11.Kapitel

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Das Geräusch der spritzenden Pfützen, verursacht von Reifen, kündigt den Bus an. Schweren Herzens packe ich Runas Tagebuch ein. Die Sache mit dem Bus besitzt eine gewisse Ironie. Eigentlich ist er der Grund, der Auslöser für die ganze Situation. Ohne ihn könnte ich mich nicht so oft in Runas Worten verlieren. Könnte mich nicht so oft von ihr in andere Welten entführen lassen.

Aber gerade könnte der Bus den Zeitpunkt nicht schlechter abgepasst haben. Zu gern würde ich weiterlesen. Lesen ob Runa den Namen der Hündin hinterfragt hat. Wer nennt seinen Hund schon Freiheit ? Lesen ob sie vielleicht einfach wieder gegangen ist.

Zu gern würde ich einfach irgendetwas lesen. Ganz egal was. Ich will nur wissen, wie ihr Tag weitergegangen ist. Ich hoffe sie konnte mit einem Lächeln im Gesicht einschlafen. Ich glaube ich habe sie erst einmal lächeln sehen. Als sie mit dem verwahrlosten Mann im Bus geredet hat, um ihm ihren Platz anzubieten.

Der Busfahrer, ein Mann mit schwarzer Krawatte und Glatze, öffnet die Türen und blickt stumm und desinteressiert auf die Fahrkarten, die ihm vorgezeigt werden. Die Gesten treifen vor Routine.

Ich bin der letzte. Bevor ich in den Bus steige blicke ich kurz nach links. Wäre ich einfach eingestiegen hätte ich die beiden Jungen, die hektisch auf den Bus zurennen, nicht mehr gesehen. Bei genauerem Mustern erkenne ich Yassin und Fawad. Fawad winkt mir zu. Ich erwidere den Gruß nicht und steige ein.

"Könnten Sie vielleicht noch einen Moment warten ? Meine Freunde kommen gleich.", bitte ich den Busfahrer höflich. Der Mann, vermutlich Mitte vierzig, blickt mich an als hätte ich ihm erzählt ich hätte den Nobelpreis gewonnen.

"Das ist ja wohl ihr Problem, wenn sie nicht pünktlich sein können." Er will die Tür schließen, doch ich stelle meinen Fuß dazwischen. "Sie brechen sich keinen Zacken aus der Krone, wenn Sie zwanzig Sekunden warten.", stelle ich das Offensichtliche fest.

Der Busfahrer kneift grimmig die Augen zusammen. "Das tun deine Freunde auch nicht, wenn sie den nächsten Bus nehmen. Geh jetzt aus der Tür!" Ich bleibe hart. "Nein, das werde ich nicht."

"Dann steig aus, ich kann so ein egoistisches Verhalten nicht tolerieren. Du bist nicht der einzige Fahrgast!" Während der Busfahrer inzwischen auf 180 ist, starren die meisten Fahrgäste hinter mir im Bus desinteressiert auf ihre Handys oder aus dem Fenster. Eine Ansammlung leerer Blicke. Vermutlich haben die wenigsten unsere Auseinandersetzung überhaupt registriert.

Fawad und Yassin erreichen etwas außer Puste die Tür. "Danke.", sagt Fawad und klopft mir freundschaftlich auf die Schulter. Wütend presst der Busfahrer den Türschließknopf. Yassin und Fawad zeigen ihm ihre Karten und das erste Mal scheint der Busfahrer sich ernsthaft für die Informationen zu interessieren, die darauf stehen. Ich folge den beiden den Gang hinab.

Wenn Blicke töten könnten müsste jetzt wohl jemand einen dreifachen Leichenwagen ordern.

Die beiden Jungen setzten sich ausgerechnet in Runas Vierer, wo schon ein kleiner Junge mit Schulranzen sitzt. Als er sieht, dass wir uns setzen wollen nimmt er den Ranzen auf seinen Schoß. Es ist nur noch ein Platz frei. Das erste Mal, seit Runa nicht mehr mit dem Bus fährt, setze ich mich auf ihren Platz.

Schlagartig wird mir bewusst, dass ich mich irgendwie damit abgefunden habe, dass sie nicht mehr Bus fährt. Ohne es wirklich zu bemerken habe ich es akzeptiert, sie nicht mehr schreiben zu sehen. Mein verzweifeltes Hoffen ist gespanntem Warten gewichen. Warten auf den nächsten Zeitpunkt, in dem ich ungestört in ihrem Buch weiterlesen kann.

Ihre Worte haben ihre Anwesenheit ersetzt und ich habe mich bereits daran gewöhnt.
Doch hätte ich eine Wahl zwischen dem schweigenden, mysteriösen, schreibenden Mädchen und ihren alleingelassenen, aussagekräftigen Worten, wüsste ich nicht wofür ich mich entscheiden sollte.

Die restliche Fahrt unterhalte ich mich mit Yassin und Fawad. Doch ich bin mit meinen Gedanken nicht bei der Sache, bin nicht am selben Ort. Mal wieder ist da dieses Mädchen, dass mein Denken irgendwie immer einnimmt.

Und inzwischen ist mir bewusst, dass jede Ablenkung von Runa eine Ablenkung von absehbarer Dauer ist.

Das Tagebuch einer FremdenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt