KAPITEL 10

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Y O O N G I

Laute Musik hallte durch das ganze Apartment, als ich die Tür öffnete und quälend drein blickte. Ich schlüpfte aus meinen Schuhen, ließ meinen Rucksack auf halben Weg liegen und betrachte die Show vor mir, als ich vor der Küche stehen blieb. „Oh Yoongi, du bist zuhause. Ich hab Essen gemacht!", rief die Frau mit den langen schwarzen Haaren und drehte sich belustigt im Kreis. „Man Mama, dass ist viel zu laut!", rief ich zurück und lief geraden Weges zur Box, bei der ich die Lautstärke runterfuhr.

„Woah, du bist so ein Spielverderber", schmollte sie und lehnte sich mit verschränkten Armen an die Theke. „Das wirst du später noch bereuen, wenn du weiter so ein Spielverderber bleibst", hing sie dran und wedelte mit dem Pfannenwender rum, ehe sie sich zurück zum Herd drehte, an welchem sie anfing zu summen und gleichzeitig ihre Hüften schwing. Ich stellte mich hinter sie, um ihr über die Schulter zu schauen. „Seit wann kochst du?", fragte ich belustig, woraufhin sie
empört schnaubte. „Seit dem dein Bruder und du leben, also werd nicht frech." Ich musste grinsen und lehnte mich neben sie.

„Wie lief die Schule?", fragte sie, stellte sich gegenüber von mir und behielt den vor sich hin kochenden Topf im Blick. Mit wartendem Blick sah ich sie an. „Du hast Herrn Lee angerufen und mich beim Nachhilfeunterricht angemeldet. Wie soll die Schule da schon laufen." Mit schrägem Kopf sah sie mich an. „Yoongi, du brauchst diese Nachhilfe. Das weißt du genau so gut wie ich und auch dein Direktor weiß es." Ich ließ einen langen Seufzer los. „In Ordnung, aber er hat mir einer der schlimmsten Schüler als Lehrer gegeben", stolz nickte sie.

„Ich hab ihn gebeten, jemanden zu suchen der gut vorankommt, ich wollte halt den besten. Außerdem hat Herr Lee nur gutes über ihn gesagt", genervt verdrehte ich die Augen. „Stell dich nicht so an, so schlimm kann er doch nicht sein." „Du bezahlst ihn sogar noch!", rief ich aufgebracht. „Ja, als Entschädigung weil er dich als Schüler hat, da würde ich auch eine Gegenleistung verlangen", lachte sie plötzlich und genervt knurrte ich. „Vielleicht freundet ihr euch doch noch an und du verliebst dich auf wundersame Weise in ihn", fing sie an mich zu necken und nun war ich derjenige, der anfing zu lachen. Meine Mutter sah mich mit hochgehobenen Augenbrauen an. „Nichts ist unmöglich, Yoongi", sagte sie und lief kopfschüttelnd zurück zum Herd.

Perplex sah ich drein. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, mich in jemanden wie Jimin zu verlieben. Wir konnten ja nicht mal mehr am selben Tisch sitzen, ohne uns eine Beleidigung an den Kopf zu werfen oder uns gegenseitig mit vernichtenden Blicken anzusehen, als würden wir gleich aufeinander losgehen. Zwar kannte ich ihn nicht so gut, aber ich wusste das er arrogant, abweisend und frech war.

Manchmal wenn ich ihn ansah, suchte ich einen Grund, weshalb wir uns nicht ausstehen konnten, aber ich fand nie eine Antwort. Davor war er mir nicht mal aufgefallen. Er sah aus wie einer aus der schüchternen Sorte, die Schüler die ganz hinten saßen und nur was sagten, wenn sie dazu aufgefordert wurden, dabei hatte er einiges an Selbstbewusstsein. Er war in vielen Fächern mehr als gut, wahrscheinlich lernte er nur den ganzen Tag, aus Angst eine Note tiefer als die Eins zu bekommen.

„Setz dich, Yoongi. Es gibt Essen", rieß mich meine Mutter aus den Gedanken und fing an, den Tisch zu decken. Ich setzte mich auf einer der schwarzen Barhocker und sah ihr leise zu. Sie stellte mir eine Schale Bibimpab unter die Nase und nahm neben mir Platz. „Wie lange bleibst du diesmal?", fragte ich in die Stille hinein, musterte sie von der Seite und griff nach meinem Stäbchen. „Nicht lange, ich muss bald wieder zurück. Wieso? Willst du mich etwa schon wieder los haben?" Stutzig sah sie mich an, warf ihr Haar zurück und hob die Stäbchen vom Tisch.

Grinsend schüttelte ich den Kopf, doch sie sah mich nur seufzend an. „Tut mir leid, Yoongi. Du musst dich sicherlich einsam fühlen." Ich fuhr mir mit einem Finger über die Mundwinkel. „Du weißt, dass es mich nicht mehr stört. Ich hab mich dran gewöhnt", nuschelte ich und kaute auf dem Reis rum, den ich mir soeben reinschob. „Sprich nicht mit vollem Mund", gab sie mit einem gespielt wütenden Unterton von sich und musterte mich warnend, was sich jedoch zu einem Lachen verzog.

Ich entschuldigte mich nur grinsend, ehe ich die Stäbchen wieder in die Schale fahren ließ, als ich spürte, wie meine Haare zur Seite gestrichen wurden. Schnell wich ich zurück. „Man Mama!", hielt ich sie auf, indem ich sie vorwurfsvoll ansah. „Ich hab so einen hübschen Sohn", antwortete sie verträumt und ging nicht weiter auf meine Gestik ein. Ich verdrehte die Augen, fuhr mir durch die Haare, die sowieso nicht mehr zu retten waren und konzentrierte mich auf mein Essen.

Auch meine Mutter fing an, sich ihrem Essen zu widmen, während sie sich auf dem Barhocker zu mir drehte. „Mein Flug geht morgen um neun, damit du Bescheid weißt", sagte sie, bevor ich mir das letzte Stück Fleisch reinschob und darauf herum kaute. Meine Mutter war als Beruf eine hervorragende Designerin, welchen sie in Daegu, meiner Heimatstadt, ausführte, weshalb sie alle Wochen mal zwischen den Städten wechselte, damit wir uns sehen konnten. Mit anderen Worten, ich lebte alleine in unserem großen Appartement. Normalerweise war sie aber nie lange weg, es waren vielleicht einige Tage oder auch mal eine Woche, in der wir uns nicht sahen. Meine Eltern waren seit dem ich fünfzehn war geschieden, einer der Gründe, wieso auch mein Vater nicht mit hier wohnte.

Glücklicherweise sind sie im Guten auseinander gegangen, somit gab es keine Probleme zwischen den beiden und sie verstanden sich gut. Natürlich war es damals eine totale Veränderung für uns alle, ganz besonders für meinen Bruder Yong-Ho und mich, da wir solch eine Wendung niemals erwartet hätten, aber wer hätte das auch? Doch es war im Endeffekt besser, als wenn sie noch zusammen wären. Zu viele Streitigkeiten, Vorwürfe und Meinungsverschiedenheiten gab es täglich zwischen ihnen, solange, bis sie es für besser hielten die Scheidung in Betracht zu ziehen. Danach konnte man deutlich sehen, dass es den beiden besser ging und sie anfingen, sich zu verstehen, was uns unheimlich freute.

Mein Bruder war mittlerweile vierundzwanzig und wohnte mit seiner Freundin zusammen in Seoul, weshalb er öfters mal vorbeikam um nach mir und wenn unsere Mutter gerade da war, zusehen. Wir haben ein sehr gutes Verhältnis zueinander, was sich nach der Scheidung verstärkt hatte, da er in dieser Zeit oft für mich da war und viel mit mir unternommen hatte, um mich auf andere Gedanken zu bringen, selbst, wenn es ihm mal deswegen nicht so gut ging.

𝙎𝘼𝙑𝙀 𝙈𝙀  / 𝙥𝙟𝙢 𝙭 𝙢𝙮𝙜Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt