Acht Jahre zuvor, 12. Juli, 965 NEE, Canis Minor
»Verdammt! Das kannst du doch nicht machen!«, brüllte ich, aber nur die allgegenwärtigen Geräusche des sterbenden Waldes antworteten mir. Das Knacken des gefrierenden Holzes, das Heulen der ersten Böen, die den Eisstürmen vorauseilten und die fernen Rufe der gigantischen Hexapodensaurier, die wie Walgesänge durch die Finsternis hallten.
Ich war allein.
»Komm schon ...«
Die Worte verklangen zu einem verzweifelten Schluchzen. Ich wusste, dass es sinnlos war. Alles. Aber vor allem hier vor dem toten Renner zu knien mit den Händen in der zugefrorenen Pfütze ...
... denn das seltsame Geschöpf war tot.
Daran gab es keinen Zweifel. Das irisierende Leuchten war seit Minuten erloschen und die winzige Wasserlache bis zum Grund zugefroren. Ich konnte nicht einmal mehr meine Finger bewegen, während die Kälte mir das Leben aus den Gliedern saugte.
Scheiße ...
Ich hatte es verbockt.
Mal wieder.
So wie ich immer alles verbockte. Meine akademische Karriere, mein ganzes Leben und natürlich auch meine Zukunft mit Abigail.
Sam hat schon recht.
Irgendwie ...
Was ich mit den Händen aufbaute, riss ich mit dem Arsch wieder ein.
Natürlich war es bitter, dass Sam meine Formel gestohlen hatte. Aber sie hatte einen Grund gehabt. Einen verdammt guten sogar. Nur hatte ich nicht zuhören wollen und stattdessen mein gesamtes Leben auf eine Achterbahnfahrt nach unten katapultiert.
Kann man ja mal machen ...
Hilft nur niemandem. Am allerwenigsten mir selbst.
Aber die Erkenntnis kam so unwillkommen wie spät.
Aus dem Schluchzen wurde hemmungsloses Weinen, während ich auf die verwaschenen Schatten starrte, die sich im Lichtkegel der Schulterlampe unter dem Eis abzeichneten ...
... als wären es nicht einmal mehr Teile meines eigenen Körpers. Ich sollte meine Hände so schnell wie möglich aus dem Eispanzer befreien, bevor sie erfroren – das wusste ich, tief in meinem Inneren. Aber mir fehlte die Kraft, um auch nur einen einzigen Muskel zu bewegen.
Das Wesen war tot, weil ich es umgebracht hatte. Weil ich die Holzsplitter wie ein Berserker herausgerissen hatte, statt sie so vorsichtig wie möglich zu entfernen, um die empfindliche Pflanze nicht noch weiter zu verletzten.
Pflanze ...
... dabei war das Wesen nicht weniger intelligent gewesen als ich.
Mörderin ...
Das Wort geisterte wie ein dunkler Schatten durch meinen Verstand und für einen kurzen verwirrenden Moment fühlte es sich gerecht an, zu sterben.
Ein Leben für ein Leben.
»Du bist ziemlich theatralisch. Weißt du das? Und du hättest wirklich ein wenig behutsamer vorgehen können ...« Die Pfütze erwachte wieder zu leuchtendem Leben und der Eispanzer zwischen meinen Fingern verwandelte sich in herrlich warmes Wasser.
»Bereit?«
Ich öffnete den Mund.
Aber bevor ich antworten konnte, wurden meine Hände taub. Ein seltsames Kribbeln kroch die Arme hinauf, breitete sich aus und fühlte sich an, als würde jemand unter meiner Haut eine Flasche Sekt entkorken. Das Prickeln schwoll an, wurde zu einem unwiderstehlichen Juckreiz, der sich durch jede Faser meines Körpers fraß und meine Nerven wie Magnesiumfackeln entfachte.
Ich wollte schreien ...
... und brachte keinen Ton über die Lippen. Panik riss jeden bewussten Gedanken in mir mit der Urgewalt einer Flutwelle mit sich. Ich wusste nicht, was ich erwartet hatte, aber nicht das. Nicht den unerträglichen Juckreiz, der danach brüllte, dass ich mir die Haut vom Leib kratzte oder den schrecklichen Schmerz, der sich anfühlte, als würde eine Supernova hinter meinen Augen explodieren. Ich sprang auf ...
... aber nichts passierte.
Ich kniete noch immer reglos vor der Pfütze und langsam begriff ich, dass ich keinen einzigen Muskel bewegt hatte ...
... bewegen konnte.
Ich war zur stummen Zuschauerin degradiert, während ein Alien meinen Körper kaperte. Und dann begriff ich. Der gazellengroße Renner war nicht einfach vor der Wasserlache gestorben. Das Pflanzenwesen hatte ihn an einer strategisch günstigen Stelle verenden lassen. Warum auch immer.
»Er hat sich ein Bein gebrochen, als wir vor einem Säbler geflohen sind. Das ist eh sein Todesurteil gewesen. Aber die Entscheidung ist mir nicht leichtgefallen. Glaub mir. Und jetzt hör auf, dich aufzuregen. Die Hormone machen die Sache nicht leichter und uns läuft die Zeit davon.« Die Stimme in meinem Verstand klang zerknirscht und unter den Worten schwamm ein seltsames Gefühl von Trauer.
Ich starrte stumpf auf die Pfütze, deren Leuchten allmählich wieder verblasste.
»Du kriegst deinen Körper ja gleich wieder. Stell dich nicht so an. Die Lähmung war notwendig, damit du nicht wie ein aufgescheuchter Hoot durch die Gegend rennst, während wir uns vereinigen.«
Mir wurde speiübel.
»Echt jetzt? Wir schweben in Lebensgefahr und du willst mich mit deinem autonomen Nervensystem austricksen? Wofür braucht man so was überhaupt? Das ist doch vollkommen überflüssig! Aber bitte ... hier hast du deinen Körper wieder. Ich bin drin.«
Ich fiel wie vom Blitz getroffen auf die Seite und bittere Galle krampfte sich meine Kehle empor.
»Was machst du denn jetzt? Das ist ja widerlich!«, empörte sich die körperlose Stimme.
Ich übergab die Reste meines Abendessens in den schlammverkrusteten Schnee.
»Machen Menschen so was öfter?«, fragte das Pflanzenwesen spürbar erschüttert.
Ich rollte mich auf den Rücken und murmelte erschöpft. »Nein ...«
»Gut ... das ist nämlich ziemlich eklig ...«
»Nein! Eklig ist, dass du in mich eingedrungen bist und mich dabei betäubt hast!« Ich schloss die Augen, während ein Sturm aus Wut, Verwirrung und Verzweiflung durch meine Seele tobte.
»Und was hätte ich ...«
»Du hättest mit mir reden sollen, verdammt!«, unterbrach ich die Stimme in meinem Kopf barsch. »Du hättest mir erklären müssen, was du mit mir vor hast ... bevor du es einfach tust! Das ist ja wie eine ...«
Ich brach ab.
»Hast du runtergezählt, bevor du die Splitter einfach aus mir herausgerissen hast?«, konterte das Pflanzenwesen.
Ich seufzte. »Und was machen wir jetzt?«
»So schnell wie möglich zum Lager deiner Leute gelangen, würde ich vorschlagen. Rennen wäre vielleicht eine gute Idee.«
Fortsetzung folgt am 24.07.2021
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Ratpack 7
Science FictionDie Menschheit hat die Sterne erobert und die Macht des Ewigen Imperiums schenkt ihr ein scheinbar goldenes Zeitalter, in dem mehr Dunkelheit als Licht herrscht. Mein Name ist Alexandra Wilson, Mathe - Nerd, Social - Noob und sonst alles dazwischen...