10. Heimweh

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Am nächsten Morgen komme ich nicht aus dem Bett. Ich kann mich nicht dazu motivieren, aufzustehen.

Ich vermisse zuhause.

Ich bin noch gar nicht lange in Italien, nicht mal zwei Monate, doch auf einmal habe ich unglaubliches Heimweh. Ich vermisse das Kochen mit meinen Eltern, Filme schauen mit Jana und die Abende, die ich mit meinen Freunden zusammen verbracht habe. Gestern Abend mit Alexander über unser Protokoll und anschließend über unsere Heimat zu sprechen hat mein Heimweh definitiv verstärkt.

Ich wälze mich im Bett herum und taste nach meinem Handy auf dem Nachttisch. Meinen Wecker habe ich heute Morgen einfach ausgeschaltet und mich dann wieder umgedreht, um weiterzuschlafen. Jetzt sehe ich, dass ich damit erfolgreich meine erste Vorlesung für heute verschlafen habe. Was soll's, ist ja nicht so als könnte ich den Stoff nicht nachholen.

Statt also panisch loszueilen, beschließe ich, auch meine Vorlesung am Nachmittag ausfallen zu lassen. Heute fühle ich mich dazu echt nicht in der Lage.

Die Ziffern auf meinem Handy zeigen mir an, dass es mittlerweile Mittag ist. Ich sehe ein paar Nachrichten aus dem Gruppenchat mit Vic, Damiano, Ethan und Thomas. Sie haben sich erkundigt, wo ich bleibe und dann Bescheid gesagt, dass sie ohne mich Mittagessen gegangen sind. Ich mache mir nicht die Mühe, darauf zu antworten.

Um nicht komplett in meinen Gefühlen zu versinken, zwinge ich mich, aufzustehen. Ich laufe in meine Küche und mache mir einen Tee. Ich bleibe in meinem weiten Schlafshirt, aber wenigstens binde ich mir die Haare aus dem Gesicht. Während ich an meinen Tee nippe, nehme ich mir vor, heute Abend bei meiner Familie anzurufen. Das wird mich hoffentlich aufmuntern.

Eine neue Nachricht ploppt auf meinem Handy auf und reißt mich aus meinen Gedanken. Damiano hat mir geschrieben und fragt nach, ob es mir gut geht. Ich antworte ihm, dass ich Heimweh habe und mich heute ausruhen will. Er schreibt sofort zurück und fragt, ob er vorbeikommen soll oder ob ich lieber für mich sein will. Ich überlege kurz. Mir würde es vielleicht ganz guttun, wenn jemand vorbeikommt mit dem ich reden kann. Ich schreibe ihm und er antwortet, dass er in zehn Minuten bei mir sein wird.

Und tatsächlich, keine viertel Stunde späte steht Damiano schon in meiner Küche. Er hat begonnen, mir etwas zum Mittagessen zu kochen, während ich mit meinem Tee auf der Arbeitsfläche neben ihm sitze und erzähle, wie es mir geht.

„Ich weiß wirklich nicht, woher das auf einmal kommt. Ich meine, ich kann ja meine Familie jederzeit anrufen und mit ihnen reden. Und es ist auch nicht so, dass ich nach Deutschland zurück will, es fühlt sich einfach nur alles komisch an", beende ich meinen Gedankenstrom.

„Heimweh heißt ja nicht unbedingt, dass man wieder zurück nach Hause will. Das ist doch eher das Gefühl, wenn man etwas ganz spezielles vermisst" antwortet Damiano. Er schöpft die Gemüsesuppe, die gerade fertig geworden ist, auf einen Teller. Dann verziert er es mit Basilikumblättern. Ich muss darüber lachen, wie er versucht, ein glückliches Gesicht darzustellen.

„Hey, schau mal, wenigstens kann ich dich noch zum Lachen bringen. Dann kann es hier ja gar nicht so schlimm sein", sagt er ebenfalls lachend. Er stellt den Teller auf den Tisch und setzt sich gegenüber davon hin. Ich nehme auch am Tisch Platz.

Ich probiere von der Suppe. Sie schmeckt wirklich gut. Ich lobe Damianos Kochkünste und bedanke mich dafür, dass er für mich gekocht hat. Er winkt ab.

Für einen Moment breitet sich Schweigen aus. Doch die Stille ist nicht unangenehm. Ich hänge weiter meinen Gedanken nach, bevor ich sage: „Ich glaube, ich habe einfach gedacht, dass ich in der Zeit, in der ich schon in Rom bin, schon mehr gemacht hätte"

Morirò da ReginaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt