We'll never sell our soul for the chance of gold. ~ Rise Against
Ich war gerade am Hausaufgaben machen, als es geklingelt hat. Erst habe ich mich gewundert, weil das normalerweise die Uhrzeit ist, um die Paps nach Hause kommt und ich mir nicht erklären konnte warum er klingeln sollte. Doch die Ablenkung war mir recht. Ich hab zwar kein Problem mit Parabeln,aber nach einiger Zeit gehen sie einem auf die Nerven und wir haben das gesamte Thema schon letztes Jahr durchgekaut.
Als ich an der Tür stand, und sie, nichtsahnend und naiv wie ich bin, geöffnet habe, hätte ich mir nicht vorstellen können, dass der Moment über meinen gesamten restlichen Tag entscheidet.
Vor der Tür stand Corvin und ich weiß jetzt noch genau wie ich schockiert die Luft angehalten habe. Er hatte die Hände in seinen Jackentaschen vergraben, seine Haare waren verwuschelt. Nicht so wie wenn er gerade erst aus dem Bett gestiegen ist, nicht so wie der Look, den die meisten Mädchen so abgöttisch an Jungs lieben. Eher so, als habe er sich mehrmals verzweifelt die Haare gerauft, weil seine Gedanken nicht das gemacht haben was er wollte. Wenigstens ordnen sich seine Gedanken nicht seinem Willen unter, das ist immerhin etwas, woran sich ein kleines bisschen Genugtuung finden lässt.
Er hat mich gefragt ob ich Lust hätte ein Stück mit ihm spazieren zu gehen. Einfach so, als hätte sich nichts zwischen uns verändert. Als wäre die ganze Zeit, in der ich versucht habe ihn zu vergessen, nicht hart genug gewesen um zu dem Entschluss zu kommen nie mehr was mit Corvin zu tun zu haben. Als wären die ganzen hässlichen Worte niemals zwischen uns gefallen.
Als ich darauf nicht geantwortet habe und mich darauf konzentriert, ihm einen unlesbaren, kalten Blick zu schenken, hat er etwas herumgedruckst und mehrmals an verschiedene Punkte auf dem Boden geschaut. So wie ich es mache, wenn ich eine Haarspange suche, die mir runtergefallen ist. Früher hätte ich ihn in dem Moment zum anbeißen süß gefundnen, aber heute war da nur ein Gefühl von Bitternis.
Als er endlich wieder in meine Augen geschaut hat, hat er behauptet er sei eben zufällig an meinem Haus vorbeigekommen. Am liebsten hätte ich laut gelacht und erwidert "Ja klar, Corvin... hier kommen ständig zufällig Leute vorbei. Und natürlich geht es ausgerechnet dir auch so. Aber hey ! Ist okay, dass du mich anlügst. Diese ganze Sache wegen uns ist ja auch zufällig zu Ende gegangen."
Stattdessen hab ich in seine Augen geschaut, die blau sind, aber viel dunkler, als die klassischen blauen Augen die man so kennt. Ich habe ihm von Anfang an nicht geglaubt, dass das bloß Zufall war, aber mir fiel auch kein anderer Grund ein, deshalb habe ich es darauf beruhen lassen. Ich schwöre ich wollte ablehnen. Ich schwöre ich wollte mich weigern mit ihm Zeit zu verbringen.
Aber als er da vor mir stand und so hoffnungsvoll, verloren und verletzlich aussah, hat irgendwas in mir drin meinen Verstand ausgeschalten. Allein die Tatsache, dass wir uns nach so langer Zeit einfach in die Augen geblickt haben ohne etwas zu sagen... Gosh... ich weiß echt nicht was mit mir los ist.
Mein Kopf hätte reagieren sollen. Ich wusste, dass das der optimale Zeitpunkt gewesen wäre, um ihm zu erzählen, was es mit mir gemacht hat, dass er so herzlos und kalt unsere Beziehung beendet hat. Dass er uns beendet hat. Ohne ein Recht dazu. Dass er mein Kapitel, geschlossen hat. Ohne zu zögern. Ich wollte ihm all das entgegenschleudern. Ihm meine Schmerzen zeigen, ihn damit konfrontieren und wissen, dass er endlich auch mal leidet. Denn so kalt ist er nicht. Egal wie gern er es so hätte.
Tja, und dann... dann bin ich mit ihm gegangen. Es ist mir ein Rätsel wie er das geschafft hat. Ich hab ihn mit einem Monolog vor meiner Haustür bestraft und trotzdem seinen Wunsch erfüllt. Wie dumm kann man eigentlich sein, Runa?
Wir sind eine Stunde durch die Welt gelaufen, ohne ein Wort zu wechseln. Keine Ahnung wolang, ich hab nicht auf den Weg achten können. Er hätte mich überall hin mitnehmen können, ich wäre ihm gefolgt. Diese Tatsache ist unheimlich krank und schockierend.
Aber trotzdem, es hat sich angefühlt wie früher. Als wäre nichts von der ganzen Scheiße je passiert. Und irgendwie hat das Schweigen unheimlich gut getan, während es gleichzeitig etliche Wunden in Rekordzeit wieder aufgerissen hat. Als wollten sie mich auslachen und sagen "Schau Runa, das hast du jetzt von deiner naiven Leichtsinnigkeit."
An der Tür hat er sich von mir verabschiedet. Wir haben uns wieder etwa eine halbe Minute angesehen. Einerseits hat es sich angefühlt wie eine Stunde, andererseits war der Moment wieder so unglaublich schnell vorbei. Ach Gott, ich weiß echt nicht mehr was ich denken soll...
Irgendwann hat er den Blick gesenkt, die Hand zum Gruß gehoben und ein "Tschüss Runa" gemurmelt. Ich hab ihm hinterher gestarrt, wie er in die Dämmerung davon gegangen ist. Das Bild hatte sich mir schon so oft gezeigt und trotzdem hat es sich anders angefühlt.
Dann hab ich meinen letzten Rest Würde vom Boden abgekratzt und die Tür geschlossen. Nur um auf der anderen Seite am Holz hinabzurutschen und das Gesicht in den Händen zu vergraben.
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Das Tagebuch einer Fremden
Narrativa generaleRuna. Wenn Lean jemals Tagebuch geschrieben hätte, hätte er dieses Mädchen als faszinierend bezeichnet. Lean kennt nicht einmal ihren Namen und trotzdem füllt nur sie alleine seine Gedanken aus, sobald sie den Bus betritt. Runa ist das Mädchen...