Epilog

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Der Wintergarten des Agreste-Anwesens wurde vom Licht unzähliger, warm-gelber Lampen erhellt. Mit ihrem Leuchten hatten sie die verglasten Wände und sogar die pyramidenförmige Decke in Spiegel verwandelt, sodass der Raum viel größer wirkte, als er in Wahrheit war.
Marinette betrachtete fasziniert die große Glasscheibe zu ihrer rechten, in der die gegenüberliegende, ebenfalls spiegelnde Wand zu erkennen war - ein Spiegelbild im Spiegelbild.
Nachdem das Licht zweimal den kompletten Raum samt mehreren Schichten Glas durchquert hatte, war es deutlich abgeschwächt.
Das Abbild war viel dunkler als das Original. Außerdem hatte die Mehrfachverglasung es verzerrt und so waren die anwesenden Personen kaum noch als solche zu erkennen.

Während Marinette den verschwommenen, cremefarbenen Fleck betrachtete, der zu Adriens Vater gehörte, lauschte sie auf das glucksende Lachen ihrer Tochter.
Sie konnte sich nicht entscheiden, was die angenehme Atmosphäre des Raumes am meisten ausmachte: Dieses Kinderlachen, die warme, noch leicht nach Kaffee und Kuchen duftende Luft, die Gegenwart der Menschen, die ihr allesamt am Herzen lagen, oder der starke Kontrast zu der Dunkelheit und Kälte auf der anderen Seite der Glasscheiben.

Marinette hätte gern gewusst, wie der Wintergarten von außerhalb aussah.
Wie weit drang das Licht nach draußen? Kam es noch bis in die hinterste Ecke des winterlich-kahlen Gartens?
Der gläserne Anbau musste inmitten der Dunkelheit wie eine Oase der Wärme und Behaglichkeit aussehen.
Obwohl sie gern von oben einen Blick auf die Szene geworfen hätte, verspürte sie ausnahmsweise nicht das Bedürfnis, sich hinauszuschleichen und eines der umliegenden Hausdächer zu erklimmen.
Doch schon allein der Gedanke daran reichte aus, damit ihre Finger ganz von selbst zu den zwei schmalen, bronzefarbenen Ringen an ihrem rechten Daumen wanderten.
Sie umfasste den unteren der beiden und spielte daran herum.
Ihre Haut hatte sich mittlerweile an das Gefühl gewöhnt, wenn der Ring ihr Fingerglied umkreiste oder ein paar Millimeter nach oben oder unten rutschte.

Als auf einmal jemand neben ihr auftauchte, ließ Marinette aus Reflex sofort von dem Miraculous an ihrer Hand ab, um keine Aufmerksamkeit darauf zu lenken.
Doch es war Adrien, der sich an ihre Seite gestellt hatte.
Und so verschwand der Anflug von Anspannung sofort wieder und stattdessen erschien ein Lächeln auf ihrem Gesicht, als sie ihn ansah.

»Hier.«
Er reichte ihr eine Tasse.
»Danke.«
Sie umschloss sie mit beiden Händen, führte sie hinauf zu ihrer Nase und nahm einen tiefen Atemzug.
Der Duft von heißem Orangensaft mit Zimt ließ sie für einen Moment genüsslich die Augen schließen.
Sie nahm einen Schluck.
Erst dann sah sie wieder zu Adrien hinüber.

»Ich habe mich irgendwie immer noch nicht an diesen Anblick gewöhnt.«, sagte er.
Sie folgte seinem Blick, der in die rechte, hintere Ecke des Wintergartens gerichtet war.
»Redest du von Mira oder vom Lächeln deines Vaters?«
»Von beidem.«

Marinette verstand ihn nur zu gut.
Sie selbst hatte in der letzten halben Stunde ebenfalls den Großteil der Zeit gebannt dabei zugesehen, wie Gabriel Agreste mit ihrer kleinen Tochter spielte.
Dass ihre eigenen Eltern vernarrt in ihr süßes Enkelkind sein würden, damit hatte sie schon am Tag von Miras Geburt gerechnet. Aber dass Adriens distanzierter, kühler Vater so viel Begeisterung und Zuneigung zeigen würde, überraschte sie bei jedem ihrer Treffen aufs Neue.
Und Miras bloße Existenz erschien Marinette sowieso an jedem Tag wie ein Wunder.

»Sag mal: Sieht sie genauso glücklich aus, wenn ich sie auf dem Arm habe?«
Adriens Stimme war anzuhören, dass die Frage nicht ernst gemeint gewesen war. Marinette verspürte trotzdem den Drang, ihm gut zuzureden.
»Keine Sorge. Gegen deinen Heimvorteil als ihr »Papa« kommt nicht mal Gabriel mit seiner Seidenkrawatte an.«
Wie aufs Stichwort startete Mira auf der anderen Seite des Raumes ihren nächsten Greif-Angriff auf das rot-weiß-gestreifte Halstuch ihres Großvaters – die fünfte oder sechste an diesem Abend.
Seit sie von Sabines Armen auf Gabriels gewechselt war, hatten sich ihre kleinen Hände immer wieder nach dem seidig-schimmernden Tuch ausgestreckt.

Miraculous - Unendlich (FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt