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Noch immer erwiderte Tikki stumm Marinettes Blick.
Irgendwann, als sie sich schon zu fragen begann, ob ihr Kwami überhaupt etwas zu ihrer langen, ausschweifenden Erklärung sagen würde, erschien ganz langsam ein Lächeln auf ihrem Gesicht.
Es war ein sanftes, ungetrübtes Lächeln, das unverkennbar von Herzen kam.

»Du bist zu einer beeindruckenden, jungen Frau geworden.«, sagte sie.
»Euer Kind kann sich glücklich schätzen, dich als Mutter zu haben.
Und Paris kann sich glücklich schätzen, dass du darüber wachst.«
Tikki schien sich bewusst zu sein, welche Wirkung ihre Worte hatten – dass nun die Anspannung von Marinette abfiel und sich ein angenehmes, warmes Gefühl in ihrem Bauch ausbreitete – und sie schwieg erneut für einige Sekunden, bevor sie weitersprach.

»Schon damals, als Meister Fu dich zur neuen Hüterin ernannt hat, wusste ich, dass du die Richtige dafür sein würdest.
Es hat Zeit gebraucht und du musstest viel durchmachen, aber du hast gelernt, dass die Welt nicht so einfach ist, wie sie scheint; dass das Leben über bloße Fakten und Risikoanalysen hinausgeht.
Du hast dich darauf eingelassen, nicht alles kontrollieren zu können, und hast deinen eigenen Weg gefunden.
Damit ist nun der Moment gekommen, in dem ich dir erzählen kann, was du schon so lang wissen willst.«
Marinette wusste nicht, wovon sie redete und war dementsprechend überrascht, den folgenden Satz zu hören.

»Deine und Adriens Vorgänger ... Dich interessiert doch bestimmt immer noch, was mit ihnen passiert ist.«
Sobald es in Marinettes Kopf angekommen war, was ihr Kwami gerade gesagt hatte, nickte sie hastig.
Zum Glück verspürte Tikki diesmal nicht das Bedürfnis, eine qualvolle Pause zu lassen.

»Ich habe dir nicht schon früher von ihnen erzählt, weil ich dich nicht in eine bestimmte Richtung beeinflussen wollte.
Du solltest lernen, dir selbst zu vertrauen und eigene Entscheidungen zu treffen.
Deine Vorgängerinnen und du – ihr ähnelt euch an vielen Stellen.
Die Hindernisse, die ihr im Laufe der Zeit überwinden müsst, stimmen zu großen Teilen überein, genauso eure Gegner und Partner; sogar eure persönliche Entwicklung.
Aber am Ende hat mich noch jede einzelne Ladybug überrascht.
Oft schienen die Unterschiede nur im Detail zu liegen, trotzdem war kein Weg wie der andere.

Das ist eine der Sachen, die mich an den Menschen immer besonders fasziniert hat. Wie unvorhersehbar und komplex ihr Leben ist!
Scheinbar unbedeutende, kleine Entscheidungen können ihm eine leicht veränderte Richtung geben und Wochen, Monate oder sogar erst Jahre später gravierenden Einfluss auf den letztendlichen Lebensweg haben.

Lange Zeit habe ich versucht, die Muster zu erkennen. Gewissermaßen die »Regeln« des Lebens zu verstehen.
Ich wollte den Trägerinnen meines Miraculous so gut helfen, wie ich konnte; immer den perfekten Ratschlag, die perfekte Lösung für ihre Fragen und Probleme zur Hand haben.«
An dieser Stelle lächelte Tikki in sich hinein und Marinette hatte den Eindruck, dass sie über ihr früheres Ich lächelte; ihr früheres Ich, das sich anscheinend in einigen grundlegenden Dingen von ihrem jetzigen unterschied.

»Wie du ja schon oft am eigenen Leib erfahren hast,«, fuhr Tikki fort, »denke ich mittlerweile anders darüber.
Ich könnte dir jetzt lang und breit erzählen, welche konkreten Erfahrungen mir gezeigt haben, wo meine Aufgabe als Kwami in Wahrheit liegt. Ich könnte dir von den Fehlern erzählen, die ich gemacht habe.
Aber du würdest bestimmt viel lieber etwas vom Leben deiner Vorgängerinnen hören als von meinem.«
Marinette senkte den Blick, denn Tikki hatte recht. Sie konnte es in der Tat kaum erwarten, dass ihre kleine Freundin mit ihren Ausführungen zum interessanten Teil kam.

»Dass du und Cat Noir nicht das erste Miraculous-Träger-Paar seid, weißt du ja bereits. Aber was ich dir noch nicht gesagt habe, ist, dass eure Vorgänger sich - wie ihr - geliebt haben. Und zwar sie alle.
Bei manchen hat es länger gedauert als bei anderen, aber es gab keine einzige Partnerschaft, die nicht irgendwann zu Liebe geworden ist.«
Obwohl Tikki mit ihren Worten sehr eindeutig gewesen war, hätte Marinette sie beinahe unterbrochen und nachgefragt: »Wirklich alle
Sie hatte sich bereits viele Gedanken zu dem Thema gemacht, trotzdem fiel es ihr schwer, diesen neuen Fakt in das Bild ihrer Vorgänger einzufügen.
Tikki fuhr fort.

Miraculous - Unendlich (FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt