7.Kapitel

716 59 15
                                    

Heute ist es etwas kälter. Ich ziehe die Jacke enger um mich und betrete den Bus, froh eine Ausflucht vor dem Wind gefunden zu haben. Ich kann es kaum erwarten, nach Hause zu kommen. Irgendetwas anderes zu machen. An einem anderen Ort zu sein. Mein Praktikum war mal wieder eine ähnliche Konfrontation mit meiner selbst, wie es es fast jedes Mal ist. Es ist schwer täglich an einen Ort zu gehen, von dem man weiß, dass man Leuten begegnet, die es darauf anlegen, einem das Leben schwer zu machen.

Mein Chef ist zwar ganz in Ordnung, aber eben leider nicht oft genug da, um mitzubekommen, wie sein Stellvertreter mit mir umgeht. Ich bekomme eine Praktikantenarbeit nach der anderen und er versucht ständig mir das Leben schwer zu machen oder mir Sachen in die Schuhe zu schieben, mit denen ich gar nichts zu tun habe.

Ich kann es kaum erwarten, bis das Praktikum vorbei ist. Hoffentlich wird sich mein Vater dann endlich mal mit mir zufrieden geben. Es nervt, dass ich ständig versuchen muss ihm alles recht zu machen, um seine Laune zu befriedigen und seine Aufmerksamkeit von Taraneh abzulenken. Mich hat er bereits insofern zerstört, dass ich meine Träume und Ziele hinter die Wünsche anderer einordne, aber mit Taraneh wird er das nicht machen. Das werde ich nicht zulassen.

Immerhin ist er, aufgrund seiner Arbeit, so oft im Ausland und nicht zu Hause. Das sind die einzigen entspannten Stunden mit meiner Familie und eben an dem Ort, der sich mein Zuhause nennt. Sobald er da ist, ziehe ich sogar noch mein Praktikum seiner Gesellschaft vor.

Ich hasse ihn nicht. Hass ist ein Gefühl und ich empfinde ihm gegenüber rein gar nichts.

Abgesehen von den gewöhnlichen Dingen meines Alltags, die sich immer wieder und wieder wiederholen, ist das Tagebuch des Mädchens momentan das einzige Abwechslungsreiche in meinem Leben.

Sie kommt mir so menschlich vor, wie sie alles aufschreibt und dabei rüberkommt. Ich würde zu gerne wissen, was es mit ihren Wünschen und der Musik, von der sie gesprochen hat, auf sich hat. Spielt sie ein Instrument, singt sie ? Welche Musik hört sie in ihrer Freizeit ? Was wünscht sie sich noch für sich und ihre Zukunft ?

Wenn ich könnte, würde ich all meine Kraft dafür verwenden, ihre Wünsche und Träume wahr werden zu lassen. Ich selbst habe so etwas nicht mehr, aber ich würde jederzeit alles machen, um andere in ihrem Glauben daran zu bestärken.

Der Bus fährt an dem blauen Rathaus vorbei, heute sitzen ein paar Jugendliche auf den Stufen. Sie lachen und unterhalten sich, während ich alleine im Vierer des Mädchens sitze und sie auch diesmal nicht aussteigt, da sie ja nicht eingestiegen ist.

Ich seufze, streiche mir ein paar Haarstränen aus der Stirn und packe schließlich ihr Tagebuch aus, um weiterzulesen, bis ich aussteigen muss.

Das Tagebuch einer FremdenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt