Buckethead Teil4

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Acht Jahre zuvor, 12. Juli, 965 NEE, Canis Minor

Endlose Sekunden vergingen, ohne dass ich reagierte und das einzige Geräusch in der engen Duschkabine war das prasselnde Brausen des heißen Wassers.

»Du willst zum Lake Watahiwi? Das ist ein schlechter Scherz, oder? Ich meine, der liegt mindestens zwanzig Minuten entfernt. Wie soll ich da hin kommen ... lebend?« Ich presste die Stirn gegen die himmelblauen Fliesen, mit den ultrakitschigen Dinomotiven, während der Dampf um meinen nackten Körper waberte.

»Alex es ist wichtig ...«, erklang Charles körperlose Stimme seltsam drängend in meinem Verstand. Eine weitere Erklärung blieb mir die symbiotische Alge allerdings schuldig.

Ich atmete tief ein. »Dir ist aber schon klar, dass wir es gerade noch so eben ins Camp geschafft haben? Ich meine wirklich gerade noch so eben ... bevor die Atmosphäre flüssig wird und so.«

»Ja ...«

»Und nur mal angenommen, ich wäre wahnsinnig genug, es wirklich zu versuchen und wir würden es tatsächlich zum See schaffen. Wie soll ich wieder zurückkommen? Ohne dich?«

Ein eisiger Schauer rann mir über den Rücken. Vermutlich versuchte Charles ein tiefes Einatmen zu simulieren, was für ein symbiotisches Wesen, das in meinem Körper lebte, natürlich völlig lächerlich war ...

... und sich ungefähr genauso angenehm anfühlte, als würde mir jemand ein scheißkaltes nasses Handtuch in den verschwitzten Nacken knallen.

»Ihr Menschen habt Fahrzeuge ...«, sagte er und machte eine kurze Pause, bevor er fortfuhr. »Ich habe die selbst schon gesehen. Damit würdest du es schaffen. Schnell hin und wieder zurück ...«

»Was willst du überhaupt am Lake Watahiwi« Ich drehte das Wasser ab und angelte nach einem Handtuch.

»Nun ...« Das fremdartige Pflanzenwesen zögerte. »Bitte versteh das nicht falsch ... aber ich weiß nicht, wie das anders ausdrücken soll. Ich will wieder raus aus dir. Du hast mich zwar gerettet ... oder besser, wir haben uns gegenseitig gerettet ... aber ich möchte nicht von dir aus meiner Heimat entführt werden ...«

Ich rubbelte mich ab. Verrückterweise hatte ich darüber noch nie nachgedacht ...

... aber ja ...

»Ich möchte dich auch so schnell wie möglich wieder loswerden«, sagte ich schließlich.

»Dann sind wir uns ja einige!«, rief Charles wie aus einem Blaster geschossen und klang dabei spürbar erleichtert.

»Nicht ganz ... Du wirst mich wohl noch bis zum nächsten Tag ertragen müssen ...« Ich wickelte mich in einen Morgenmantel, machte das Licht aus und tastete mich Richtung Schlafraum.

»Aber ...«

»Charles, ich bin eine Schülerin. Ich kann nicht einfach rausgehen und mir einen Bully vom Camp schnappen und damit durch die Gegend düsen. Herrgott! Ich habe ja noch nicht einmal eine Driving License ...«

»Oh ... Was ist eine Driving License, Alex?«

Ich zog mir die Bettdecke über die Nase und rollte mich zur Seite. »Nichts, was du wahrscheinlich jemals brauchen wirst ...«

»Alex ... Alex, bist du das?«, murmelte Trisch, die das Bett direkt über mir hatte, verschlafen. »Die haben dich schon überall gesucht ...«

»Es ist alles in Ordnung. Schlaf weiter Trisch ...« Ich presste die Lippen zusammen und freute mich auf ein Frühstück mit viel zu vielen Fragen morgen.

Der nächste Morgen verlief dann ungefähr genauso, wie ich es befürchtet hatte. Nachdem mir Big Bear Mr. Elliot Emsworth ...

... kein Scheiß, der Leiter des Camps trug tatsächlich den Titel Big Bear ...

... nun, nachdem er mir also eine kernige Begrüßung um die Ohren geschmettert hatte und dabei eine unerträglich gute Laune versprühte, zu der nur Animateure und andere bekennende Masochisten fähig waren, folgte die unausweichliche Standpauke.

»Ich will hier kein Romanzending!«, donnerte er hinter seinem Schreibtisch und sah dabei erstaunlich ähnlich intelligent aus wie die ausgestopften Schädel einheimischer Tiere an der Wand hinter ihm. »Ihr Kids seid hier, um die tolle Natur zu genießen und nicht um Sex zu haben ...«

Bei den letzten Worten wackelte sein altmodischer Walroßschnauzer, wobei sich seine Oberlippe so pikiert nach oben kräuselte, dass ich mir die Frage ersparte, ob ihm klar wäre, dass in meiner Altersgruppe »Spaß haben« meistens zwischen den Schenkeln eines Mädchens begann und selten dort endete. Daran würde auch eine Strafpredigt aus dem Mittelalter nichts ändern.

Schon gar nicht bei mir.

Den anschließenden völlig übertrieben und absolut entwürdigenden Schwangerschaftstest musste ich trotzdem über mich ergehen lassen, wobei ich die Proteste meiner Leidensgenossinen überhörte, bei denen »sexistisch« gefühlt in jedem Satz mindestens zweimal vorkam. Ich stimmte ihnen zwar zu, hatte aber andere Probleme, als mich damit zu beschäftigen, dass das Little Big Bear Camp zur Missionsorganisation einer fundamental religiösen Gruppe gehörte.

Danke Sam!

Den Scheiß hast wahrscheinlich du ausgesucht und lachst dich jetzt tot ...

Alex bei den Weltraummormonen.

Echt witzig...

... aber zutrauen würde ich es ihr.

Die Gospelmusik am nächtlichen Lagerfeuer zwischen den Chalets passte zur göttlichen Heilsbotschaft und nach drei Tagen beherrschte ich nicht nur »Kumbaya, My Lord« vierstimmig im Schlaf, sondern senkte auch keusch den Blick, wenn mich ein Junge zu lange ansah. Ich wollte nur noch hier weg und nicht am Ende noch exorziert werden, falls jemandem in der Krankenstation bei irgendeinem schikanösen Test auffallen sollte, dass ich nicht allein in meinem Körper war.

Auf Charles dürfte die Definition von Dämon und besessen wahrscheinlich ziemlich gut zutreffen. Aber trotzdem verlief der Rest der Langen Nacht unspektakulär langweilig und zugleich bemerkenswert. Langweilig, weil außer singen und beten wenig passierte und bemerkenswert, weil sich die geschwätzige Alge, die sich in mir eingenistet hatte, seit jenem Abend unter der Dusche nicht mehr zu Wort meldete.


Fortsetzung folgt am 25.09.2021


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