26. Kapitel

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Ich liege im Gras. Auf dem Rücken. Über mir ein Himmel voller Blumen. In meinen Ohren der Klang von leise summenden Bienen, das zufriedene Schnauben eines Pferdes, das sich außerhalb jeglicher Zäune bewegt. Der Duft des Grases umspielt meine Sinne. Die Feuchte zieht nach und nach in meine Kleidung ein, doch ich schwebe wie auf Wolken. Wolken aus Blumen. 

Ich träume eine befriedigende, friedliche Stimmung. Bin umwoben von Ruhe, Ausgelassenheit und dem Gefühl, von meiner Umgebung umarmt zu sein. Gehalten, beschützt. Sicher. Alles ist so klar, so entschieden. Und ich träume mich sorgenlos. Bin nicht ausgesprochen überwältigt von Glücksgefühlen aber dennoch äußerst zufrieden. 

Alles wirkt so...so gut. Doch dann nehme ich plötzlich ein leises Kichern wahr. Ein leises Lachen, erst noch melodisch. Dann wird es lauter. Ich drehe mich auf meinen Bauch und hebe den Kopf. Kann trotzdem niemanden erkennen. Keine Person. Aber auch kein Pferd mehr. Das Lachen wird zum gickern. Dann plötzlich ein Säuseln. "Lean.. Leeeeeehaaaaaan." Ich runzele die Stirn. Wer spricht da mit mir?

"LEAN!" Meine Umwelt verstummt. Dann ein lautes, scharfes Gickern, als könne sich jemand nicht stoppen vor Lachen. Es hört nicht auf. Auch als ich mich aufsetze und versuche einen Überblick zu gewinnen. Kein Pferd, das Bienensummen verstummt. Meine Hose ist plötzlich dunkel. Von dieser Feuchtigkeit. Die Nässe des Grases. Das Lachen wird schriller und schriller. Es scheint sich zu nähern, sich zu steigern, sich nach und nach vereinzelt zu überschlagen. 

Ich richte den Blick gen Himmel, gen Blüten. In mir ein sanft anschwellendes Gefühl von Stress. Ich fühle mich gestört, irritiert, ein bisschen verraten.  "Lean! Leanleanlean..." 

Vor mir steht plötzlich Runa. Wie ausgesetzt steht sie da. Sie schaut mich mitleidig von oben herab an. Dann bricht sie wieder in Lachen aus. Ich erkenne, dass es die ganze Zeit über ihre Stimme war. Die ganze Zeit über ihr Lachen. Über meinem Kopf regnen Blüten herab. Sie sind welk, farblos, trostlos. "Leaaaaan. Du bist so naiiiv. Naiv bist du, verstehst du, was ich sage?"

Runa beugt sich zu mir herunter und lächelt. Bilde ich mir den Hohn in ihren Augen nur ein? Oder ist da tatsächlich etwas spöttisches ? Etwas verächtliches? Sie starrt mir in die Augen. Dann schnellt ihr Arm vor und sie kneift mir in die Backe. Erst nur sanft und entschieden. Dann immer fester. Aua, möchte ich sagen. Das tut weh, hör auf. Kein Ton verlässt meine Lippen. Ich fühle mich wie ein Kind, das von ihr getadelt wird. Irgendwie hilflos, nicht integriert in diesen Film. 

Neben mir fangen die verwelkten Blüten Feuer, sobald sie den Boden berühren. "Wieso denkst du so, Lean ? So naiiiv ?" Runas lachen erfüllt nicht mehr nur die Luft. Es dringt ein, in mich. Erst in meine Lunge, obwohl ich den Atem angehalten habe. Dann spüre ich, wie es in meine Adern dringt, in jede Pore meines Körpers nach und nach. Während ich leide redet sie weiter. "Bist du so oder tust du so? Wo ist dein Wissen, dein Interesse, deine Anteilnahme? Du bist so naiv, Lean. So naiv. Ich glaube du kannst dieses Ausmaß selbst gar nicht verstehen....nur ich sehe dich. Deine Naivität.. deine Unerfahrenheit, dein Unwissen." Sie säufzt auf und klingt dabei so, als hätte sie einen wunderbar unterhaltsamen Abend hinter sich. 

Als ich realisiere, dass meine Kleidung leicht nach etwas alkoholhaltigem riecht, ist es bereits zu spät. Meine Hosenbeine und der Saum meines T-Shirts fangen die Flammen ein. Flammen, ausgelöst von verwelkten Blüten. Und sie fressen sich an den Fasern meiner Kleidung fest. Runas Griff in meine Wange verstärkt sich. Ich kann den Blick nicht von ihr lösen. Der Schmerz ist so intensiv. Und mir wird immer heißer, weil meine Kleidung immer mehr Flämmlein bedient. Es muss das Gras gewesen sein, die Feuchtigkeit!, denke ich. Runa lacht nur. "Warum?" ,möchte ich schreien. Meine Lippen bewegen sich. Nicht aber meine Stimmbänder. 

Während ich hilflos im brennenden Grasmeer, zwischen den glühenden Blüten sitze, höre ich Runas Stimme in mir "NAiiiiiiiV" flüstern und vor mir ihr Lachen. Gemeinsam mit den Flammen wird es immer lauter, einnehmender, besitzergreifender. Und irgendwann ist da nur noch dieser Klang, der alles einnimmt. Der alles einnimmt. Mich mitreißt. Mit sich. Hinweg.

Das Tagebuch einer FremdenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt