Die Farben des Alls Teil 5

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Acht Jahre zuvor, Canis Minor

»Du musst zum See kommen ... Dann kann ich mich wieder mit dir vereinigen ...sonst wirst du sterben. Tut mir leid ...« Charles körperlose Stimme klang seltsam traurig.

»Und wie soll ich das Anstellen?«, fragte ich wütend. Das Camp war zwar kein Jungenknast, aber ich bezweifelte, dass ich den Weg zum See in meinem Zustand schaffen würde. Dafür hatte sich einfach jeder Schritt zur Krankenstation zu sehr wie der Kampf mit dem Deck eines Schiffes in schwerer See angefühlt ...

... oder ein Bullenritt beim Rodeo. Allerdings verzichtete ich auf eine weitere Diskussion mit dem Pflanzenwesen, da mich die beiden Ärzte mittlerweile ansahen, als wollten sie mich in der nächsten Minute in eine Zwangsjacke stecken. Also biss ich mir auf die Zunge, lächelte und ließ den Rest der Untersuchungen über mich ergehen, von denen ich jetzt wusste, dass sie wohl kaum den Grund für meine rätselhafte Schwäche zu Tage fördern würden.

Charles, wenn ich deinen dämlichen Blätterhintern in die Finger kriege, werde ich ...

Aber dazu würde es wohl nie kommen, was nicht zuletzt daran lag, dass Wasserpflanzen für gewöhnlich keinen Allerwertesten besaßen.

Eine Stunde später waren sich die beiden Mediziner einige, dass sie nicht wussten, was ich hatte und taten, was jeder Arzt in ihrer Situation getan hätte. Sie verordneten mir eine Infusion mit Kochsalzlösung, gaben mir zwei Aspirin und behielten zur Beobachtung auf der Krankenstation. Angesichts der neu gewonnen Erkenntnisse über die Ursache meines Schwächezustandes stellte besonders der Teil der Behandlung mit der Beobachtung ein Problem dar. Trotzdem grinste ich dankbar, schluckte die zwei Tabletten mit einem großen Schluck Wasser hinunter und ließ den Kopf in das Kissen des MedPods sinken, während sich meine Gedanken überschlugen und irgendwo im Gebüsch zwischen dem Little Big Bear Camp und einem See voller intelligenter symbiotischer Algen festfraßen. In meinem momentanen Zustand schaffte ich es kaum zur Toilette und selbst der Gedanke an den Weg zurück zu meinem Chalet fühlte sich so unmöglich an, wie ein Fußmarsch in die Andromedagalaxie.

»Drücken Sie einfach auf den Knopf, wenn Sie Hilfe benötigen oder sich schlechter fühlen«, sagte der Mann, auf dessen Namensschild stand, dass es bei ihm um Bear 1. Class Dr. S. Cobb handelte.

Ich nickte stumm.

»Das wird wieder«, fuhr er fort und lächelte mir aufmunternd zu. »Morgen fühlen Sie sich schon besser. Das habe ich hunderte Male gesehen.«

Dann pfefferte er die Einweggummihandschuhe in den Abfall und folgte seinem Kollegen aus der Krankenstation. Ich seufzte und fiel in einen fiebrigen Schlaf, der mir keine Erholung schenkte.

»Ich bin ungefähr da, wo wir uns getrennt haben«, weckte mich Charles Stimme unvermittelt aus einem verrückten Traum, in dem es um körperfressende Insektenaliens, Wackelpudding und eine Hängebrücke ging, die wie eine Schiffschaukel von einer Seite zur anderen schwang. »Kannst du dich bitte beeilen? Die Strömung hier ist ziemlich stark. Ich weiß nicht, wie lange ich mich halten kann.«

Mein Kopf dröhnte, als wäre er ein Gong auf den ein Riese eindrosch.

»Charles ...«, stöhnte ich. Das Laken des MedPods war klatschnass und im Licht der Monitore schimmerte ein feuchter Film auf meiner Haut.

»Oje ...«, erklang die Stimme der seltsamen Wasserpflanze wieder in meinem Verstand. »Ich hatte nicht erwartet, dass es so schnell geht. Normalerweise dauert der Verfall mehrere Tage. Bleib, wo du bist. Ich überlege mir was ...«

Ich nagte auf meiner Unterlippe herum und verkniff mir einen bissigen Kommentar.

Zumindest kann Sam sich jetzt freuen. Wenn ich weg bin ...

Ich dämmerte wieder in einen Zustand zwischen Schlaf und Delirium, aus dem mich nur das Piepsen der medizinischen Geräte hin und wieder aufschreckte.

»Durchhalten, Alex. Ich bin gleich bei dir ...«

Ich wollte Charles fragen, wie er das denn bewerkstelligen wollte, wusste aber nicht, ob ich wach war oder träumte. Die Minuten dehnten sich zu einer seltsamen Ewigkeit aus rasenden Kopfschmerzen, bleischweren Glieder und einer schmerzhaft trockenen Kehle, die sich weigerte, einen Ton von sich zu geben.

»Ich bin jetzt da. Kannst du mir die Tür aufmachen?« Die Stimme schnitt wie eine Rasierklinge durch meinen Geist.

»Welche Tür?«, krächzte ich.

»Na die Tür zu dem Gebäude, in dem du steckst.« Das klang beinahe gereizt. »Und beeil dich, bevor man mich entdeckt!«

Ich blinzelte verwirrt.

»Alex! Reiß dich zusammen, verdammt ...«

»Ich ... ich ...« Mehr brachte ich nicht heraus.

»Ich weiß, dass es schwer ist, Alex. Aber du musst jetzt aufstehen und die Tür öffnen«, sagte Charles so eindringlich, als würde er mit einem bockigen Kind reden.

Ich öffnete den Mund und das Bild der schimmernden Wasserpflanze in der winzigen Pfütze zuckte durch meinen Verstand. Es war ausgeschlossen, dass es dieses Wesen irgendwie bis ins Camp geschafft haben könnte. Ich schaffte es, meine Hand über den Rand des MedPods zu schieben und starrte zwischen den Fingern hindurch auf den dunklen Schatten der Tür. Mittlerweile musste es Abend sein, es drang kein Licht mehr durch die Fenster ...

»Es ist mitten in der Nacht und jetzt steh auf, Alex. Du schaffst das! Es sind nur ein paar Schritte.«

Nur ein paar Schritte ...

Ich bewegte die Finger, aber die Tür kam nicht näher.

Nur ein paar Schritte ...

»Alex!« Mein Name explodierte wie ein gleißender Feuerball in meinem Kopf.

Ich schrie, sprang hoch und schlug hart auf dem Boden auf. Die medizinischen Geräte begannen wütend zu summen und zu piepen.

»Beeilung jetzt!« Die Stimme fühlte sich wie hunderte winziger Nadeln an, die sich von innen in meinen Schädel bohrten.

Ich rappelte mich auf und kroch zur Tür.

»Al ...«

»Nicht ... Bitte nicht ...«, flüsterte ich und stemmte mich an der Wand nach oben, bis ich das Kontrollpanel erreichen konnte. Die Tür öffnete sich mit einem leisen Zischen und ich fiel wie vom Blitz getroffen zurück auf die Knie. Eine warme Zunge leckte mir übers Gesicht und ich starrte in die dunklen Augen eines Renners.

»Das wollte ich schon immer mal machen«, kicherte Charles, dann verlor ich das Bewusstsein.

Als man mich am nächsten Morgen fand, lag ich noch immer auf der Türschwelle der Krankenstation, fühlte mich aber nach einer heißen Dusche und einer Tasse Kaffee so wunderbar lebendig und gesund wie selten zuvor in meinem Leben.


Fortsetzung folgt am 27.11.2021


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