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Obwohl nur der Bürgersteig ihren Unterstand von der Straße trennte, wurde Marinette auf dem kurzen Weg zu Adriens Auto komplett durchnässt.
Nicht nur von oben drang die Feuchtigkeit auf sie ein, sondern auch von unten und den Seiten.
Es waren nur drei Sekunden unter freiem Himmel, doch in dieser Zeit schien der Wind mehrmals die Richtung zu wechseln, um ihren kompletten Körper mit den dicken Tropfen zu treffen. Und als ob das nicht ausgereicht hätte, war da auch noch das aufspritzende Wasser von den Pfützen unter ihren Füßen.
Halb blind vom Regen, der ihr in die Augen lief, und praktisch taub von seinem Rauschen, stolperte sie auf die offene Beifahrertür zu.
Irgendwie gelang es ihr, sich beim Einsteigen weder den Kopf noch die Schienbeine an der Karosserie zu stoßen.

Die Wärme des Wageninnern umfing Marinette und mit einem leisen Seufzen ließ sie sich in den Sitz fallen.
Schnell zog sie die Tür hinter sich zu. Das laute Krachen war das befriedigendste Geräusch, dass sie seit Langem gehört hatte.

Sie schloss die Augen und gönnte sich einen Moment, um die Wärme und Stille zu genießen, die sie nun umgaben.
Genau genommen war das ohrenbetäubende Prasseln des Regens nicht verstummte, aber es klang nun viel weniger aggressiv und dröhnend.
Es fühlte sich weit, weit weg an.
Es gehörte zu der kalten, nassen Welt »dort draußen«, die so gar nichts mit dem warmen, trockenen Innern des Autos zutun hatte.

Marinette war sich nicht sicher, welche Veränderung gravierender war: die ihrer Umgebung oder die ihrer Gefühle.
Schon beim Anblick von Adriens Auto war ihre gedrückte Laune von einer Welle aus Erleichterung und Dankbarkeit weggespült worden.
Jetzt, wo sie darin saß, hatten ihre Gefühle noch einen draufgesetzt.
Sie fühlte sich wie berauscht.
Ihr Herzschlag und ihre Atmung waren beschleunigt und als sie die Augen wieder öffnete, schien das Wageninnere in ein warmes Licht getaucht zu sein - obwohl der Regen, die dichte Wolkendecke und die eng stehenden Häuser jegliches Sonnenlicht abschirmen mussten.

Marinette wischte sich das Wasser aus den Augen, doch der Eindruck blieb. Vielleicht war es ja dieses überwältigende, erlösende Gefühl, das nun all ihren Sinnen Behaglichkeit signalisierte, und im Fall ihrer Augen vorgaukelte.
Auf jeden Fall war es dieses Gefühl, was sie ein strahlendes Lächeln aufsetzen und sich Adrien zuwenden ließ.
Ihr Blick begegnete seinen grünen Augen und sie sprach spontan aus, was sie gerade dachte: »Du bist mein Held!«

Ihre laute, überschwängliche Stimme wirkte unpassend in der Enge des Wageninnern, doch Marinette war das in diesem Moment egal.
Was ihr jedoch nicht egal war und sie außerdem überraschte, war Adriens Reaktion.
Sie hatte sich vorher keinerlei Gedanken darüber gemacht, aber wenn, hätte sie wohl nicht mit einem so schnellen, ruckartigen Abwenden seines Blicks gerechnet.
»Ist doch selbstverständlich.«, murmelte er und rieb sich den Nacken.
Seine sichtliche Verlegenheit dämpfte Marinettes Überschwang ein wenig – weit genug, damit die Gedanken in ihrem Kopf langsam in Bewegung kamen und sie ihr Auftreten überdachte.

Adrien hatte sie vor der Kälte und dem Regen gerettet und würde sie jetzt vermutlich nach Hause fahren, wo trockene Kleidung, eine heiße Tasse Tee und ihr Bett auf sie warteten.
Sie hatte allen Grund, sich zu freuen.
Allerdings war sie mit ihrem Ausruf wohl etwas zu weit gegangen.

Je länger sie darüber nachdachte, desto klarer wurde, wie unangebracht es gewesen war, ihn als ihren »Helden« zu bezeichnen – auch wenn sie damit nur ihre Dankbarkeit hatte ausdrücken wollen.
Genau genommen waren aus Marinettes Mund alle Bezeichnungen, die auf das Wörtchen »mein« folgten, ihm gegenüber unangebracht.

Seit ihrem Date am 30. Dezember hatten sie kaum ein Wort miteinander gewechselt.
Sie hatten an Silvester telefoniert, weil Adrien am Vortag dummerweise ihren kleinen Zusammenbruch mitbekommen hatte und es ihr wichtig gewesen war, die Sache aufzuklären. Aber darüber, wie genau sie neuerdings zueinander standen, hatten sie bei diesem Telefonat nicht geredet.
Und auch seitdem nicht.

Miraculous - Unendlich (FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt