Das Mädchen heißt also Runa. Es gibt Namen, bei denen man sich wundert, wie die Eltern auf die Idee kamen ihr Kind so zu nennen. Doch Runa gehört für mich nicht zu diesen Namen. Nicht in diesem Fall. Er passt zu ihr.
Ich lege ihr Tagebuch in die Schublade meines Nachttisches, zu meinen Bleistiften und einer Menge loser Blätter, auf denen Zeichnungen sind, für die ich keinen Platz wusste. Mein Smartphone befindet sich ebenfalls darin.
Ich greife danach, schalte es an und antworte zwei meiner Freunde. Irgendwie ist es zur Gewohnheit geworden den Kontakt stets aufrechtzuerhalten, aber wenn ich ganz ehrlich bin, wäre es mir lieber es wäre anders. Nicht dass ich keinen Kontakt halten will, ich will es nur nicht auf diese Weise.
Über Whatsapp gehen so viele Eigenschaften und Angewohnheiten der Leute verloren. Das ist auch der Grund, warum ich vor einiger Zeit damit begonnen habe mein Handy nur dann zu benutzen, wenn ich wirklich jemandem antworten muss. Ich kann nicht bestreiten, dass Runa dabei überhaupt keine Rolle gespielt hat.
Ich habe mich immer gefragt, ob ihr bewusst ist, wie anders sie in dieser Gesellschaft wirkt, dadurch, dass sie nie ein Handy in der Hand hält. Dadurch dass sie schreibt. Wobei das natürlich nicht bedeutet, dass sie keins besitzt. Es ist lediglich ein Zeichen dafür, dass sie mehr Herr über sich selbst ist, als viele andere Menschen. Sie kann dem Zwang widerstehen, der sich mit der Zeit einschleicht. Der Zwang immer auf dem neusten Stand zu bleiben.
Ich lege mein Handy zurück und muss an Taraneh denken und an diesen Idioten Nick. Ich komme nicht damit zurecht, dass es Leute gibt, die so viel Macht über meine Schwester haben, dass sie ihr Lächeln vergisst.
Ich komme generell nicht mit Leuten klar, die über andere so ein Macht haben. Mit Corvin und Runa muss es ähnlich gewesen sein. Sie klingt nicht glücklich, wenn sie über ihn schreibt. Dabei sollte sie glücklich sein, sie sollte es verdient haben. Und allen sollte das bewusst sein.
Egal wie oft ich meinen Tag innerlich Revue passieren lasse, meine Gedanken kehren immer zu Runas Worten zurück. Wie ein ewiger Kreislauf, in dem ich gefangen bin. Als hätte sich der Eingang zu diesem Labyrinth in dem Moment geschlossen, in dem ich ihre ersten Worte las. Als sei es mir verwehrt, jemals wieder einen freien Kopf zu haben.
Sie hat es geschafft mich in so kurzer Zeit in eine Faszination zu ziehen, die mir Fesseln angelegt hat, und mich nicht mehr verlässt. Und jeder Widerstand ist von Anfang an begraben, denn ich hatte eine Wahl. Und ich habe mich freiwillig dafür entschieden.
Und die Konsequenz, dass es mir so erscheint, als würde sich alles nur noch um dieses Mädchen drehen, werde ich in mir tragen müssen, wie den Rest der Dinge, die zu meinem Leben gehören.
DU LIEST GERADE
Das Tagebuch einer Fremden
Ficción GeneralRuna. Wenn Lean jemals Tagebuch geschrieben hätte, hätte er dieses Mädchen als faszinierend bezeichnet. Lean kennt nicht einmal ihren Namen und trotzdem füllt nur sie alleine seine Gedanken aus, sobald sie den Bus betritt. Runa ist das Mädchen...