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Es war nur der Bruchteil des Bruchteils einer Sekunde gewesen, in dem die Entscheidung gefallen war.
Für Marinettes hatte es zwei Optionen gegeben.
Zwei Möglichkeiten, auf das lautlose Dahingleiten des Akumas zu reagieren.
Und ihr Kopf – oder welcher Teil von ihr auch immer – hatte sich für die zweite davon entschieden.

Statt die Maske vom Gesicht zu nehmen, war sie Cat Noir um den Hals gefallen.
Und statt ihm zu sagen »Ich heiße Marinette.«. hatte sie ihn angefleht, ihr zu vertrauen.

Nun war es zu spät.
Zu spät, diese Entscheidung zu überdenken – oder überhaupt erst einmal darüber nachzudenken.
Sie konnte nur noch abwarten.

Cat Noir zu halten, war tröstlich, aber sein Herzschlag war das, woran sie sich gerade festhielt.
Sie war sich sicher, dass sie es spüren würde, wenn er sich verwandelte. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass sein Herzschlag der gleiche blieb, wenn er zu Cat Blanc wurde und deshalb war alles in ihr auf diesen gleichmäßigen Rhythmus ausgerichtet.
Jeder einzelne Schlag war wie ein kleiner Sieg.

Die Zeit verging.
Herzschlag um Herzschlag.
Marinette wagte es nicht, die Augen zu öffnen.
Vielleicht lag sie falsch.
Vielleicht würde Cat Blanc genauso reglos dastehen wie Cat Noir.
Vielleicht würde sein Herzschlag sich genauso anhören.
Und vielleicht war der Mensch, den sie liebte, bereits verschwunden.

Doch da rührte er sich. Er hob den Arm und legte seine Hand auf ihrem Rücken ab.
Seine Erwiderung der Umarmung war so zögerlich und behutsam, wie sie es noch nie erlebt hatte; wie sie es von ihm gar nicht kannte.
Für gewöhnlich war sein Griff fest und unnachgiebig – als wöllte er sie nie wieder loslassen oder als hätte er Angst, sie könnte ihm entwischen.
Nun schien ihm sogar diese zarte Berührung schwerzufallen.
Trotzdem war sie eine der schönsten Gesten, die sie jemals von ihm gespürt hatte.
Denn obwohl sie so untypisch für ihn war, erkannte sie ganz klar ihn dahinter.
Ihren Cat Noir.
Sie spürte den Schmerz und die Verzweiflung dahinter, die sie kurz zuvor in seinen Augen gesehen hatte. Sie wusste genau, warum diese Geste ihm so schwerfiel.
Nicht, weil er nun von Hawk Moth manipuliert wurde, sondern weil er gerade die Person im Arm hielt, die ihn gebrochen hatte – und die er trotzdem noch immer liebte.

»Cat ...«, flüsterte Marinette.
Ihre Stimme klang so schwach und kratzig, dass selbst ihre Mutter sie nicht wiedererkannt hätte.
»Bitte gib mir noch bis morgen Abend Zeit! Dann werde ich dir alles erklären.«
»Du willst es mir erklären?«, fragte er.
Seine harte, kalte Stimme stand im so klaren Kontrast zu seiner zarten Berührung, dass Marinette für einen Moment tatsächlich Angst bekam und die Augen öffnete.

Sein schwarzer Anzug bestätigte es ihr.
Er war Cat Noir.
Aber ob er noch ihr Cat Noir war, dabei konnte sie sich auf einmal nicht mehr sicher sein.

»Was gibt es da zu erklären?«, redete er weiter, »Du warst mehr als deutlich. Ich hab verstanden.«
Marinette löste sich aus der Umarmung, um ihm ins Gesicht zu sehen, während sie mit dem Kopf schüttelte.
»Du kannst es nicht verstehen. Weil du noch gar nicht alles weißt.«
Dann wiederholte sie ihre Bitte: »Gib mir bis morgen Abend Zeit.«
»Warum erklärst du es mir nicht jetzt
Mit jedem Wort schien die harte Fassade, hinter der Cat Noir seine verletzten Gefühle zu verbergen versuchte, weiter zu schwinden.
Marinette musste schwer schlucken, bevor sie auf seine Frage antworten konnte.

»Weil ich es jetzt mit Sicherheit falsch machen würde. Ich bin viel zu aufgewühlt und verwirrt und erschöpft.
Und es ist zu wichtig, als dass es schiefgehen darf.«
Sie wollte ihre Hand an seine Wange legen, doch er wich vor der Berührung zurück.
»Dir ist hoffentlich bewusst, dass du das nicht mehr lang mit mir machen kannst. Du kannst mir nicht in einem Moment Hoffnungen machen und im nächsten ...«
Er beendete den Satz nicht und presste stattdessen die Lippen fest aufeinander.

Miraculous - Unendlich (FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt