KAPITEL 65

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J I M I N

Nach der letzten Stunde packte ich meine Sachen, verließ das Klassenzimmer und stellte mich daneben, um auf die Jungs zu warten. Unter all den Schülern, welche schon die Treppen runterrannten, war Yoongi der erste, der raus kam und mich betrübt musterte. Er blieb mit etwas Abstand vor mir stehen und leckte sich nervös über die Lippen, bis Namjoon und Taehyung ihn verabschiedeten und er den Weg alleine zur Bibliothek antrat.

„Keine Sorge, Jimin. Das wird schon wieder." Hinter mir tauchten die anderen auf, welche mich versuchten, aufmunternd anzulächeln. „Jungkook hat Recht. Sprecht euch miteinander aus und ihr werdet einander verstehen", stimmte Jin zu und streichelte mir über den Rücken. Ich nickte nur etwas abwesend, bis ich sie verabschiedete und auch zu der Bibliothek ging. Von weitem konnte ich schon die großen, geöffneten Türen erblicken, blieb allerdings stehen, als ich schon Mary und Yoongi darin sitzen sah. Besser ging es ja nicht. Gerade sie war die Jenige, die mich so verunsicherte. Es mochte bescheuert und absolut schuldzuweisend klingen, doch Marys Aktionen machten mir Angst.

Die beiden hatten eine Vergangenheit und so wie es aussah, schien Mary, Yoongi zu mögen, auch, wenn sie es sich nicht eingestehen würde. Und auch, wenn er ihr versuchte klar zu machen, dass er eben nichts für sie empfand und nun nicht mehr zu haben war, machte das ganze nicht besser. Sie machte weiter und nun fühlte ich mich, als hätte ich ihr Yoongi weggenommen. Als hätte ich ihr ins Gesicht getreten, mit der Erkenntnis, dass er nun mit einem Jungen, statt mit einem Mädchen ging.

Doch jetzt, wo ich Yoongis Blicke und seine Unruhe sah, fühlte ich mich schuldig. Mir war es unangenehm, ihn anzusehen, nachdem ich ihn solch einen Schwachsinn gefragt hatte. Allerdings war es in diesem Moment einfach zu viel. Sie schickte ihm Bilder von sich in Unterwäsche, rief ihn an und lud ihn ein, und so oft er Nein sagte, desto mehr sah sie es, als ein Ja. Beide waren so selbstbewusste Menschen, dass ich zwischen ihnen unterging und mich Dinge fragte, die ich mich nicht gefragt hätte. Dabei hatte mir Yoongi so sehr geholfen und dafür gesorgt, dass es mir gut ging und so dankte ich es ihm. Und dabei vertraute ich Yoongi doch so sehr. War ich wirklich so ein furchtbarer Mensch?

Ein Vibrieren, was aus meiner hinteren Hosentasche kam, holte mich zurück ins hier und jetzt. Ich kramte es schnell heraus, entfernte mich etwas von der Bibliothek und nahm den Anruf an, während ich Mary und Yoongi noch im Blick hatte. „Hallo?", „J-Jimin?", kam es schluchzend von der anderen Leitung, was mir augenblicklich Panik durch den Körper zog. „Eomma? W-Was ist passiert?" Angst lag in meiner Stimme, welche ich nicht schaffte, zu verbergen. Allerdings hörte ich die meiner Mutter lauter. Doch, währenddessen ich ihr schluchzen hörte, war Mary schon zu Yoongi gelaufen und drückte ihm stürmisch ihre Lippen auf.

„B-Bitte, k-komm schnell nachhause. Dein Vater, er-" Aufgelegt. Den Tränen nahe, verschwendete ich keine Zeit, sowie keine Blicke und rannte die Etage runter, raus aus der Schule. In diesem Augenblick war mir alles egal. Das meine Lungen wehtaten, dass ich nur einen Pullover trug und was ich gerade gesehen hatte. Ich verdrängte alles und jeden, rannte, als würde mein Leben davon abhängen. Meine Tränen hinterließen eine kalte Spur auf meinen Wangen, welche zu gefrieren drohten, so kalt war es. Ich rannte über die Zebrastreifen, über die Brücke, bis ich mein Haus schon sehen konnte. Ich legte einen Zahn zu, hielt mich am Geländer fest, um nicht auszurutschen und drückte mich durch den Vorgarten, bis ich den Türgriff in der Hand hielt.

Ich versuchte, meine Atmung im Sekundentakt wieder herzustellen und ging, ohne weiter zu zögern hinein. Für mehr Angst blieb keine Zeit und ich wusste nicht, was los war. Das Einzige, was ich wusste war, dass es schlimm war. Und dies fing an der Haustür schon an. Der Schuhschrank war umgeworfen, die Bilder, welche zuvor sorgfältig an den Wänden hingen, waren schief oder lagen unter den Schuhen, welche sich im ganzen Flur verbreitet hatten. Derweilen ich versuchte, mich durch das erste Chaos zu schlängeln und dabei zu überlegen, was ich nun tun sollte, vibrierte mein Handy in meiner Hand erneut, welches ich versuchte zu ignorieren, bis es ein zweites mal vibrierte. Ohne darauf zuschauen, ging ich ran.

„Eomma?",
„Nein, Yoongi. Jimin, wo bist du? Wir warten hier auf dich." Ich seufzte.
„Weg. Ich kann jetzt nicht."
„Wie, weg? Wo bist du?" Ich zögerte.
„Zuhause."
„Okay, ich komme nach Hause. Warte auf mich."
„Nein, nicht bei dir."
„Sag nicht, du bist- Was machs-",
„Tut mir leid." Schon hatte ich aufgelegt.

Ich konnte ihm jetzt nicht alles erzählen, wer wusste, ob mein Vater noch hier war und mich schon erwartete. Und verdammt ja, meine Angst stieg, doch ich musste erstmal meine Mutter finden. Also ging ich die Treppen leise nach oben, als ich niemanden in der Küche, sowie im Wohnzimmer entdecken konnte. Auch hier lagen Familienfotos auf dem Boden, zusammen mit Erde und zerbrochenen Vasen. Der Anblick schmerzte, genauso wie das Brechen des Glases, um welches ich nicht drumherum kam.

Was zum Teufel hatte er getan?
Wie zum Teufel kam es überhaupt dazu?

Ich warf einen Blick in das Schlafzimmer meiner Eltern, welches ich ordentlich und unberührt vorfand. Aber meine Tür hingegen, stand sperrweit offen und als ich näher ranging, konnte ich meine beiden Eltern sehen. Meine Mutter stand vor ihm, komplett verweint und mit bittender Haltung, sah sie zu meinem Vater auf.
„E-omma, was ist h-hier los?", fragte ich, was beide ihre Köpfe, zur selben Zeit, zu mir drehen ließ. Der Ausdruck, den mir mein Vater allerdings gab, war mehr, als nur beängstigend. Und damit nicht genug, in seiner rechten Hand hielt er ein kleines, aber doch scharfes Messer, welches er meiner Mutter entgegenhielt.

„A-Appa w-was-", „Wo warst du!", schrie er, was mich zusammenzucken ließ und mir Gänsehaut bereitete. „Du undankbare Göre, wagst es hier aufzutauchen, um deiner Mami zu helfen? Die DU so verdorben hast? Wie den Rest der Familie? Die du alle durch den Dreck gezogen hast, mit deiner..Phase?!" Er fuchtelte schon fast hysterisch mit dem Messer rum, als er aggressiv den Arm hob. „Mir reicht es!", „N-Nein, bitte!", Und die Klinge sich meinen halben Arm entlangzog, nachdem ich mich schützend vor meine Mutter gestellt hatte. „Oh, gott! Jimin!"

„Hände hoch oder ich schiesse!", schrie eine weitere, unbekannte Stimme und meine Mutter dabei hinter mir zusammenklappte. Zwei Polizisten standen auf einmal im Raum und richteten die schweren Waffen auf meinen Vater, dessen Arme auf den Rücken gebunden und ihm die Klinge entwendet wurde.

𝙎𝘼𝙑𝙀 𝙈𝙀  / 𝙥𝙟𝙢 𝙭 𝙢𝙮𝙜Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt