Buckethead Teil 2

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Acht Jahre zuvor, 12. Juli, 965 NEE, Canis Minor

Man kann auch auf allen vieren ausrutschen. Sehr gut sogar. Und es sieht überhaupt nicht elegant aus. Die letzten verfluchten Windungen des vereisten Trampelpfads schlitterte ich auf dem Bauch hinunter. Mit dem Kopf voran. Und natürlich prallte ich dabei wie eine beschissene Flipperkugel von einem Eiszapfen zum nächsten Stalagmiten und wieder zurück, bevor ich endlich mit einem bilderbuchreifen Salto in einer Schneewehe landete. Mit dem Arsch voran diesmal und nach einer höllischen Drehung viel zu weit über dem Erdboden.

»Fuck!«, brüllte ich und rappelte mich aus dem Pulverschnee auf.

»Zumindest sind wir unten«, sagte Charles in meinem Kopf. »Und wir haben sogar überlebt.«

Ich presste die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen und nickte widerstrebend.

Aber ja ...

... es hatte Momente gegeben, da hätte ich genau das nicht für möglich gehalten.

Mehr als einmal. Und jetzt konnte ich sogar schon den Lichtschein des Camps jenseits der Ebene erkennen.

Wahnsinn ...

Gestern haben noch Dinos gegrast.

Ich klopfte mir den Schnee ab, machte zwei Schritte und steckte wieder bis zur Hüfte fest.

Ich fluchte.

»Der Fluß«, erklang wieder die körperlose Stimme in meinem Verstand. »Du musst auf dem Fluss laufen. Sonst dauert es zu lange ...«

»Sehe ich aus wie eine beschissene Göttin, dass ich jetzt schon über Wasser wandeln kann?«, knurrte ich und kämpfte mich frei. Aber ich musste zugeben, dass Charles recht hatte, der Fluss schlängelte sich wie eine vielfach gewundene dunkle Kerbe durch das diffuse Weiß der mörderischen Winterlandschaft.

»Trägt mich das?«, fragte ich zögernd, arbeitete mich aber bereits Richtung Ufer.

Charles lachte, was sich mindestens so seltsam anfühlte, wie es klang. »Das Eis ist mittlerweile dick genug für einen Dinosaurier!«

»Du bist echt komisch ...«, murmelte ich und rutschte auf meinem Hintern die Böschung hinunter.

Und zwar nicht einfach nur so komisch, sondern so komisch komisch ...

... wie der Nachbar eben, der nachts um halb drei Sturm klingelt, weil das Aquarium brennt.

Aber das sagte ich nicht laut, sondern prüfte stampfend die Dicke des Eises und fühlte mich unglaublich albern, weil ich eigentlich wusste, dass der fremdartige Symbiont meine Gedanken lesen konnte. Die Eisfläche schien tatsächlich zu halten. Ich konnte weder verräterischen Risse in der Schneedecke erkennen, noch irgendwelche Knackgeräusche hören.

»Es hält, Alex. Glaub mir ...«

Ich seufzte und hatte eigentlich eh keine Wahl. Rund um mich herum tanzten bereits die ersten Tornados ihre höllische Polka durch die fahle Nacht, die nur vom schwachen Schein der Staubringe des Mutterplaneten erhellt wurde. Nicht mehr lange und die Atmosphäre würde sich verflüssigen. Sollte ich dann noch ...

Ich wollte nicht weiterdenken und rannte los. Das mit den Dinos und dem Eis stimmte wohl doch nicht, denn hin und wieder bildete ich mir ein, unter meinen stakattoartigen Schritten ein helles Knacken zu vernehmen, aber ich brach nicht ein und erreicht nach einer gefühlten Ewigkeit tatsächlich die Einfriedung des Little Big Bear Camps. Ich keuchte erschöpft, die Luft fühlte sich bereits zäh wie Schleim an und jeder Atemzug fühlte sich an, als würde ich ertrinken.

Der Zaun des Camps bestand aus mannsdicken Baumstämmen. Allerdings waren sie nicht senkrecht in den Boden gerammt worden, um nicht an die Optik eines Kavallerieforts aus dem Wilden Westen zu erinnern. Stattdessen hatte man die Stämme mit deutlichen Zwischenräumen waagrecht übereinander angeordnet, so dass der Zaun eher einer mächtigen Jalousie ähnelte, die sich schützend um das Camp schmiegte, ohne den atemberaubenden Ausblick auf die Flora und Fauna von Canis Minor allzu sehr einzuschränken. Die eigentliche Abschirmung erledigte eh das dahinter liegende Prallfeld in Kampfschiffqualität.

Aber das sagte man den besorgten Eltern natürlich nicht.

Ich lehnte mich über einen der unteren Stämme und drückte meine Hand gegen das opalisierende Kraftfeld. Neben atmosphärischen Verwerfungen hielt es zuverlässig alles draußen, was der Computer als von dieser Welt stammend einstufte. Ein Mensch, also ich sollte nicht dazu zählen.

Eigentlich.

Allerdings hatte sich eine Alge von Canis Minor in mir eingenistet und ich hatte nicht den Hauch einer Ahnung, was der Quantenrechner davon halten würde.

Das dauert zu lange ...

Ich starrte auf die schillernden Kreise, die wie Kräuselwellen auf einer Wasseroberfläche von meiner Hand weg drifteten.

Endlose Sekunden vergingen ...

... dann ließ der Druck gegen meine Handfläche nach.

Ich stieß einen spitzen Schrei aus und kippte vornüber, da mir plötzlich der Widerstand fehlte, gegen den ich mich gelehnt hatte. Ich schlug hart auf dem Rundweg auf, der am äußeren Rand des Camps entlangführte, und kochende Hitze flutete meine Lungen mit flüssigem Feuer.

»Moment! Nicht bewegen, das habe ich gleich. Hier irgendwo muss der Nerv gewesen sein. Nein, nicht der ... ich glaube ... ja ... Der vielleicht ... Oh, das sollte noch nicht passieren ...«

Ich riss die Augen auf und atmete wunderbar weiche und warme Luft ein.

»Danke ...«, murmelte ich.

»Menschliche Körper sind echt ein einziges Chaos«, maulte Charles. »Wie könnt ihr eigentlich so leben? Es kann übrigens sein, dass du gleich einen schrecklichen Juckreiz in der Analregion spürst. Einfach nicht kratzen. Ich bring das gleich wieder in Ordnung ...«

Ich verdrehte die Augen, rappelte mich auf und stürmte zu dem Chalet, das ich mir mit drei anderen Mädchen teilte. Ich schälte mich so schnell aus dem Thermoanzug, dass ich mehrmals lautstark gegen die Wand des engen Flurs prallte, pfefferte die zerfetzte Schutzkleidung schließlich in den Reinigungsschacht und drehte im Bad das heiße Wasser der Dusche voll auf.

»Alex! Was machst du da! Willst du dich selbst kochen?«, rief Charles erschrocken in meinem Verstand.

Aber ich ignorierte die Worte des Symbionten und stellte mich unter den Wasserstrahl.

»Alex!«, brüllte das seltsame Wesen, aber da hatte der Computer bereits meine Anwesenheit registriert und die Wassertemperatur auf ein angenehmes Maß herunter reguliert. Die wunderbar heißen Wasserdampfwolken jedoch blieben.

Ich seufzte glücklich.

»Du hast mir einen Schreck eingejagt!«, protestierte der Symbiont verschnupft.

»Sorry«, murmelte ich schläfrig.

»Alex ...«

»Ja?«

»Wir müssen reden ...«

»Worüber denn?«, seufzte ich.

»Du musst mich zum See bringen. Jetzt sofort.«


Fortsetzung folgt am 11.09.2021


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