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Marinette schloss die Augen.
Der Impuls, sich die Hände über die Ohren zu legen und laut zu summen, um nichts mehr hören zu müssen, war beinahe übermächtig.
Für den Moment war Cat Noir verstummt; er wartete ab, wie sie auf seinen Vorschlag reagierte.
Doch sie wusste, dass er jeden Moment weiterreden würde und etwas in ihr riet ihr, sich schon jetzt darauf vorzubereiten.
Sich zu einer Kugel zusammenzurollen und sich von ihm und seinen Worten abzuschirmen. Oder davonzulaufen.

Sie wusste, dass sie keins von beidem tun durfte und so nutze sie die Stille, um – wenn auch nur ein paar Sekunden – darüber nachzudenken.
Sie fragte sich, ob es an ihr lag.
Ob ihre Angst vor Veränderungen zu groß war und sie zu sehr vor jedem Risiko zurückschreckte, um Cat Noirs Entscheidungen nachvollziehen zu können.
Oder ob es vielleicht doch an ihm lag.
Ob er nicht ausreichend über seine Vorschläge nachdachte, bevor er sie ihr vorlegte und damit regelrecht provozierte, dass sie ihm widersprach.

Für Marinette war die Versuchung groß, ihm Unüberlegtheit und Leichtfertigkeit vorzuwerfen, aber mittlerweile kannte sie ihn zu gut.
In Momenten wie diesem gefiel es ihr nicht, aber sein Standpunkt und seine Gedanken hatten die gleiche Berechtigung wie ihre eigenen.
Sie war es ihm schuldig, dass sie sich jedes einzelne seiner Argumente anhörte.
Es stand ihm zu.
Und erst wenn er ihr seine Sicht bis ins Detail geschildert hatte, würde sie ihm sagen können, was sie selbst darüber dachte.

Für die Stimmung zwischen ihnen, für die Erinnerung an diesen Nachmittag und für ihre Beziehung im Allgemeinen wünschte Marinette sich, dass es tatsächlich eine Option wäre, sich von ihm umstimmen zu lassen.
So wie bei seinem Vorschlag mit dem Zusammenziehen.
Leider war es bereits jetzt unmöglich, dass sie einen gemeinsamen Nenner fanden - egal, wie viele gute Argumente Cat Noir vorbereitete hatte und egal, wie lange sie die Sache noch ausdiskutierten.
Denn sie würde seinen Ring auf keinen Fall zurücknehmen.

»Ich weiß, das klingt jetzt erst mal ziemlich hart, aber es würde all unsere Probleme lösen.«
Cat Noirs Stimme klang gedämpft und weit entfernt; als würde er aus dem Nebenraum zu ihr sprechen.
Marinette öffnete die Augen.
Er lag unverändert neben ihr und sah sie an.

Sein Anblick versetzte ihr einen unerwarteten Stich.
Ihr Blick zuckte über die schwarze Maske, die sein Gesicht bedeckte, über sein blondes Haar, aus dem die spitzen, schwarzen Katzenohren hervorschauten, und dann zurück zu seinen Augen.
Noch heftiger als jemals zuvor war da der Drang, ihm das Wort abzuschneiden.
Schon allein die Vorstellung, diese Augen niemals wiederzusehen ...

Doch das war nicht alles.
Sie war sich bewusst, dass all das nur Äußerlichkeiten waren, was sie aufgeben müsste - unbedeutend im Vergleich zu dem, was sie im Gegenzug erhalten würden; ein geringer Preis für ein gemeinsames Leben ohne Masken und Geheimnisse und Lügen.
Aber wie Cat Noir gesagt hatte, war in diesem Szenario nicht sie diejenige, die den echten und schmerzhaft hohen Preis bezahlen musste.
Er war es.

»Du musst mich nicht so traurig ansehen.«, redete er weiter und lächelte sie dabei an.
Nun war seine Stimme wieder völlig klar und deutlich zu hören.
»Wir haben lang genug versucht, einen anderen Weg zu finden, aber es gibt keinen.
Oder hattest du mittlerweile einen Einfall, von dem du mir noch nichts erzählt hast? Ist dir doch noch eine überzeugende Erklärung eingefallen, warum ich da bin und dir die Wohnung bezahle und all das, aber niemand mich treffen kann?«
Er hatte einen fragenden Ausdruck in den Augen.
Mit etwas Verzögerung schüttelte sie mit dem Kopf.
Irgendetwas an Cat Noirs Stimme verursachte bei ihr ein unangenehmes Gefühl.

»Mir auch nicht.«, fuhr er fort. »Und ehrlich gesagt zweifle ich inzwischen daran, dass wir es auf diesem Weg hinbekommen können – selbst wenn wir uns weiter anstrengen und viel Zeit und Kraft hineininvestieren.
Vielleicht ist es einfach nicht möglich.
Vielleicht können wir nicht zusammen leben, ohne unsere echten Namen zu kennen.«
Marinette versuchte noch immer, dem unschönen Gefühl auf den Grund zu gehen, doch weder sprach Cat Noir zu laut, noch benutzte er zu viele harte Konsonanten beim Sprechen.
Es war auch nicht das Fehlen von Wärme oder Sanftheit, was sie störte.
Sie stieg einfach nicht dahinter, was es war.

Miraculous - Unendlich (FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt