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Mit geschlossenen Augen lauschte Marinette auf die Stimme des Menschen, den sie auf der Welt am allermeisten liebte.
Der Inhalt seiner Worte gefiel ihr nicht, trotzdem ging es ihr gut.
Sie war hier, bei ihm, und er hielt sie. War für sie da.
Nicht nur ihre Ohren nahmen auf, was er sagte, denn von seiner Brust wurde die Vibration direkt in ihren eigenen Körper übertragen.
Kein Wunder also, dass es mit Leichtigkeit bei ihrem Herzen ankam und ihre Gefühlswelt anrührte.
Selbst Ablehnung, Traurigkeit und Erschöpfung konnten nicht die besondere Intimität des Momentes verhindern.

»Ich habe damit gerechnet, dass du es nicht zulassen würdest.«, sagte Cat Noir. Er sprach leise und ruhig.
»Und ich habe auch damit gerechnet, dass du an meiner Stelle dein Miraculous aufgeben wollen würdest.
Ich weiß aber auch, dass es alles andere als selbstverständlich ist.
Danke, dass du bereit dazu warst.
Es bedeutet mir viel.«
Er hauchte ihr einen federleichten Kuss auf die Stirn.
Dann redete er weiter.

»Ich hoffe, du wusstest in deinem Innern auch bereits, wie meine Reaktion ausfallen würde.
Du wusstest, dass ich dich niemals deine Ohrringe aufgeben lassen könnte, nur um selbst weiterhin Cat Noir zu sein, oder?
Dem würde schon allein meine Welteinstellung entgegenstehen.
Die Frau bleibt Zuhause und gibt ihren Traum auf, damit der Mann die Abenteuer erlebt und sich draußen rumtreibt? Dafür leben wir im falschen Jahrtausend.«
Sie konnte ihm anhören, dass er lächelte.
Ihr selbst war nicht danach zumute, aber die Ungezwungenheit in seinem Reden tat trotzdem gut.

»Es kommt mir wie eine Ironie des Schicksals vor, dass wir nun an diesem Punkt sind.«, fuhr er fort. »Es fühlt sich irgendwie falsch an, dass ausgerechnet unsere Liebe zueinander uns dazu treibt, unsere Miraculous wegzugeben.
Immerhin haben wir uns nur durch die Miraculous kennengelernt.
Sogar mehr als das: Wir wurden füreinander ausgewählt. Als Partner.
Als Träger der beiden mächtigsten Miraculous, die so eng miteinander verbunden sind, wie keine anderen.«
Mittlerweile erinnerte sein Tonfall Marinette an einen Geschichtenerzähler.
Sie hörte ihm gern zu.

»Ausgerechnet diese Macht und diese besondere Verbindung ist der Grund, warum wir nicht wissen dürfen, wer der andere ist.
Bei den anderen Miraculous ist es nicht so entscheidend. Nur bei uns. Ausgerechnet bei uns ...«
Er verstummte einen Moment.
Als er weitersprach, war der hauchzarte, bittere Unterton wieder vollständig aus seiner Stimme verschwunden.

»Ich bin froh, dass wir uns nicht erst darüber streiten müssen, wer von uns beiden sein Miraculous aufgibt.
Und ich bin erleichtert, dass die äußeren Umstände ganz klar mich zu demjenigen machen.«
Nun spürte Marinette eine leichte Unruhe aufkommen.
Es wurde ernst.
Ein Teil von ihr wollte sich aufrichten und Cat Noir mitteilen, dass sie noch längst nicht ihr Einverständnis gegeben hatte.
Aber sie blieb auf seiner Brust liegen.
Sie wollte hören, was er weiter sagte.
Nach ihrem Gegenvorschlag auf dem Notizblock hatte sie nur so schnell aufgegeben, weil sie mit ihren aufgewühlten Gefühlen seiner Entschlossenheit und ruhigen Sicherheit nichts entgegenzusetzen gehabt hatte.
Doch wenn sie ihn richtig verstand, gab es zwingende, objektive Gründe, die - unabhängig von seiner Liebe und seiner eigenen Entscheidung - für seine Variante sprachen.

»Für den Moment komme ich mit Beta Bug gut klar und sie kann dich vertreten, aber auf Dauer braucht Paris dich als Ladybug.
Ohne deine Erfahrung und deine außergewöhnlichen Fähigkeiten wird es unmöglich sein, Hawk Moth endgültig zu besiegen.
Da bin ich mir sicher.«
Marinette konnte nicht anders, als den Kopf zu heben und Cat Noir mit gerunzelter Stirn anzusehen.
Übertrieb er da nicht etwas?
Er schien kein bisschen überrascht von ihrer Reaktion und grinste sie an.
»Du glaubst, ich übertreibe.«, las er ihre Gedanken. »Meinetwegen. Aber es gibt noch mehr Gründe, warum es wegfällt, dass du deine Ohrringe für immer weggibst.«
Er legte den Kopf leicht schief und musterte Marinette weiter.
»Du hast es noch nicht so weit durchdacht, dass es dir aufgefallen ist.«
Es war eine simple Feststellung, die keine Reaktion verlangte.

Miraculous - Unendlich (FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt