30. Nicht das Ende

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Am nächsten Morgen packe ich noch meine letzten Sachen in den Koffer. Ich entscheide mich dazu, Damianos Pullover direkt anzuziehen, statt ihn in meinen Rucksack mitzunehmen. Ich wollte ihn im Flugzeug in Reichweite haben, aber so ist es noch besser.

Jemand vom Studentenheim kommt vorbei. Es wird geschaut, ob mit meinem Apartment alles in Ordnung ist und ich gebe die Schlüssel zurück. Danach gehe ich zu Vic, um mit ihr darauf zu warten, dass die Jungs uns abholen. Damiano, Vic, Ethan und Thomas haben darauf bestanden, dass sie mich alle zum Flughafen bringen. Und ich habe ehrlich auch nichts dagegen.

„Aufgeregt?", fragt Vic mich, während sie Tee für uns beide kocht. Auf ihrem Sofa sitzend habe ich meine Arme um meine Knie geschlungen und beobachte sie, wie sie in der Küche hantiert.

„Etwas. Einerseits freue ich mich, meine Familie und meine Freunde wiederzusehen, andererseits ist es ein sehr komisches Gefühl zu wissen, dass ich wahrscheinlich nicht so schnell wieder hierherkomme", sage ich.

Vic bringt den Tee mit, reicht mir eine Tasse und setzt sich neben mich. „Das glaube ich. Solange weg zu sein ist bestimmt merkwürdig"

„Allerdings. Ich glaube, ich muss mich dann auch erstmal wieder an Berlin und die Leute dort gewöhnen", sage ich.

Vic lächelt mich an. „Wenn wir mal wieder meine ganze Familie in Dänemark besuchen muss ich mich auch immer erst wieder darauf einstellen"

Dann trinken wir beide von unserem Tee. Nach der kleinen Pause sagt Vic: „Was ist eigentlich mit dir und Damiano, wenn du wieder in Berlin bist?"

„Er meinte, dass sich nicht so viel zwischen uns verändern wird"

„Sicher? Fernbeziehungen sind schon nochmal etwas anderes", sagt sie vorsichtig.

„Ich weiß, ich mache mir auch Sorgen darüber", seufze ich. Ich habe mir oft darüber Gedanken gemacht und meistens waren sie nicht so glücklich. Ich will Damiano nicht verlieren, nur weil wir nicht mehr in der gleichen Stadt wohnen. „Aber ich denke, wenn wir beide Arbeit hineinstecken wird unsere Beziehung nicht daran zerbrechen. Hoffe ich zumindest"

Vic überlegt kurz. „Ich glaube, du und Damiano werdet das schon überstehen. Vielleicht wird es manchmal anstrengend werden, aber ihr zwei seid füreinander gemacht, das schafft ihr"

„Danke, dass du das sagst", sage ich ehrlich. Ihre Worte geben mir das Gefühl, dass es schon nicht so schlimm werden wird, wie ich es mir manchmal vorstelle.

Danach dauert es nicht lange bis die Jungs uns abholen. Thomas hinter dem Steuer und Ethan auf dem Beifahrersitz begrüßen uns mit einem Winken. Damiano ist ausgestiegen und hilft mir, meinen Koffer und meinen Rucksack im Kofferraum zu verstauen. Während Vic einsteigt sagt er zu mir: „Du hast ja den Pullover an"

„Ja", sage ich und schaue an mir herunter, „Ich wollte dich nah bei mir haben sobald ich nichtmehr direkt neben dir stehen kann"

Damianos Gesichtsausdruck verwandelt sich zu etwas, was sich am besten als bittersüß beschreiben lässt. Bevor er etwas antworten kann, hupt Thomas, um uns zum Einsteigen aufzufordern. „Na los ihr Turteltauben, wenn Maya nicht ihren Flug verpassen will müssen wir jetzt los"

Damiano und ich steigen ein und sofort fährt Thomas los. Die Fahrt zum Flughafen geht recht schnell. Wir alle wissen nicht so recht, was wir sagen sollen, deswegen kommt nur etwas Smalltalk zustande. Oft schweigen wir auch alle und lauschen nur dem Radio. Keiner von uns singt ausgelassen mit wie auf unserem ersten gemeinsamen Ausflug.

Ich halte die Fahrt über Damianos Hand. Auch nach dem Aussteigen beim Weg über den Parkplatz lasse ich seine Hand nicht los. Wir laufen alle langsamer als sonst. Thomas, Ethan und Damiano sind sogar zwischendurch stehen geblieben, um sich noch eine Zigarette anzuzünden. Keiner von uns will, dass der Moment kommt, indem wir uns trennen müssen.

Schließlich jedoch wende ich mich an die anderen. „Okay, das ist der Teil, in dem wir uns verabschieden"

„Wir können dich noch reinbringen", sagt Ethan.

Ich schüttle den Kopf. „Ich will mich lieber nicht auf den Weg umdrehen, um euch zu sehen. Dann fange ich noch an zu weinen"

„Ohh, wir werden dich auch vermissen", sagt Vic und stupst mich aufmunternd an.

„Genau! Du kannst uns jederzeit wieder in Rom besuchen kommen", sagt Thomas.

Ich lächle. „Und ihr könnt gerne alle mal nach Berlin kommen"

„Wir werden uns alle schon viel eher wiedersehen als wir denken", sagt Damiano und drückt meine Hand.

Ethan sagt: „Und bis dahin updaten wir uns regelmäßig im Gruppenchat, verstanden?"

„Alles klar", sage ich. Dann ziehe ich sie alle in eine große Umarmung. Ich habe sie so verdammt lieb.

Ich verabschiede mich von Ethan, Thomas und schließlich Vic. Danach treten die Drei ein Stück zur Seite, um Damiano und mir etwas Raum zu geben.

Er streckt mir seine Hand entgegen. Zwischen seinen Fingern klemmt die halb gerauchte Zigarette und ein Zettel. Ich nehme diesen entgegen.

„Was ist das?", frage ich und mache mich daran, ihn zu entfalten.

Doch Damiano hält mich auf. „Warte, noch nicht jetzt öffnen. Du kannst ihn lesen, wenn du im Flugzeug bist. Oder besser noch, lies ihn, wenn du mich vermisst"

Ich kaue auf meiner Lippe bei dem Gedanken daran, wie sehr ich Damiano vermissen werde. „Das wird bestimmt eher passieren, als mir lieb ist", sage ich. Dann stecke ich den Zettel behutsam in meinen Rucksack.

Als ich mich wieder aufrichte hält Damiano mein Gesicht plötzlich in seinen Händen. Mit der Berührung meiner Wangen richtet er meinen Kopf so, dass ich ihm direkt in die Augen schaue. Ich nehme an, dass ich genauso traurig schaue wie er.

„Ich werde dich auch vermissen, Ciccina", sagt er.

Wir beugen uns zueinander, um uns zu küssen. Diesmal ist es kein sanfter wie zu Silvester. Unsere Lippen treffen leidenschaftlich aufeinander. Ich schlinge meine Arme um Damianos Oberkörper um ihn noch näher an mich zu ziehen, als könnte ich nicht genug von ihm kriegen. All unsere Ungewissheit und Angst für die Zukunft spiegelt sich in dem Kuss wider. Ich spüre seine Lippen heiß auf meinen. In den kurzen Momenten, in denen sie sich nicht berühren, lehne ich mich noch mehr an Damiano, um ihm so nah wie möglich zu sein.

Letztlich löst er sich von mir. Seine Hände lassen mein Gesicht los, stattdessen legt er seine Arme um meine Schultern. Während Damiano mich umarmt drückt er mir einen Kuss auf den Haaransatz.

Ich habe nicht das Gefühl, etwas sagen zu müssen. Es gibt auch kaum Worte, die ausdrücken könnten, wie ich mich gerade fühle. Ich atme nur tief ein und versuche, diesen Moment für immer festzuhalten. Damiano in meinen Armen, ich in seinen.

Doch auch dieser Moment vergeht und wir lösen uns schließlich final voneinander. Ich greife nach meinem Koffer und trete einen Schritt zurück. Dann winke ich den anderen zu. Sie rufen mir Wünsche für eine gute Reise zu.

Ich lasse meinen Blick ein letztes Mal zu Damiano schweifen. Seine Augen sind auf mich gerichtet. Ich versuche zu lächeln. Aber ich merke, wie ich blinzeln muss, um nicht zu weinen.

„Wir sehen uns wieder", sage ich leise.

Damiano hört mich. Er antwortet: „Das werden wir"

Dann drehe ich mich um und laufe zum Eingang. Mein Herz wird mit jedem Schritt schwerer. Ich kann förmlich die Blicke der anderen auf mir spüren. Aber ich werde mich nicht umdrehen. Ich will nicht weinen.

Das ist nicht das Ende, versuche ich mir in Erinnerung zu rufen. Ich werde meine Freunde wiedersehen.

Doch als ich gerade durch die Tür trete werfe ich meinen Plan über den Haufen. Ich drehe mich zu den Vieren um. Ethan, Thomas, Vic und Damiano stehen noch an der gleichen Stelle. Als sie bemerken, dass ich zu ihnen schaue, winken sie mir sofort zu. Ich sehe sogar, wie Vic auf und ab springt, um sicherzugehen, dass ich sie über die Menschenmenge hinwegsehen kann.

Ein Lächeln breitet sich in meinem Gesicht aus. Ich hebe meine Hand und winke zurück. Dann werde ich von der Menschenmenge mitgerissen und weiter in den Flughafen hineingedrängt. Ich sehe gerade noch, wie Ethan seinen Arm um Damiano legt, um ihn zum Gehen zu bringen.

Und dann laufen mir doch Tränen über die Wangen.

Morirò da ReginaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt