We all dream the same dream every night - to burn the world that you call civilized ~ Rise Against
Heute morgen auf dem Weg zur Schule habe ich erneut unter dem Wissen gelitten, Opfer einer permanenten Gedankenwiederholen und eines Emotionsstrudels zu sein. Ich habe mich so eingeengt und gedrängt gefühlt zwischen all den lachenden, schweigenden, lebenden Menschen. Ich fühlte mich wie im Gefängnis. Und plötzlich hat sich in meinem Kopf der Gedanken geformt Freiheit zu brauchen.
Zwar hatte ich es nicht direkt auf die Hündin alleine abgesehen, sondern viel mehr auf ihren Namen und dessen Bedeutung, doch was sich als kleine Idee in mir geregt hatte, ist zum Entschluss geworden. In der Innenstadt bin ich ausgestiegen, statt weiter in die Schule zu fahren, in der ich zweifellos Corvin begegnet wäre.
Mir war es egal, was es bedeutete nicht in die Schule zu gehen. In der Spanne eines gesamten Menschenlebens ist ein Klassenbucheintrag und ein vorwurfsvoller Lehrerblick nur ein kleiner Farbklecks.
Nachdem ich ausgestiegen war bin ich direkt zu der Straßenecke zurück, an der ich Anton das erste Mal getroffen hatte. Zu meiner Enttäuschung war er dort nicht. Jedoch habe ich ihn eine Viertel Stunde später auf einer Bank am Parkrand gesehen. Er war eingehüllt in mehrere Decken uns schaute Rosine und Freiheit beim tollen im feuchtnassen Gras zu.
Ganz kurz habe ich gezweifelt, ob ich wirklich hingehen sollte - schließlich hätte meine Anwesenheit aufdringlich sein können wenn er z.B. gern seine Ruhe gehabt hätte. Trotzdem bin ich einfach auf ihn zugegangen und habe darauf vertraut, dass mir meine Mitmenschen sagen, wenn sie lieber allein sein wollen als in meiner Gegenwart.
Im ersten Augenblick hat Anton mich gar nicht erkannt, als ich ihn begrüßt habe. Dann hat er kurz die Augen zusammengekniffen und leicht gelächelt während er gefragt hat, ob ich diejenige sei, die ihm Rosine zurückgebracht hat, als sie davongelaufen war.
Er hat mich eingeladen mich zu ihm zu setzen. Ich bin der Einladung gerne nachgekommen. Gesagt, dass ich nur wegen ihm und seinen Hunden nicht in der Schule war, habe ich ihm nicht. Eine Weile haben wir schweigend nach vorne zu den Hunden gestarrt. Dann ist mir aufgefallen, dass er am ganzen Körper zitterte. Das Wetter war kalt und nebelig, doch ich hatte die Kälte nur am Rande meines Bewusstseins wahrgenommen. Im Gegensatz zu Anton trug ich eine dicke Jacke.
Als ich ihn gefragt habe, ob er friere, hat er nur genickt, ohne mich anzusehen. Seine Reaktion wirkte, als sei es ihm peinlich zuzugeben, dass ihm kalt ist trotz der Wolldecke, die er um seinen Körper geschlungen hatte.
Kurzentschlossen habe ich ihm versprochen in 10 Minuten zurück zu sein und bin in die Stadt gegangen, um dort einen warmen Café zu besorgen.
Als ich in den Park zurückkam, hatte sich eine der Hündinnen um Antons Beine gerollt und den Kopf auf ihren Pfoten abgelegt. Die andere kam mir winselnd entgegen und ich kraulte ihr den Kopf bevor ich zurück zu Anton ging. Irgendwie kamen wir schließlich ins Gespräch, nachdem er mir erzählt hatte, dass er keinen Café trinkt und ich ihn schließlich etwas peinlich berührt selbst getrunken habe.
Ich wusste bis zu diesem Gespräch nicht, dass es neben den Mitarbeitern im Obdachlosenheim noch eine Gruppe Freiwilliger Helfer in unserer Stadt gibt, die sich im Winter darum kümmern, dass die Leute auf den Straßen mit warmen Kleidern versorgt werden. Anton erzählte mir auch, dass er die Decke von ihnen erhalten hatte. Ab und an kämen sie auch mit warmen Suppen.
Ich weiß nicht was er von mir hält, aber ich bin dankbar, dass er mit mir redet und mir auf einer Augenhöhe begegnet. Vielleicht hängt das damit zusammen, dass ich mich ihm gegenüber genauso verhalte. Aber ich wüsste nicht was ich sonst tun sollte. Schließlich ist er genauso Mensch wie mein Vater, meine Lehrer, unsere Bürgermeisterin, ich und jeder andere auch. Nur seine Art zu leben unterscheidet sich von der unseren.
Es bricht mir das Herz wenn ich in der Stadt Menschen sehe, die verächtlich in Richtung der Bettler und Obdachlosen blicken, oder gar dumme Sprüche ablassen. Niemand landet in der Regel freiwillig auf der Straße. Und niemand bettelt gerne oder um daraus zu profitieren.
Es braucht verdammt viel Verzweiflung und Not, dass ein Mensch überhaupt dazu kommt fremde Passanten um etwas zu bitten. Allein der Prozess des Auf-der-Straße-sitzens und einen Becher für das erhoffte Geld in den Händen halten ist an sich erniedrigend und bloßstellend für die Person, die sich in dieser Lage befindet. Und wenn sich jemand dazu überwindet einen Fremden aus so viel Not um ein wenig Geld zu bitten, hat er es meiner Meinung nach verdient, dass man ihm mit Respekt begegnet.
Und seien wir Mal ehrlich - die meisten in dieser Stadt gehen Abends satt, wenn nicht gar übersatt, ins Bett, sie haben eine Arbeit und können sich Ausgaben leisten, die nicht dem puren Überleben dienen. 1 oder 2€ für jemanden, der Tag um Tag für seine Lebensgrundlage kämpft, sind nichts für die meisten der Bewohner hier. Denn die Geldbeutel sind ungleichmäßig gefüllt - und manch einer besitzt nicht mal einen.
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Das Tagebuch einer Fremden
Ficción GeneralRuna. Wenn Lean jemals Tagebuch geschrieben hätte, hätte er dieses Mädchen als faszinierend bezeichnet. Lean kennt nicht einmal ihren Namen und trotzdem füllt nur sie alleine seine Gedanken aus, sobald sie den Bus betritt. Runa ist das Mädchen...