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Marinette hatte nicht gewusst, wie sehr sich alles in ihr nach einem täglichen Austausch mit Cat Noir gesehnt hatte.
Es war, als würden die E-Mails einen Platz in ihrem Leben ausfüllen, der bisher immer leer gestanden hatte.
Sie waren der Beweis – schwarz auf weiß – dass Cat Noir trotz ihrer räumlichen Trennung Teil ihres Lebens war.
Und das fühlte sich unheimlich gut an.

Einen geheimen Freund zu haben hatte bisher in ihrem Alltag ausschließlich Nachteile gehabt.
Jetzt jedoch erlebte sie zum allerersten Mal, welchen Einfluss ein fester Freund auf das normale Leben haben konnte, wenn Interaktionen nicht ausschließlich auf nächtliche Treffen alle paar Tage begrenzt waren.
Ihre Schultage, die Zeit, die sie zu Hause verbrachte, die Treffen mit ihren Freunden und sogar bloßes Unterwegssein – all das war von einem Tag auf den anderen nicht mehr wie zuvor.

Auf einmal waren die beiden großen Teilbereiche ihres Lebens miteinander verbunden, gingen nahtlos ineinander über.
Da war immer diese klare Trennung zwischen Cat Noir und ihrem normalen Leben gewesen. Und jedes Mal, wenn sie von einer Seite auf die ander gewechselt war, hatte sie einen Teil von sich selbst zurückgelassen.
Nun war sie nicht länger in diesem Zwiespalt gefangen.
Sie musste sich nicht mehr entscheiden, denn es ging beides. Gleichzeitig.

Schon nach kurzer Zeit bekam Marinette sogar den Verdacht, dass es womöglich niemals zu ihrer Trennung gekommen wäre, wenn sie sich schon früher Mails geschrieben hätten.
Keiner der vernünftigen Gründe für diese Entscheidung wurde dadurch gelöst - da waren noch immer die vielen Lügen und Ausreden, das Fehlen der allermeisten Pärchenaktivitäten und Zukunftsaussichten und die erzwungenen Tabuthemen zwischen ihnen – doch es fühlte sich viel erträglicher an.
Es war nicht perfekt, aber es war mehr, als Marinette sich in naher Zukunft erhofft hatte.

Vielleicht war es auch diese neue Ebene von Nähe und Vertrautheit zwischen ihr und Cat Noir, die ihr Leben so deutlich heller und schöner machte.
Obwohl sie sich drei ganze Wochen lang nicht treffen konnten, durchdrang Cat Noirs Gegenwart jede Stunde ihres Tages.
Selbst wenn sie einen halben Tag nichts von ihm hörte, hatte sie doch das Gefühl, ihm jederzeit nahe sein zu können.
Sie konnte ihm sagen, was sie dachte oder fühlte. Sie konnte die bedeutsamen Kleinigkeiten ihres Alltages mit ihm teilen, konnte sich zu ihm hinwenden, wenn sie ihn vermisste, und sie bekam mit, wie es ihm ging.

Es war wie ein langes, nie endendes Gespräch zwischen ihnen.
Eine Verbindung, die niemals durch einen Abschied unterbrochen wurde.
Marinette gab dem Schulunterricht, ihren Freunden, Eltern und ihren sonstigen Beschäftigungen die nötige Aufmerksamkeit. Und sie fieberte auch nicht verzweifelte Cat Noirs nächster Mail entgegen, wann immer sie ihm geschrieben hatte.
Doch er verschwand nie vollständig aus ihrer Wahrnehmung.
Seine indirekte Präsenz war immer da.

Es war verwunderlich, dass es ausgerechnet die aus Nullen und Einsen zusammengesetzten Nachrichten waren, die seine Anwesenheit in Marinettes Gefühlen so deutlich machen konnten.
Sie hätte es eher nachvollziehen können, wenn es analoge Briefe gewesen wären, mit denen er direkten Kontakt gehabt hatte; denen womöglich noch flüchtig sein Geruch anheftete und bei dem sie den geschriebenen Buchstaben ansehen konnte, ob er in Eile gewesen war oder beim Schreiben starke Gefühlsregungen gehabt hatte.
Doch auch ohne diese Art der greifbaren Verbindung, hatten die Mails eine starke Wirkung auf Marinette.
Sie genoss es, was das Lesen mit ihr machte.
Danach war da der Klang seiner Stimme in ihrem Ohr, sein Geruch in ihrer Nase und das Gefühl seiner Berührung auf ihrer Haut.
Manchmal, wenn sie gerade auf der Schultoilette eine Mail von ihm gelesen hatte und durch das mit Schülern gefüllte Foyer lief, oder wenn sie nach dem Verfassen einer Antwort zu ihren Freunden zurückkehrte, kam es ihr sogar vor, als wäre er ihr ganz nah.
Als müsste sie nur die Hand ausstrecken, um ihn berühren zu können, und als müsste sie nur genauer hinhören, um tatsächlich seine Stimme zu hören.

Miraculous - Unendlich (FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt