hier.

Trotzig starrte ich auf das holografische Gesicht meines jüngeren Ichs. Ein virtueller Windstoß wehte den roten Pferdeschwanz verführerisch über meine rechte Schulter und sinnlich klimpernde Wimpern versprachen dem Betrachter Zweideutiges, das ich natürlich nie erfüllen würde. Heute noch weniger als damals und schon gar nicht mit den Lippen, auch wenn die rhythmische Gesichtsgymnastik meines Avatars etwas anderes verhieß. Ich hatte provozieren wollen. Jeden. Die Schule, die Eltern und vor allem natürlich die Jungs, deren Blicke in meinem Rücken ich genoss, weil sie mir bewiesen, dass ich nicht nur eine jüngere Kopie meiner Schwester war. Samantha die Überfliegerin, das Ausnahmetalent, die Frau, die über Wasser wandeln konnte und der jede Eliteuniversität des Imperiums mit Handkuss einen Studienplatz anbot. Mr. Nibley überschlug sich schon fast in der Hoffnung, dass Sam ihn irgendwann einmal lobend erwähnen würde. Schließlich erwartete man Großes von ihr. Was immer das auch sein sollte.

Egal.

Vielleicht durfte er ja wirklich mal eine Plakette in der Indigo High aufhängen mit der Aufschrift: Headmaster Zacharias Nibley. Der Lehrer, der Samantha Wilsons wahres Potenzial entdeckt hatte.

Mir doch wumpe!

Solange sie mich endlich in Ruhe ließen. Sie, das waren meine Eltern, besagter Mr. Nibley und natürlich meine Mitschüler, die Samantha anhimmelten wie eine Lichtgestalt, seit sie letztes Jahr den Pan Imperial Scientific Junior Award gewonnen hatte. Mit einer Formel zur Lösung fünfdimensionaler Paradoxa, die weit über ihrem Horizont lag und ganz nebenbei nicht einmal von ihr selbst stammte. Ein völlig nebensächliches Detail, das Sam natürlich vergessen hatte zu erwähnen. Ich meine, wer kommt schon auf die Idee, dass eine Formel, mit der man sich bei dem Wissenschaftswettbewerb der imperialen akademischen Jugend bewarb, von einem selbst sein sollte.

Toll gemacht, Sam. Ehrlich.

Nein, eigentlich nicht. Aber meine Protesthaltung hatte mir pünktlich zum sechzehnten Geburtstag einen Verweis von der High School eingebracht und jetzt war ich hier und versuchte verzweifelt, eine irgendwie geartete Verbindung zu dem einzigen Menschen herzustellen, dem wirklich etwas an mir lag. Und der mir glaubte. Ich schluchzte. Meine Kehle fühlte sich wie zugeschnürt an.

»Hör endlich auf dich selbst zu bemitleiden und mich zu ignorieren oder wir werden beide sterben. Deine Entscheidung, Alexandra!«

Ich ballte die Hände zu Fäusten. Besser wurde es also wirklich nicht. Jetzt fing schon der Wind an, in ganzen Sätzen zu sprechen. Mal ganz abgesehen davon, dass er offensichtlich meinen Namen kannte und versuchte mir zu helfen.

Nein!

Es durfte nicht sein, was nicht sein konnte. Die Stimme war nur das Echo meiner eigenen Verzweiflung manifestiert zu einem schlechten Scherz, der durch die Windungen meines Verstandes geisterte und mir vorgaukelte, dass es noch jemanden hier draußen gab. Eine gnädige Seele, die sogar verzweifelt in der Kälte nach mir suchte. Aber das war völliger Unsinn. Ich atmete tief durch und kämpfte gegen die Panik an, die mich umkreiste wie ein hungriges Raubtier seine verwundete Beute. Ich war allein. Außer mir war kein Mensch wahnsinnig genug, durch einen Wald zu irren, der fremdartiger kaum sein konnte und ein letztes Mal in allen denkbaren Violettschattierungen fluoreszierte, bevor die Eisstürme einsetzten. Ein letztes exotisches Fest des Lebens, bevor der Zyklus aufs Neue begann. Es würde niemand kommen, um mich in letzter Sekunde zu retten, weil es im Little Big Bear Camp wahrscheinlich nicht einmal die nötige Ausrüstung für eine Rettungsaktion während der langen Nacht gab.

Wozu auch?

Es war ein Jugendcamp und kein Straflager. Von den fünfhundert Teenagern empfanden vermutlich die meisten die sündhaft teuren Ferien auf Canis Minor als das eine große Abenteuer des Lebens. Safaris zu exotischen Tieren und Orten, Wildwasser Rafting, Lagerfeuerromantik samt erster Liebe auf einer fremden Welt und dann noch der prickelnde Hauch von Gefahr, wenn während der langen Nacht die Eisstürme um die Chalets tobten. Der fehlende Comempfang im Camp zählte bei den jugendlichen Gästen sogar zu den absoluten Highlights des Urlaubs, da er sämtliche Anrufe überfüfrsorglicher Eltern verhinderte. Das Little Big Bear Camp hatte schon einiges zu bieten – nur eben nicht für mich. Weshalb sich jede Minute der letzten zwei Wochen wie eine Deportation in die Hölle angefühlt hatte. Ich war nicht hier, um meinen Spaß zu haben, sondern um wieder in die Spur zu finden, wie Mom das so schön ausgedrückt hatte. Darum hatten sich meine Eltern auch – schweren Herzens natürlich – dazu entschlossen meinen Studienfonds aufzulösen, um mir diese Reise zu ermöglichen. Meine Kinnlade schwebte für volle fünf Minuten in Höhe der Kniescheibe, als sie mir das eröffnet hatten. Selbstverständlich wollten meine Eltern nicht, dass ich nach der High School gezwungen war eine Karriere bei der Müllabfuhr anzutreten. Es ging einfach um Kontrolle, denn ohne den staatlich geförderten Ausbildungsfonds, der mir eine gewisse Unabhängigkeit garantiert hätte, war ich auf ihre Unterstützung oder ein Stipendium angewiesen. Ein Wunsch, den mir mit dem Schulverweis im Nacken wohl nicht einmal mehr ein billiges Community College erfüllen würde. Gute Mathenoten hin oder her. Die durfte man bei einer Schwester wie Samantha eh erwarten.

So war das eben, wenn man seinen Social Skill auf einer Skala von null bis zehn auf Rang minus zwanzig katapultiert hatte ....

... für die Fortsetzung einfach auf den Knopf unten drücken :-) 

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