32. 💎

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Vögel um mich herum zwitscherten, Regentropfen landeten auf meinem Gesicht und die kalte Morgenluft umhüllte mich. Ich torkelte schmerzerfüllt durch den Wald, keine Ahnung wo genau ich überhaupt war.
Mein Gesicht, meine Wirbelsäule und meine Rippen schmerzten, wahrscheinlich hatten sie mir alles geprellt. Mein Intimbereich brannte wie Feuer und ich fühlte mich eklig, dreckig und absolut abwertend. Meine Jeans war an den Knien zerrissen und mein Oberteil hatte auch schon bessere Tage erlebt.
Die Polizisten hatten mich einfach im Dreck liegen gelassen, wahrscheinlich dachten sie ich sei tot.
Man sagt Polizisten sind Freund und Helfer, tja nicht alle sind so. Warum auch immer sie grade mich dafür ausgesucht haben weiß ich nicht, doch sie kannten mich durch Ibo. Ob er was damit zutun hatte bezweifelte ich, dafür war er einfach viel zu lieb und fürsorglich. Als ich aufgewacht bin, erinnerte ich mich leider direkt wieder an alles. Am liebsten hätte ich sogar vergessen wer ich war. Jede Berührung, Geruch und schmerz den ich fühlte steckte tief in mir und ich konnte nichts davon verdrängen.
Ich hatte keine Ahnung wie viel Uhr es war, mein Handy war tot. Ob Akku oder Schrott wusste ich nicht. Zumindest hatten sie mir nichts weg genommen, außer meine würde. Ja die hatten sie mir geraubt. An eine Anzeige hatte ich gedacht, doch wer würde mir schon glauben. Polizisten tun sowas doch nicht, niemals. Meine Gedanken kreisten sich, wodurch meine Kopfschmerzen immer schlimmer wurden.

Keine Ahnung wie lange ich schon durch den Wald irrte, aber ich konnte mich nirgends orientieren außer am Waldweg. Entweder komme ich am Rande von Hamburg raus oder irgendwo in Buxtehude.
Nach einer Weile konnte ich eine Lichtung am Waldrand erkennen und sah dort auch einen Wegweiser. So schnell ich konnte lief ich hin und hatte immer noch keine Ahnung wo ich war. Doch am Schild stand 18 km bis nach Hamburg. Mit meinem Tempo und den Schmerzen würde ich erst gegen Abend zuhause ankommen. Ich atmete tief durch und die nächste Welle der Verzweiflung überfiel mich und ich fing wieder an zu weinen.
Ich verstand einfach nicht warum und wieso es ausgerechnet mich treffen musste. Was hatte das Schicksal mit mir vor?

Ich war schon wieder eine Weile unterwegs und zwischenzeitlich kam endlich die Sonne raus die meine Sachen trocknete. Meine kleine Panikattacke hatte ich schon hinter mir gelassen, ich wollte weiter. Nachhause, ein Bad nehmen und schlafen.
Von weitem sah ich eine befahrene Straße, Hoffnung machte sich breit und ich lief so schnell ich konnte hin und stellte mich an die Straße. Keiner schien anhalten zu wollen, wahrscheinlich sah ich verstörender aus als ich es wahrhaben wollte. Irgendwann hielt eine ältere Dame an und fuhr ihre Fenster runter. „Mäuschen wie siehst du denn aus? Ist dir denn irgendwas passiert?" fragte sie mich in ihrem Norddeutschen Dialekt, aber ich antwortete nicht direkt sondern erschrak mich vor meinem eigenen Spiegelbild. Ich hatte ein mächtiges blaues Auge und meine Unterlippe war dick und auch blutunterlaufen. Tränen liefen mir erneut über die Wange und ich erinnerte mich gefühlt zum fünfzigsten Mal an die Schmerzen und Schläge der beiden. „Oh Kindchen, komm setz dich." die Dame sah mich mitleidig an und öffnete mir von innen die Tür. Ich zögerte, aber nach kurzem überlegen stieg ich ein.
Sie versuchte mich die ganze fahrt lang zu überreden mich ins Krankenhaus zu fahren, doch ich verweigerte strikt.
Schlussendlich brachte sie mich nachhause und ich bedankte mich mehrfach bei ihr.

Völlig verloren stand ich in meinem Flur und bemerkte wie Erleichterung sich in mir breit machte. Endlich war ich wieder in meiner geschützten Umgebung.
Ich war noch keine 10 Minuten zuhause, da klopfte es schon an meiner Tür. Ich sah sehnsüchtig zu meinem Badezimmer. „Bitte mach die Tür auf." Marten.
Ich bekam Herzrasen. Wie versteinert stand ich nun im Flur. Langsam und so leise wie ich nur konnte bewegte ich mich zum Badezimmer, vielleicht würde er ja verschwinden wenn ich nicht antwortete. So sollte er mich nicht zu Gesicht bekommen. „Lyra, ich weiß dass du da bist. Entweder machst du freiwillig die Tür auf oder ich trete sie ein." Martens Stimme war ruhig aber forsch. Ich atmete tief durch und fuhr mir durch die Haare. Natürlich gab ich nach, ich hatte keine Lust auf eine kaputte Tür, so öffnete ich sie zögerlich. Marten streckte den Kopf durch die Tür und musterte mich. Ich konnte nicht erkennen wie seine Stimmung war, seine Miene war eiskalt. „Was ist passiert?" flüsterte er und kam in meine Wohnung. Er schloss die Tür hinter sich und musterte mich ein weiteres mal. „Ich bin blöd gefallen." murmelte ich und drehte mich um. „Was ist passiert Lyra?" fragte er nochmal mit Nachdruck und lief mir hinterher. „Ich möchte Duschen Marten." sagte ich gefasst und biss mir auf die Backe um die Tränen zurück zu halten. „Du gehst erst Duschen wenn du mir erzählt hast was passiert ist." ein schauer lief über meinen Rücken, seine Herrische Art machte mir angst, ich wollte flüchten, ich betrat mein Badezimmer und wollte die Tür hinter mir schließen, nur kam er mir dazwischen und stellte seinen Fuß in den Weg. Mit einer Leichtigkeit schob er die Tür auf und stand nun wieder mal vor mir. Seine Größe machte mir manchmal schon Angst, vor allem wenn er in seinem Angels-Mode ist. „Du würdest mir eh nicht glauben." murmelte ich leise und drehte meinen Kopf weg. „Natürlich glaube ich dir." er legte seine Hand auf meine Schulter doch ich zuckte sofort weg. Wieder musterte er mich. „Ich glaube dir Ly, vertraust du mir?" sein Gesicht wurde weich und ich konnte ein leichtes lächeln erkennen. Auch seine Augen strahlten Geborgenheit, Wärme und Vertrauen aus. „Du musst mir schwören, dass du es niemandem erzählst, nicht mal John. Schwöre auf Chopper, dein Bike und alles andere was du liebst!" sagte ich mit gebrochener Stimme und sah ihm tief in die Augen. „Ich schwöre, es bleibt unter uns."
Ich setzte mich auf den Badewannenrand und Marten lehnte sich an meinem Waschbecken ab. Langsam fing ich an zu reden, erzählte was passiert war und an was ich mich erinnern konnte. „Die Bullen? Im Ernst?" Marten spannte sich an und schien gleich die Fassung zu verlieren. „Du musst die anzeigen!" fügte er noch hinzu, doch ich schüttelte den Kopf. „Das sind Polizisten, die werden mir niemals glauben!" sagte ich mit zitternder Stimme Marten schien zu überlegen und atmete einmal tief durch bevor er weiter sprach. „Darf ich mir deinen Rücken ansehen?" ich nickte und stand auf um mein Shirt ein Stück hoch zu ziehen. Er zischte laut auf. „Du solltest ins Krankenhaus und das abchecken lassen. Vor allem deine Rippen, die linke Seite ist von oben bis unten blau. Nicht das was gebrochen ist." sagte er und schob mein Shirt noch ein Stück weiter hoch um mein Rücken besser sehen zu können. „Bitte lass mich dich ins Krankenhaus bringen." sagte er besorgt und ich nickte nach kurzem überlegen. „Darf ich dann jetzt duschen?" fragte ich nun und er nickte, verließ das Bad und stapfte ins Wohnzimmer.

Nach dem Duschen fühlte ich mich schon viel besser, ich huschte aus dem Bad in mein Schlafzimmer und zog mich an. Als ich in mein Wohnzimmer ging, saß Marten auf meiner Couch und tippte in seinem Handy rum. „Wieso bist du eigentlich hier?" fragte ich und setzte mich neben ihn. „John ist sauer auf dich weil du nicht zum verabredeten Zeitpunkt vor dem Studio warst und er ohne dich abreisen musste, dabei hast du dich doch schon Tage lang auf das Festival gefreut. Also hab ich aus eigener Hand meine Jungs los geschickt, damit die abchecken wann du das Haus verlässt oder betretest. Tomasz hat dann vorhin gesehen wie du aus dem Auto der alten Dame ausgestiegen bist. Eigentlich war nur der Plan bescheid zu geben dass du zuhause bist, aber so wie du ausgesehen hast, hab ich einen Anruf bekommen und sollte nach dir sehen. Keine Sorge, John hab ich nichts davon erzählt, aber das solltest du." erzählte er mir genau und ich nickte. Nur wann ich mich trauen würde es ihm zu erzählen wusste ich nicht. „Können wir dann los?" fragte er mich und wieder nickte ich.

Im Krankenhaus wurde ich komplett durchgecheckt. Es wurden auch gleich alle Wunden und Hämatome dokumentiert falls ich doch zeitnah eine Anzeige machen wollte. Natürlich bekam ich auch gleich ein Psychologisches gutachten und wurde für mindestens einmal wöchentlich zur Psychotherapie geschickt. Marten hatte mir zwischenzeitlich ein neues Handy besorgt, da meins gar nicht mehr ging. Wir vermuteten Wasserschaden durch den Regen. Zum Glück hatte ich alles auf der Cloud gespeichert und konnte in ein paar Minuten wieder voll mit meinem neuen Handy starten.
Das erste was mir entgegen gesprungen kam waren Johns tausende Nachrichten, wie sauer er doch auf mich war und dass er sowas unzuverlässiges noch nie hatte. Ich atmete tief durch und sah zu Marten, welcher mir nur ein ermutigendes Lächeln schenkte.
„Willst du denn noch zum Festival?" fragte er mich und ich zuckte mit den Schultern „Ich weiß nicht. Irgendwie ja total gerne, aber ich weiß nicht wie John reagiert wenn er mich dann so sieht." murmelte ich und zeigte auf meine Hämatome im Gesicht. „Okay. Macht es dir denn was aus wenn du bei mir solange bist? Ich möchte dich einfach nur in Sicherheit wissen. Nicht dass die Bullen plötzlich vor deiner Wohnung stehen." murmelte er und ich überlegte, er war im Moment der einzige Mann dem ich vertrauen konnte und es würde mir auch gut tun. Marten wusste wie er mit mir umzugehen hatte und ablenken konnte er mich auch super. Ich nickte zögerlich. „Aber nur wenn ich dir auch wirklich nicht zur Last werde." sagte ich leise und trat gegen einen kleinen Kieselstein. „Ach was, du bist die bessere Hälfte von meinem Cousin. Du wirst mir niemals zur last fallen." sagte er und zog mich in seine Arme. Zuerst erstarrte ich, doch ich kuschelte mich recht schnell an ihn ran und genoss seine wärme und Geborgenheit.

Wir entschlossen uns, dass ich nur so lange bleiben würde wie John weg war. Im Normalfall wenn nichts dazwischen kommen sollte dann wären es drei Tage. Ich verfolgte mit Marten das Festival live auf der Website, während ich nebenbei in seiner Küche stand und als Dank für seine Freundschaft uns etwas  kochte.
Ich verfolgte auch nebenher die Instastorys der Jungs und sie schienen viel Spaß zu haben. Mit Rina hatte ich etwas Kontakt, doch sie ließ ihr Handy hauptsächlich in ihrer Tasche. Natürlich hatte ich ihr nichts erzählt, sie würde es nur unnötig raus posaunen und die Hühner verrückt machen. Ich wollte dass alle ihren Spaß behielten, auch wenn ich sehnsüchtig eine Träne verdrückte. Es hatte mich erneut traurig gestimmt und wieder war dieser Gedanke dass ich nicht verstand wieso ausgerechnet mir sowas passieren musste. Ich musste mit Ibo darüber reden, ich wollte wissen wie gut er mit diesen Kollegen war und ob sie vielleicht schon mal sowas gemacht haben. Es ließ mir keine Ruhe mehr.
Ein letztes Mal am Abend sah ich mir Johns Instastory an und mein Herz wurde schwer und verzog sich stark in meiner Brust. Ich vermisste ihn, viel zu sehr. Ich hatte mich schon einige Male entschuldigt, doch er war gar nicht mehr drauf eingegangen. Natürlich hoffte ich er würde mir irgendwann schreiben, dass wieder alles gut wäre. Aber noch mehr hoffte ich, dass er keine scheiße bauen würde.

Kopfgeficke. || Bonez Mc FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt