10.Kapitel

451 45 2
                                    



Ich blicke auf die Uhr. Noch 9 Minuten bis der Bus kommt. Ich kann es kaum erwarten in das warme Innere zu gehen und mich in Runas Vierer zu setzen. Die Erinnerung an sie begleitet mich fast überall. Wenn ich in Geschäften Notizbücher sehe, muss ich an die vielen Seiten denken, die mit ihrer Handschrift gefüllt sind. Wenn ich an der Kasse im Supermarkt hinter einem braunhaarigen Mädchen stehe, schießt mir durch den Kopf, dass die Möglichkeit besteht, dass der Zufall dafür gesorgt hat, dass ich ihr außerhalb des Busses begegne. Wenn ich einen Bus sehe, muss ich an sie denken, wie sie versunken da sitzt und mit dem Stift in ihrer Hand Worte zaubert.

„Hallo."
Ich zucke überrascht zusammen. Vor mir stehen zwei Jungen. Beide haben schwarze Haare und dunkle Augen. Einer von ihnen trägt eine runde Brille, die mich an die von Harry Potter erinnert. Der andere trägt ein ausgewaschenes Star Wars T-shirt.
Unsicher lächeln sie mich an.

„Der Bus kommt nach Liebigstraße ?", erkundigt sich der mit der Brille. Mir fällt sofort auf, dass Deutsch nicht seine Muttersprache ist. Ich kann nicht umhin mich zu fragen wie Runa reagiert hätte. Sie ẃäre ganz bestimmt freundlich zu ihnen gewesen. Aber hätte sie gelächelt ? Hätte sie bloß genickt ? Hätte sie normal geantwortet ohne eine ablesbare Mimik im Gesicht ?

„Meinst du ob er dort hält ?", frage ich nach.
„Ja, ja. Ob er hält.", erwidert der Junge mit dem Star Wars T-shirt eifrig und nickt dabei nachdrücklich.

„Ja tut er.", ich lächele zurück. Stelle mir vor Runa stände bei uns und würde unser Lächeln erwidern. Aber das ist Quatsch. Das würde sie nicht tun, weil sei uns alle drei nicht kennt. Weil sie nicht weiß, dass ich immer öfter an sie denken muss. Weil sie nicht weiß, dass ich beginne zu glauben sie zu kennen. Doch vermutlich ist das alles eine Illusion. Wirklich kennen tu ich nur ihre Worte.

„Danke.", sagen beide und wirken dabei erleichtert. Sie bleiben neben mir stehen. Eine kurze Zeit schweigen wir. Vermutlich alle drei in unsere Gedanken vertieft. Dann wendet sich der Junge mit der Brille wieder mir zu. „Ich bin Yassin. Das ist mein Freund Fawad."
Fawad grinst mir zu und streckt mir die Hand entgegen. „Das macht man hier so, oder?", fragt er.

Ich ergreife seine Hand und diesmal ist mein Lächeln durch und durch ehrlich. „Ja, das macht man hier so. Ich heiße Lean.", sage ich und schüttele auch Yassins Hand.
Er wiederholt meinen Namen und schaut mich an. Ich nicke bestätigend. Er hat meinen Namen direkt richtig ausgesprochen. Nur mit etwas mehr Melodie. Aber irgendwie hat es schön geklungen.

„Nimmst du oft den Bus?", erkundigt sich Yassin. „Ja, jeden Tag. Ich mache ein Praktikum in der Gegend und fahre immer um diese Uhrzeit nach Hause." Kurz habe ich Zweifel ob sie mich wirklich verstanden haben, aber sie machen keinerlei Anzeichen, die darauf hindeuten, dass sie es nicht haben.

„Es ist spät.", sagt Fawad nun. „Aber wir fahren jetzt auch immer mit dem Bus weil wir einen Deutschkurs machen. Eine Stufe höher jetzt."
„Habt ihr schon lange Deutschunterricht ?",frage ich um das Gespräch aufrecht zu erhalten.
„Ich ein Jahr.",sagt Yassin. Fawad grinst. „Ich ein bisschen länger. Aber das ist keine leichte Sprache."

Ich lache. „Kann ich mir vorstellen." Der Bus fährt ein und wir holen unsere Fahrkarten raus, um sie dem Fahrer zu zeigen. Die beiden steigen vor mir ein. Fawad dreht sich um und winkt grinsend. Yassin zwinkert mir zu. „Tschüss dann.", sagt er, wendet sich ab und sucht sich einen Sitzplatz neben seinem Freund.

Ich trete in das warme Businnere, zeige meine Fahrkarte vor und gehe durch bis zu Runas Vierer. Jedes Mal bin ich erleichtert, wenn er noch frei ist und der Platz gegenüber auch. Ich setze mich und starre gedankenverloren aus dem Fenster, während der Bus anfährt.
Ich glaube das war das erste Mal, dass mich jemand an der Bushaltestelle angesprochen hat.

Das Tagebuch einer FremdenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt