43 ~ Now we are free

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Seufzend lies ich meinen Kopf auf meine angewinkelten Kniee liegen und sah in die Dunkelheit hinaus.

Hier und da hörte ich das brechen der Äste unter dem Gewicht des Schnees, das Rufen einer Eule und leises Geplätscher von Wasser. In der Nähe musste wohl ein Fluss oder Bach sein. Unter anderen Umständen....war es wunderschön hier draußen. Unberührt und still. Ich sah in den Himmel und erblickte tausende von Sterne welche den Sichelmond umrandeten. Einfach nur wunderschön. Ich atmete nochmals tief ein und aus, ehe ich aufstand, einen letzten Blick in die Natur warf und ins Zelt ging. Die Männer schliefen alle schon tief und fest und gaben ein Schnarchkonzert vom Feinsten von sich. Leise seufzend murmelte ich mich in meinen Schlafsack ein und versank in einen unruhigen Schlaf.


"John bist du den von allen guten Geistern verlassen???? Was soll das?"...schrie ich meinen Bruder an, als ich mit ansehen musste wie er Beth eine scheuerte und sie zu Boden fiel. Ich lief zu meiner Schwägerin, half ihr hoch und begutachtete ihre knallrote Wange. Sanft strich ich mit den Fingern darüber, blickte ihr in ihre wunderschönen grünen Augen und es gab mir einen Stich im Herzen, als sie schmerzhaft zusammen zuckte. "Misch dich nicht ein wenn ich meine Frau erziehe Aya!!!"...brüllte er mich an und ich sah ihn fassungslos an. Seit dem Unfall vor ein paar Monaten hatte John sich verändert. Das bemerkten wir alle. Er war ungeduldiger, aufbrausender und sehr leicht reizbar. Als Beth gerade, seiner Meinung nach, nicht schnell genug den Kaffee für ihn und den Tee für mich brachte, stand er auf, brüllte  sie an und schlug ihr mit der flachen Hand ins Gesicht. Ich war sprachlos. Ich kannte John wenn er wütend war, aber das hier hatte nichts mit Wut zu tun. Es war etwas anderes. Gerade als ich zu einer Antwort ansetzen wollte, griff Beth nach meinem Arm und ich sah sie an.

"Aya.....nicht...."...hörte ich Beth leise flüstern und sah die stille Bitte in ihren Augen nichts zu tun. "Beth...das ist nicht....."....doch sie unterbrach mich, indem sie leichten Druck auf meinen Arm ausübte und mich flehend ansah. Ich konnte doch nicht...ich...aber......seufzend gab ich nach, schloss meine Augen und nickte ihr zu. Ich blickte John hasserfüllt an, ballte meine Hände zu Fäusten...wendete mich ab und ging. Ging einfach und lies sie alleine. Ging und ertrank meine Wut in irgendeiner Bar. 

Am darauf folgenden Tag fuhr ich wieder zu meinem Bruder nach Hause. Wohlwissend das er auf der Arbeit war, und stellte Beth zur Rede. "Du verstehst nicht Aya...das ist Johns Art mit seiner Trauer um zu gehen....."...versuchte sie mir zu erklären und senkte den Blick. Ich hob ihr Kinn an um in ihre verweinten Augen zu blicken. Das einst so strahlende Grün war matter geworden, schmälerte aber nicht ihre Schönheit.

"Beth...er darf dich nicht schlagen. das ist nicht in Ordnung. Soll er zu einem Therapeuten gehen oder ins Fitnessstudio, aber doch nicht an dir auslassen. Ihr habt beide JJ verloren. Denkt er darüber eigentlich auch mal nach? Du hast auch deinen Sohn verloren...."....flüsterte ich leise und sah die aufkommenden Tränen als ich von JJ sprach. Mist verdammter...nun war ich es die sie zum Weinen brachte. Schnell zog ich meinen Engel in eine feste Umarmung, wunderte mich nur kurz über ihren zusammenzuckenden Körper und hielt sie fest. "Engelchen?"...diesen Kosenamen gab ich ihr, aus reiner Freundschaft natürlich, vor ein paar Jahren und er blieb hängen. Keiner...naja fast keiner...wusste von der Bedeutung dahinter.

Mein Vater riet mir ab sie so zu nennen, es wäre nur unnötig schwer für mich. Aber das Gegenteil war der Fall. Ich fühlte mich ihr so näher als es sein durfte, ohne das irgendjemand eine Ahnung hatte was ich fühlte. 

"Engelchen?"...versuchte ich es nochmals und sie blickte mich an....."Soll ich...soll ich mit dir zu Polizei gehen..."....Auch wenn John mein Bruder war, würde ich nicht zögern alles in meiner Macht stehende zu tun, um Beth zu  beschützen. Geschockt sah sie mich an und schüttelte wild mit dem Kopf. "Das darfst du nicht Aya....bitte...es wird wieder besser...daran glaube ich fest..er ist nur..es ist sein Schmerz. Ich bitte dich....ich ..ich ...ich liebe ihn doch!....." AUTSCH das saß.....mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen und ehe ich etwas dummes sagen konnte nahm ich sie wieder in den Arm. Sie sah meine Tränen nicht. Die durfte sie nicht sehen. Niemals.


Keuchend schrak ich hoch und blickte mich orientierungslos um. "Frau Cooper? Ist alles in Ordnung?"....fragte mich Ralph besorgt, und erst da bemerkte ich die Tränen an meiner Wange. 

Nur ein Traum.....nein....eine Erinnerung....

"Ja natürlich Ralph, Dankeschön. Ich habe nur schlecht geträumt. Alles gut"...rief ich dem besorgten Mann zu und zwang mich zu einem Lächeln. "Na gut. Wir würden dann gerne zusammen packen. Die Sonne steht schon eine Weile am Himmel und der Schneefall hat auch aufgehört. Wir haben wunderbar klare Sicht für den weiteren Abstieg ins Tal und könnten Mittags schon wieder im Warmen sein"...erklärte er mir lächeln und ich nickte ihm zu. "Aber natürlich. Ich würde mich nur gerne frisch machen, geht das? In der Nacht habe ich von irgendwo ein Plätschern gehört."

Ralph nickte mich wissend an und zeigte in eine Richtung. "Zirka 5 Minuten einfach nur geradeaus ist ein kleiner Wildfluss. Gehen Sie nur, wir packen zusammen und holen Sie dann Problemlos wieder ein"...Dankbar nickte ich ihm zu, packte meinen Schlafsack ein und schnappte mir nach kurzem Strecken meiner müden Glieder meinen Rucksack.

Es war ein herrlich ruhiger Tag. Der Wald lag friedlich vor mir und man sah wirklich Meter weit voraus. Der Schnee war komplett unberührt und hier und da sah ich einzelne Spuren von...einem Hasen? ein Reh?...Ich hätte doch öfters mit Dad in den Wald gehen sollen. Ich machte mir gedanklich eine Notiz, mit Kathy all das nach zu holen und mit ihr zusammen den Wald zu erforschen. Das würde der kleinen Maus sicher gefallen und ich musste bei dem Gedanken lächeln. 

Am Fluss angekommen, lies ich meinen Rucksack fallen, ging auf die Kniee und spritze mir das kalte Wasser mehrmals ins Gesicht. Brrrrrr war das kalt. Aber sehr erfrischend. Nun war ich eindeutig munter. Zufrieden stand ich auf und blickte mich um. Lauschte ob ich Ralph und seine Männer eventuell schon hörte und erschrak einen Moment lang, als ich ein paar Meter von mir entfernt, am anderen Flussufer eine kleine, schwache Bewegung wahrnahm. Traurig blickte ich in die Richtung und versuchte das Tier zu erkennen, welches scheinbar gerade der Natur erlag. Nun wusste ich wieder warum ich nie mit Dad mitgehen wollte. Die Tiere taten mir viel zu leid, als das ich mit ansehen konnte, wie mein Dad sie gezwungenermaßen schießen musste. Gerade als ich meinen Blick abwenden wollte, stach mir etwas ungewöhnliches ins Auge und ich sah genauer hin. Seit wann haben Waldtiere Finger??????

"RAAAAALPH" schrie ich aus voller Lunge und sah mich hektisch um. "RAAAAAAAALLLLLPH" schrie ich nochmal und war kurz davor in den Fluss zu springen, als Ralph und seine Männer keuchend neben mir zum stehen kamen und mich fragend ansahen. Ich deutete hektisch auf das Bündel am anderen Flussufer. "Bitte sag mir das ich mich täusche Ralph...bitte...." flehte ich und in diesem Moment waren mir jegliche Förmlichkeiten egal. Ralph nahm sein Fernrohr und spähte hindurch...setzte kurz ab, sah mich ernst an und reichte mir das Fernglas. Das er seinen Leuten Anweisungen gab, bekam ich nur noch am Rand mit. Mein Blick durchs Fernglas bestätigte meine Vermutung. Dort drüben lag ein Mensch. Ein fast völlig schneebedeckter, aber was noch wichtiger war, bewegender Mensch. Als Ralph mir eine Hand auf die Schulter legte, erwachte ich aus meiner Starre und es kam Leben in die Truppe. "Komm mit Aya. Wir müssen ein wenig Flussaufwärts, da ist ein kleiner Übergang"...auch er ignorierte nun jegliche Förmlichkeit und redete beruhigend auf mich ein. Ich wollte schon zur Wiederrede ansetzen, doch er unterbrach mich..."NEIN wir können nicht direkt durch den Fluss. Sei vernünftig. Das Wasser ist eisig und die Strömung ist gefährlicher als sie aussieht. Überall sind scharfe Kanten und zu glatte Oberflächen auf denen wir wegrutschen. Vertrau mir bitte. Es ist nur ein kleines Stück"...gebannt starrte ich zwischen Ralph und dem Fluss hin und her...nickte dann zustimmend und schulterte meinen Rucksack. 


Gemeinsam gingen wir schnellen Schrittes und tatsächlich...nach gut 10 Minuten erreichten wir einen Natürlichen Übergang auf die andere Seite. "Dieser Baum ist vor ein paar Jahren umgefallen bei einem Lawinenabgang"...erklärte mir Ralph nebenbei und wir überquerten mühelos den Fluss. Mein Schritt wurde schneller und schneller und kaum hatte ich das kleine schwach bewegende Ding wieder vor Augen, hielt mich nichts mehr zurück und ich lief. Ich spürte es. Fühlte es tief in mir. Das war meine Beth. Das war mein Engel der da lag.

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