Kapitel 12

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51 Kilo. Ich musste einen Augenblick rechnen. In den letzten 2 Monaten habe ich 8 Kilo abgenommen. Ein kleines Lächeln bildete sich in meinem Gesicht, doch nur kurz. Als ich meinen Körper erkannte, fühlte ich mich immer noch zu dick. Zu breit. Zu viel Speck an meinen Knochen. Schnell verlies ich den Raum wieder. Ich wollte mein Eigenbild nicht länger vor mir haben.

So gegen halb 6 erfuhr ich, dass wir heute essen gehen. Meine Mutter fand diese Idee im Gegenteil zu mir perfekt um sich besser kennen zu lernen. Ich wollte nicht essen, oder mit den anderen am Tisch sitzen. Doch das Essen störte mich am meisten. Mir blieb nichts anderes übrig. Ich sprang unter die Dusche und lies mir extra viel Zeit. Doch bereits nach 5 Minuten schrie meine Mama ins Bad, dass wir bald losfahren würden. Mir blieb also nicht viel Zeit mich fertig zu machen. Hektisch stand ich vor meinem Spiegel. In Schale geworfen musterte ich mein Eigenbild. Meine braunen Haare hingen leicht gelockt bis kurz über den Bauchnabel. Meine Skinnyjeans kombinierte ich mit einer engen weißen Bluse und  einem mintfarbenen Pullover. Den Kragen und die Manschetten lies ich diesmal herrausblitzen. Ich sah im ganzen nicht mal so schlecht aus. Nur in meinem Gesicht bildete sich ein Grimasse ab. Eine Grimasse die sich aus Angst, Verzweiflung und Einsamkeit mischte. Schnell wand ich meinen Blick ab und trottete die Treppen runter zu den anderen die bereits auf mich warteten. "Und für das hast du jetzt so lange gebraucht?", flüsterte mir Valentin  leise zu. Aber nicht leise genug, woraufhin er einen strengen Blick seines Vater erntete. Geschieht im Recht. Im Auto musste ich glücklicherweise nicht neben ihm sitzen. Doch wieso war er jetzt so gemein? Letzte Nacht zeiget er doch auch seine nette Seite? Ich konnte ihn sowieso nicht ändern. Ich musste es nur noch diesen einen Tag aushalten. Morgen fahre ich ja sowieso wieder ins Internat. Mit der Frage was ich Bestellen möchte, riss mich der Kellner aus meinen Gedanken. Ich bestellte eine Portion Lasagne. Auch wenn ich keinen Hunger hatte. Das Essen kam langsam. Ich zählte die Sekunden, seit wir schon hier sitzen. Immer wieder warf mir Valentin einen verdächtigen Blick zu. Doch ich probierte es zu ignorieren. Julia erzählte von ihren klasse Noten und ihrer Leidenschaft, das Tanzen. Anscheindend war sie wirklich richtig gut. Sie war nahezu perfekt. Ihre Ausstrahlung, ihr Aussehen und ihre Talente. Einfach alles an ihr war perfekt. Doch ich hatte keine Lust weiter zuzuhören.

Und als Thomas meinte, ich solle was von mir erzählen, nahm ich die Ausrede, ich müsste aufs WC. Ich starrte in den Spiegel unter dem weisen Waschbecken. Vor mir stand ein kleines Mädchen, welches auf ihre Mutter wartete. Sie lächelte mich an. Ihre blonden Locken erinnterten mich an einen Engel. Ob ich auch so gewesen bin? Würde ich ebenfalls auf mich stolz sein, wenn ich mich jetzt sehen könnte? Kennen würde? Oder wäre ich enttäuscht von mir? Dieser Gedanke sorgte in meinem Gehirn für jede Menge Gedanken und Schuldgefühle. Wäre ich stolz, mich rauchen zu sehen? Mich kiffen und Alkohol trinken zu sehen? Doch macht mich das Rauchen zu einem schlechteren Menschen? Nur weil ich an einem Papierstäbchen voll mit Tabak ziehe und die Luft wieder raus lasse, könnte ich entäuscht von mir sein? Egal wie viele gute Dinge ich mache? Egal was für andere Ziele ich erreicht habe. Es war absurd. Ich schob den Gedanken beiseite. Schließlich musste ich ja wieder zu Tisch gehen. Meine Lasagne stand bereits da und alle waren schon fleißig in ihr Essen vertieft. Als ich das Fett der Lasagne sah, drehte sich in meinem Magen alles zusammen. Wie sollte ich das jetzt bloß runterbringen? Ich gab mir viel Mühe, es so aussehen zu lassen, als hätte ich freude daran mein viel zu großes, viel zu kalorienhältiges Stück runterzuzwungen. Doch es klappte. Nur Valentin scheinte etwas zu merken, worauf hin er meinte: "Schmeckt sie dir nicht, oder warum verziehst du so dein Gesicht?". Ich zuckte mit meinen Schultern und erklährte, dass ich nur etwas müde war. Thomas und Mama akzeptierten es. Valentin und Julia schenkten mir einen weiteren fragenden Blick. Ich drehte mich weg und war verdammt froh als wir endlich die Rechnung bekamen.

So gegen halb 10 hielt under Auto auch endlich vor meinem neuen Zuhause. Ganz damit angefreundet habe ich mich mit der neuen Situation noch nicht. Trotzdem musste ich damit leben. Müde lies ich mich in mein Bett fallen und schlief auf Anhieb ein.

23:56 eine neue Nachricht - mein Handy gab einen Ton von sich. Ich zuckte zusammen und war munter. Viel zu munter. "Tut mir Leid wegen der Schokolade.", murmelte ich vor mich hin. Die Nachricht war von Gianni. Gianni schrieb mir? Er entschuldigt sich? Jetzt fand ich garkeine Ruhe mehr. Ich drehte mich im Bett hin und her um eine bequeme Schlafposition zu finden. Doch es gelang mir nicht. Nach 10 Minuten gab ich es auf. Meine Gedanken wollten einfach nicht weniger werden. Mit einem Blick aus dem Fenster, konnte ich den Vollmond erkennen. Wie viele Menschen wohl gerade jetzt den Vollmond betrachten? Gianni vielleicht? Valentin? Papa? Ich setzte mich in Bewegung und zog mir meine graue, etwas zu große Jogginhose mit einem Tanktop an. Ich wollte eine Runde spazieren gehen. Raus. Raus an die frische Luft. Ich nahm meine weinrote, dicke Daunenjacke und steckte mir ein Feuerzeug und meine Zigaretten ein. Ich schlich leise die Stiegen nach unten und schlüpfte in meine weißen Airmax. Und nur wenige Sekunden später fiel die Türe ins Schloss.

Die frische Luft tat gut. Ich atmete tief ein und wieder aus. Ich fühlte mich frei. Ich schlenderte die Straße entlang bis ich am Meer ankam. Es war ein wunderschöner Anblick. Das Meer. Der Vollmond. Die Wellen. Das Meerrauschen. Unten am Wasser stand eine Bank. Ich nahm Platz und genoss es. 2 Zigaretten gingen drauf, bis mein Handy aufleuchtete. >Gianni< las ich laut vor. Als ich seinen Namen las, kam mir ein Stich ins Herz. Klar, ich kenne ihn nicht lange. Aber ich mag ihn. Er gab mir das Gefühl etwas besonderes zu sein, als würde er sich für mich interessieren. Manchmal jedenfalls. Auch wenn er so ein Arsch sein konnte. Bei den Abwaschdiensten wegen der Essenschlacht kamen wir viel zum Reden. Doch ich war nur eine von vielen für ihn. Ich wollte ihm nicht zurück schreiben. Ich hätte nicht gewusst was. Was sollte man auch auf "Bist du gerade kotzten oder wieso schreibst du nicht zurück" antworten? Meine etwas zur Ruhe gekommenen Gedanken verschwanden und ich war auf 180. Wieso tat er mir das an? Wieso konnte er nich nicht in Ruhe lassen? Wütend und etwas traurig tippte ich wild auf mein Handy ein, doch noch bevor ich auf Abschicken drücken konnte, lies ich mein Handy fallen. Ich wollte ihm nicht schreiben. Ich wollte nicht an ihn denken. Ich bückte mich runter um mein Handy wieder aufzuheben. Ich blickte weiter, den Strand entlang und erkannte ein kleines Lagerfeuer. Ich hörte von weitem Lachen und Gequatsche. Leichte Umrisse waren zu erkennen. Die Personen saßen im Kreis, als eine plötzlich aufstand und wegrannte. Ich hörte ein Mädchen schreien, verstand aber nicht was. Es war mir egal. Sowie mir alles egal war. Ich fror etwas. Doch daran dachte ich nicht. Ich dachte an Gianni. An seinen warmen Atem, seinen Geruch, seine Augen und den Kuss. Eine Träne rann mir über die Wange und ich beschloss wieder in Richtung zuhause zu gehen. Der Blick auf mein Handy verriet mir, dass es bereits 2:04 Uhr war. Ich stand auf und macht drei Schritte, als ich plötzlich von einer wutendbranten Personen niedergerannt wurde. "Verdammte Scheiße hast du keine Augen oder was?", fuhr mich die Stimme an. Ich brauchte einige Sekunden um zu erkennen, dass es Valentin war der neben mir im Sand lag und mich anmaulte. "Luisa??", fragte er etwas erschreckt, nachdem er mich gemustert hat. "Was bitte machst du hier? Und wieso bist du so verheult?", fragte er mitfühlend nach. Doch schon im nächsten Moment redete er abweisend weiter. "Ach es interessiert mich nicht. Verpiss dich einfach ich will meine Ruhe haben.", maulte er mich an. Was war denn jetzt los? Er stand auf und nahm an der Bank, wo ich zuvor noch saß Platz. Er griff in seine Jackentasche und ich roch sofort was er in der Hand hielt.

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