Perfect for you! [Geschichte einer Magersucht]

Kapitel-46

Seit gestern bin ich nun am Langzeit EKG angeschlossen. Es nervt. Sogar extrem. Aber ich weiß, es wird aufklären, was mit mir nicht in Ordnung ist.
Auch die Betablocker helfen. Meinen Herz geht es physisch inzwischen wieder ganz gut. Mein Problem scheint wohl ein anderes zu sein.
Jedes Mal, wenn ich an Aiden denke, habe ich das Gefühl, dass mein Herz in tausende Einzelteile zerspringt. Ich möchte schreien, weinen, mich in seine Arme werfen und das Gefühl von Geborgenheit endlich wieder spüren. 

Was habe ich bloß falsch gemacht? Es macht mich fast verrückt, wenn ich nur daran denke, getrennt von ihm zu sein. 

"Lia, du sitzt seit gefühlten zehn Minuten da und grübelst. Was beschäftigt dich gerade?", fragte mich Frau Dohrmann. Ich schaute ihr in die Augen. Sie begutachte mich durch ihre Runde Brille und wippte ihren Kugelschreiber hin und her.  

Ich fuhr mir durch die Haare und seufzte. "Wissen Sie, Aiden ...", fing ich meinen Satz an und sie fing an zu Lächeln. 

„Das dachte ich mir fast. Er hat sich immer noch nicht persönlich gemeldet, nehme ich an?", fragte sie mich, worauf ich bloß nickte. 

„Euer gegenseitiges Schweigen macht eure Beziehung nur komplizierter. Ich weiß, dass dir erste Schritte schwerfallen, aber vielleicht ist es Zeit diesen zu versuchen. Du möchtest doch mit ihm reden. Es kann sein, dass ihn etwas belastet." sagte Frau Dohrmann und notierte sich danach etwas auch ihren Block.  

„Also kurz und schmerzlos?", fragte ich sie darauf. Sie nickte. 
Nun gut, also bleibt mir wohl kein andere Weg mehr. Sonst komme ich nicht voran. 

„Wie läuft es sonst, Lia? Was machen die Gedanken? Sind sie stets eine neue Karussellfahrt?" fragte Frau Dohrmann. 

Ich lächelte. „Inzwischen geht es, was das Essen angeht, ganz gut. Mit Bob klappen die Mahlzeiten sehr gut. Sue meinte auch, dass ich bald mit dem begleiteten Vorportionieren starten könnte. Das Einzige, was mir noch Kummer bereitet ist, mein Spiegelbild. Trotzdem ich mein Gewicht nicht weiß, ist es für mich eine große Überwindung, mich im Spiegel zu betrachten. Es fühlt sich alles an, als würde ich wie Hefe aufgehen." ich seufzte. 

„Das Wahrnehmen zu können ist sehr wichtig, Lia. Diese Gefühle zuzulassen, kostet sehr viel Energie. Wir können es gerne in der Körpertherapie und der Spiegelkonfrontation erneut versuchen. Natürlich fällt dir dieser Bereich noch sehr schwer. Aber du machst große Fortschritte.", sie lächelte mich an. 

Das nächste somatische Gespräch ist morgen. Ich hoffe einfach, dass ich langsam in Richtung Freiheit gehen kann. Selber endlich mein Essen zu richten, wäre für mich viel hilfreicher, als ständig alles vorgesetzt zu bekommen.

Mit meinem Buch in der Hand lief ich summend in den Gemeinschaftsraum. Bald steht das Abendessen an, also habe ich noch etwas Zeit zum Lesen. Gestern kam ein neues Buch an, dass ich unbedingt lesen möchte. 

Ich machte es mir im Sessel gemütlich und steckte meine AirPods in die Ohren und lauschte zu „traitor" von Olivia Rodrigo. 

In der Medienzeit überlegt ich fieberhaft, was ich Aiden nun schreiben könnte. Ein einfaches Hey können wir reden, schien mir einfach zu unpersönlich zu sein. Ich wollte auch nicht zu tief ausschweifen und ihr einen mega langen Text per SMS senden.
"Wird schon schiefgehen", murmelte ich und schaute meine kurze Nachricht an. Mit zittrigen Händen drückte ich auf "senden".  Zwei graue Häkchen sind erscheinen und wechselten auf hellblau. Vor Schreck rutschte mir mein Handy fast aus der Hand als ich sofort eine Antwort von ihm bekam.

„Morgen. Ich komme vorbei." 

Wie jetzt, das war so einfach? Und ich hab mir tagelang deswegen einen Kopf gemacht?  Ich schüttelte ungläubig den Kopf und antwortete ihm, dass ich einverstanden war. Manchmal mache ich mir stundenlang Gedanken um etwas, dass in zwei Sekunden geklärt ist? Gut, die Frage ist nicht so schnell beantwortet, wenn ich mich zwischen Schokolade und Gummibärchen entscheiden müsste. Oder die Frage zwischen Weihnachten und Geburtstag.