KAPITEL 28

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J I M I N

Ich ließ als letztes das Mathebuch in meinen Rucksack fallen, bevor ich diesen mit einem Ruck des Reißverschlusses zuzog und auf meinen Rücken warf. So, wie jeden Tag, lief ich schnurstracks und mit schnellen Schritten nach unten in den Flur, in welchem ich mir meine Jacke und Schuhe überstreifte, um nach draußen in die kalte Luft zu treten. Erleichtert atmete ich aus, nachdem ich die Tür geschlossen hatte und über den Vorgarten raus auf den Gehweg trat.

Viel zu früh war ich wieder losgelaufen, obwohl heute an dem Mittwoch, die ersten beiden Stunden ausfielen. Doch oft war ich auch so einfach schon zu früh wach und fühlte mich zu eingeengt, als noch länger in diesem Haus warten zu müssen. Ich lief ein Stück, bis ich meinen Rucksack absetzte und dort meine Kopfhörer aus einen der kleinen Taschen rauszog. Danach setzte ich diesen wieder schnell auf, steckte mir die Kopfhörer rein und fischte mein Handy aus meiner Hosentasche. Auf diesem ließ ich einer meiner Playlisten auf Shuffle abspielen und machte mich mit langsamen Schritten weiter auf den Weg zur Schule.

Unerwartet, aber nicht wirklich überrascht, betrat ich den leeren Schulhof, nachdem ich durch das offene Tor hineinlief. Ich sah mich etwas um, vielleicht würden sich ja doch ein paar Schüler aus meiner Klasse hinter den Feuertreppen verstecken, doch auch da sah ich niemanden, weshalb ich mich einfach an den Tisch, welcher mitten in dem Schulhof stand, umrundet von kleinen Büschen, niederliess.

Einige Male sah ich auf die Uhr meines Handys, jedoch beließ ich es nach dem fünften mal, als ich bemerkte, dass sich die letzte Ziffer gar nicht verändert hatte. Es beruhigte mich ungemein, so ganz allein hier auf dem Schulhof, wenn man bedenkt, wie laut es hier manchmal teilweise am Morgen war. Mir war etwas kalt um die Nase, weshalb ich versuchte so gut es ging, mich in meinen Mantel zu drücken und mein Gesicht in meinem Schal zu verstecken, obwohl schon etwas Kälte meine Wangen rot anlaufen lies.

Ich versank immer weiter in meinen Gedanken, die Musik begleitet vom Klavier verstärkte das Gefühl, mich meinem Inneren mehr hinzugeben und darüber nachzudenken. Ich schloss meine Augen und stellte mich als kleinen Jungen vor, welcher lächelnd auf mich zu gerannt kam und seine Arme nach mir ausstreckte, in der Hoffnung, ich könnte ihn fangen. Abrupt blieb er vor mir stehen, verstehend, dass ich dies nicht konnte, doch so gerne wollte.

Ich konnte mich nicht davor warnen, etwas zu tun, was mein Leben komplett auf den Kopf stellte und meine Freude und Vertrauen durch Angst und Hass ersetzte. So gerne wollte ich mich umarmen lassen, gesagt bekommen, dass es okay ist, doch ich hatte einen Fehler gemacht, welcher eine wichtige Verbindung in meiner Familie gestört hatte. Welcher mich alleine fühlen ließ, das ich es im stillen Haus nicht aushielt, darauf wartend zum schreien, weinen und flehen gebracht zu werden. Wann könnte ich die Umarmung, um die mein vergangenes Ich gebeten hatte, nur erwidern?

Unerwartet wurde ich aus meinen Gedanken gerissen, als ich nur noch auf einem Ohr die laute Musik hören konnte. Ich öffnete meine Augen, nur um rechts neben mir Yoongi stehen zu sehen, welcher meinen Kopfhörer zwischen seinen Händen hielt und mich mit einem verwirrten, aber zugleich leichten Lächeln musterte. „Hey", durchbrach er die Stille mit einer rauen Stimme, was mich schnell und mit einem nervösen kribbeln meinen Kopfhörer aus seiner Hand nehmen ließ. Fragend sah er mich an, während er auf die Bank andeutete, weshalb ich zögerlich nickte.

Demnach ließ er sich lässig neben mir auf diese fallen, weshalb ich die Musik auf meinem Handy stoppte und den zweiten Kopfhörer entfernte. „Laut Musik gehört?", fragte er mit einem schelmischen Grinsen und ich ihn wortlos, mit zusammengepressten Lippen ansah. „Schon gut, mach ich auch immer, wenn ich mal meine Gedanken sortieren muss."

Yoongi wendete sich nach seinem letzten Satz ab und blickte nachdenklich zu Boden, bis er erneut zum sprechen ansetzte. „Du bist ganz schön früh dran, dafür das wir die ersten beiden Stunden Ausfall haben." Ich zuckte nur mit den Schultern. „Und, wieso bist du hier?", fragte ich stattdessen, weshalb er kurz ausatmete. „Ich hab erst heute morgen auf den Plan geguckt, aber scheint im Nachhinein gar nicht mehr so schlimm zu sein." Verstehend nickte ich nur mit dem Kopf, da ich keinerlei Ahnung hatte, was ich ihm darauf antworten sollte und ließ es dabei, um uns in unseren Gedanken zu verlieren.

„Und du?", „Hm?", „Wieso bist du schon so früh da?" Überrascht sah ich ihn an, überlegend nach einer Ausrede, obwohl er im Endeffekt alle glauben würde, denn welchen anderen Grund würde es geben, außer man will nicht zuhause sein, weil der Vater ja jeden moment durch die Tür kommen könnte? „Oh..ich..hab auch den Plan zu spät gesehen." Erst musterte Yoongi mich skeptisch, als er mich stammeln hörte, sagte jedoch nichts weiter dazu und ließ seinen Blick weicher werden.

„Hey..ehm", fing Yoongi erneut an und setzte sich breitbeinig auf die Bank. „Den Mathezettel, den wir von Frau Go bekommen haben, hast du den schon fertig?" Ich nickte, was Yoongi ebenfalls nicken ließ.„Ehm..also..ich hab da so ein paar Schwierigkeiten und ich wollte dich fragen, ob du mir..vielleicht helfen könntest?" Eine Weile verlor ich mich in Yoongis Augen, als er mich dies gefragt hatte, weshalb ich ihn etwas warten ließ und seine Haltung für kurze Zeit weniger selbstbewusst aussah.

Also nickte ich langsam, als ich merkte, wie er immer unsicherer wurde. Seine Mundwinkel zuckten kurz nach oben, sein eines Bein hob er über die Bank, in der Vorsicht mich nicht zu treffen und stellte seinen Rucksack neben sich. Aus diesem zog er seinen Hefter, öffnete ihn und holte den kleinen Zettel raus.

Mich wunderte es nicht, dass er seinen Mathehefter mit hatte, da wir die erste Stunde Mathe gehabt hätten und es zum jetzigen Zeitpunkt ziemlich günstig war, wenn man wusste, dass man die Chance bekam, den Zettel bis Morgen abzugeben. Schluckend rutschte ich also etwas näher an Yoongi heran, wodurch sich unsere Knie leicht berührten und die Stelle anfing zu kribbeln. Mir wurde plötzlich warm und ich befürchtete, noch rötere Wangen zu bekommen, als davor schon. Yoongi grinste nur kurz, schien es aber nicht wirklich zu bemerken, weswegen ich mich zusammenriss und ihm die erste Aufgabe erklärte, ihm aber nicht das Ergebnis vorsagte.

Nachdem Yoongi und ich uns seinen unausgefüllten Zettel und seine Probleme näher angesehen hatten, hatte er versucht, sie alleine zu lösen, bis schon die ersten Schüler aus unserer Klasse und auch somit meine drei Freunde, sowie Yoongis den Schulhof betraten. Zusammen wartete jeder bei seinen Gruppen auf den Gong der Schulklingel, der einige Klassen aus der zweiten Unterrichtsstunde entlassen und uns somit empfangen würde.

𝙎𝘼𝙑𝙀 𝙈𝙀  / 𝙥𝙟𝙢 𝙭 𝙢𝙮𝙜Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt