27.August, 973 NEE, an Bord der Valkyrie
Die Valkyrie war zu klein, um dem Kapitän ein eigenes Büro zu gewähren, weshalb man in Captain Jacobs Quartier einen minimalistischen Schreibtisch montiert hatte, vor dem ich stramm stand. Der hagere großgewachsene Mann stemmte die Ellbogen auf die gläserne Tischplatte und fixierte mich mit Augen, in denen eine Mischung aus Abneigung und Neugier funkelte. Er mochte keine Lances. Das hatte er bereits mehr als einmal zum Ausdruck gebracht, trotzdem hatte er jetzt eine an Bord. Noch dazu als Navigatorin und nicht nur zum Deckschrubben. Ich hatte auch wenig getan, das ihn dazu veranlassen könnte, seine Meinung über das Strafgefangenencorps der imperialen Flotte zu revidieren.
Im Gegenteil.
Ich hatte mich sogar als Massenmörderin vorgestellt, was sich für gewöhnlich nicht mit Charaktereigenschaften vereinbaren ließ, die man als Kapitän bei einer Besatzung sehen möchte. Und eigentlich trug ich das Lancecollar auch nicht wegen Massenmord, weil das mit dem Massenmord so sehr stimmte, wie es nicht stimmte. Ich war wegen Drogenbesitzes verurteilt worden ...
... und weil ich zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen war.
»Nun, Lance?«, sagte Captain Jacobs schroff. »Ich warte.«
Ich verzog keine Miene und schwieg.
»Die Sache mit dem Anzug ...«, warf Wee ein, die mit untergeschlagenen Beinen auf dem Bett des Captains hockte. »... war ein Fehler. Ich denke, das ist allen an Bord bewusst ...«
Mir entging nicht, dass sie dabei besonders ihren Vorgesetzten anblickte.
»... deshalb wäre Captain Jacobs möglicherweise bereit, sich für dich einzusetzen, wenn du einige Ungereimtheiten in deiner Akte aufklärst«, fuhr sie fort. »Aber das setzt voraus, dass du mit uns redest.«
»Das ist dann wohl seine Art sich dafür zu entschuldigen, dass er dich beinahe den Launen eines völlig durchgeknallten Psychopathen überlassen hätte«, erklang plötzlich die körperlose Stimme meines Symbionten in meinem Verstand.
Ich presste die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen.
»Lance, ich hoffe, ihnen ist bewusst, dass das eine einmalige Chance für Sie ist.« Es war unüberhörbar, dass Captain Jacobs allmählich die Geduld verlor.
»Sir!« Ich starrte geradewegs durch ihn hindurch. »Die Deprivationsstrafe ist in meiner Akte vermerkt. Die Vollstreckung obliegt dem kommandierenden Offizier, wann immer er es für angemessen erachtet. Insofern verstehe ich nicht, wovon Sie oder der Erste Offizier sprechen, Sir.«
Das war eine zackige Ansage, die ihre Wirkung nicht verfehlte. Die Züge des Kapitäns verfinsterten sich und Wee stöhnte.
»Du willst wohl wirklich in dieses Ding rein ...«, sagte die Aérien niedergeschlagen und warf Saul Jacobs einen vielsagenden Blick zu.
»Schön, dass nicht nur mich dieser Eindruck beschleicht«, stimmte Charles der exotischen Nichtmenschlichen zu.
Captain Jacobs schien zu überlegen, wobei er mich nicht aus den Augen ließ. Schließlich berührte er die durchsichtige Oberfläche des Schreibtisches und ein fluoreszierender HoloScreen flammte zwischen uns auf.
»Ich bin mir nicht sicher«, sagte er leise. »Ob ihnen wirklich bewusst ist, worüber wir uns unterhalten und was Sie gerade ausschlagen, Lance.«
Ich öffnete den Mund, um ihm zu widersprechen, aber er ließ mich nicht zu Wort kommen.
»Jede Deprivationsstrafe verlängert ihre Dienstzeit um fünf Jahre. Jede Verlängerung der Deprivationsstrafe verlängert ihre Dienstzeit ebenfalls um weitere fünf Jahre und während Sie einer Dprivationsstrafe unterliegen, können Sie nicht aus dem Dienst entlassen werden.« Er ließ einige bunte Diagramme auf dem HoloScreen erscheinen. »Bei 83% der Häftlinge, die einer Deprivationsstrafe unterzogen wurden, wurde die Strafe einmal verlängert. Bei 68% sogar dreimal oder mehr und bei immerhin noch 26% wurde die Deprivationsstrafe in einen lebenslänglichen Verbleib im Anzug umgewandelt. Ich persönlich möchte mir das noch nicht einmal vorstellen.«
Ich schluckte.
Er lehnte sich in seinem Sesselzurück und schüttelte ungläubig den Kopf. »Es ist ihre Entscheidung, Lance. Wenn Sie tatsächlich lieber ihr Schicksal in absoluter Isolation mit einer künstlichen Intelligenz ausfechten möchten, statt mit mir zu reden, ist ihnen vielleicht wirklich nicht mehr zu helfen ...«
Wee stöhnte. »Eine KI, die darauf programmiert ist, dich zu bestrafen. Bei allen Göttern des Universums, Mädchen! Was soll denn so schlimm sein, dass du dir lieber so was antun willst, statt es uns zu erzählen?«
»Sie könnten ja auch einfach die Deprivationsstrafe aus meiner Akte streichen, Sir. Und der Rest ...« Ich senkte den Blick und zuckte mit den Achseln.
»Das könnte ich.« Er nickte. »Wahrscheinlich hat der widerliche Spinner sie da reingeschrieben. Oder ein Vorgesetzter, der nicht weniger durchgedreht ist und ein Problem mit Frauen hat. Aber das weiß ich eben nicht, weil Sie nicht mit mir reden, Lance. Es könnte ebenso gut sein, dass die Strafe wegen groben Fehlverhaltens verhängt wurde. Oder weil man die Gefahr eindämmen wollte, die notwendigerweise von einer Massenmörderin ausgeht ...«
»Habe ich dir gesagt, dass es eine beschissene Idee gewesen ist, das zu erwähnen oder habe ich es nicht gesagt?«
»Ja ...«, murmelte ich kleinlaut und meinte natürlich Charles.
»Ja was, Lance?«, hakte Captain Jacobs nach.
»Sir! Ja, Sir. Natürlich haben Sie Recht, Sir.«
Er atmete tief ein und stemmte sich aus dem Sessel. »Sie sind echt eine Nummer, Lance. Aber gut. Ihr Leben, ihre Entscheidung. Ich hoffe, Sie bereuen es nicht.«
»Sir ...«
»Warte mal, Alex ... Vielleicht sollten wir es ihnen sagen ... Das mit mir, meine ich ...«
»Bist du sicher?«, fragte ich ungläubig.
Fortsetzung folgt am 04.12.2021
DU LIEST GERADE
Ratpack 7
Science FictionDie Menschheit hat die Sterne erobert und die Macht des Ewigen Imperiums schenkt ihr ein scheinbar goldenes Zeitalter, in dem mehr Dunkelheit als Licht herrscht. Mein Name ist Alexandra Wilson, Mathe - Nerd, Social - Noob und sonst alles dazwischen...