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🔸Sebastian🔸

Bartosz zog mich zu sich unter die beiden Decke. Er legte seine Arme beschützend um mich und strich mir über den Rücken.

"Er ist tot...Er...Er ist einfach tot? Tot...? Warum...Warum hat Mike ihn sterben lassen? Wieso...Wieso hat Benny nichts getan...? Weshalb...Weshalb konnte er nicht mehr? Warum...Warum ist er tot?! Wie...Wie kann er überhaupt tot sein?! Ich...Das...Das geht doch garnicht!" stammelte ich und ehe ich mich versah war ich ein heulendes etwas.

Bartosz und ich blieben die ganze Nacht wach. Ohne es bewusst zu wollen oder darüber nachzudenken erzählte ich ihm von allem, was passiert war. Jede kleine Einzelheit, jeden Moment, in welchem ich mit Noel war. Ich bekam kein Auge zu und weinte einfach nur. Mehr konnte ich nicht tun. Und als das nicht Mal mehr ging musste ich mich noch mehr auf meine Gedanken und Gefühle einlassen und sie spüren. Mein Herz fühlte sich in tausend Stücke gerissen. Es tat unglaublich weh. Es schnürrte mir die Luft ab. Zweimal hatte ich in der Nacht sogar eine Panikattacke, ich schrie dann und bekam keine Luft mehr.

Einmal kam ein Wächter dann sogar und schrie uns beide an. Ich bekam davon kaum etwas mit, aber Bartosz hat den Wächter wohl irgendwie beruhigt und nahm die Strafe auf sich. Am morgigen Tag würde er wohl Schläge einstecken müssen...für mich...deswegen fühlte ich mich auch noch schlechter. Aber er versprach mir, dass das nichts Schlimmes sein würde und dass es ihm nichts ausmachte.

Irgendwann hatte ich mich an das Papierstück erinnert und hatte es aus meiner Hose gezogen. In dem schwachen Licht erkannte ich erst garnichts. Erst, als wir unter das Fenster liefen und dort der Mond darauf schien erkannte ich es. Das...war ein Bild von Noel und mir, lachend, auf der Hollywood-Schaukel. Mike musste es irgendwann Mal aufgenommen haben. Und es war noch ein zweites Bild dabei, ein Bild nur von Noel. Das hatte Benny bestimmt gemacht, denn es war am Meer und Noel trug einen kleinen Sonnenhut. Er stand auf einer Picknickdecke, hatte die Arme ausgebreitet und schaute aufs Meer, in die unendlichen Weiten des Himmel und den Horizont. Seine Haare wehten im Wind und er strahlte regelrecht. Er sah frei aus, frei und glücklich. Vielleicht...Vielleicht fühlte er sich jetzt ja auch so...oder wieder...

Ich konnte nicht mehr tun als beten und hoffen, dass es ihm dort, wo er jetzt war, gut ging und glauben, dass es ein Leben nach dem Tod gab. Ich war nie besonders gläubig gewesen und hatte meine Zweifel an Gott und dem Leben nach dem Tod. Aber nun gab es daran keine Zweifel mehr, jetzt glaubte ich fest daran, dass es beides gab. Ich musste es glauben, sonst wäre Noel für immer weg, sonst wäre er tot und ich könnte ihm nie wieder begegnen, könnte mein Versprechen ihm gegenüber nicht halten.

Als der Wächter dann kam und uns für den Tag abholte brachte er uns beide erstmal auf die Krankenstation. Bartosz sah wohl noch in Ordnung aus und schien nichts Schlimmes zu haben, denn der Arzt schickte ihn mit dem Wächter davon. Ich hingegen war wohl ein Frack, denn der Arzt verschrieb mir Bettruhe und legte mir einen Zugang. Ich hatte zu viel Wasser verloren und konnte mich auch nicht dazu bringen etwas zu trinken oder gar zu essen.

Ich hatte meinen besten Freund verloren...Konnte mir mein Verhalten dabei jemand übel nehmen? Es war einfach nur Leid und tiefsten seelischen Schmerz, den ich spürte. Ich vermisste ihn und konnte nichts anderes als zu weinen und zu vermissen. Mein Körper war zu nichts anderem in der Lage. So verbrachte ich bestimmt eine Woche, wenn nicht sogar zwei auf der Krankenstation. Niemand durfte mich besuchen kommen, also nahm mich auch niemand in den Arm und niemand lenkte mich ab.

Zwischenzeitig dachte ich, dass ich nun verrückt werden würde und es dies war, dass sie mich irgendwann doch beseitigen würden. Doch ich fing mich immer wieder. Ich verlor Gewicht und irgendwann wurde ich sogar künstlich ernährt. Anders ging es nicht. Den Zugang nahm der Arzt mir erst garnicht heraus, er blieb dauerhaft in meinem Arm und versorgte mich zumindest mit Flüssigkeit. Auch gab er mir ab und an Medikamente dadurch. Ein paar Mal wahrscheinlich auch Schlafmittel, weil ich am Anfang jede Nacht schreiend wach lag. Ich schrie nach Noel, rief seinen Namen und all sowas.

Doch nach all den schrecklichen Tagen, in denen ich mich so schlecht fühlte, wie Noel von Caleb die Sucht ausgeprügelt bekommen hatte, oder noch schlimmer, setzte irgendwann der Heilungsprozess ein. Noel war nun an einem besseren Ort und musste das ganze Leid hier auf der Erde nicht mehr miterleben. Er wurde nicht mehr geschlagen, fühlte keine einseitige Liebe mehr oder vermisste seine Familie nicht mehr. Er hatte sich von seinen irdischen Fesseln gelöst und sein menschliches Leben hinter sich gelassen. Er hatte sich getraut und ist den letzten Schritt gegangen.

Irgendwann kam ich dann wieder zurück auf mein Zimmer. Bartosz und die anderen hatten sich unglaubliche Sorgen gemacht, wobei Bartosz natürlich als einziger wusste was genau los war. Doch sie fragten nicht lange weiter, sondern kümmerten sich um mich und gliederten mich schnell wieder in die Gruppe ein.

Ich spürte fast schon direkt am ersten Tag, wie gut es mir tat, wieder unter den anderen zu sein, bei meinen Freunden und mit ihnen Zeit verbringen zu können. Auch tat mir die Zeit draußen unglaublich gut. Der Winter war dieses Jahr wohl unglaublich schwach gewesen, weshalb es Mitte Januar schon wieder ein wenig wärmer wurde. Als im Februar dann alles zu blühen begon war ich endgültig über die Phasen des Vermissens und Leiden hinüber und hatte halbwegs mit dem Thema abgeschlossen.

Natürlich vermisste ich Noel immernoch, natürlich weinte ich ab und an immer noch, aber ich war nicht mehr zutiefst verletzt und schaffte es mein Leben wieder zu leben, den Alltag zu meistern und lachte auch wieder öfter. Immer wenn ich am Verzweifeln war schaute ich mir das Bild von Noel an. In meinem Kopf hatte sich das ein wenig festgesetzt. Dieser Zustand von Noel, diese Freiheit, diese Zufriedenheit. Genauso stellte ich ihn mir vor, egal wo er nun war.

Immer wieder kamen Kunden und ab und an wurde sogar ich auch mit angeschaut. Da ich aber kaum Gewicht wieder zurück auf den Rippen hatte und mein Körper sonstige Spuren von den letzten Wochen trug kaufte mich niemand. Philipp und Cedric wurden irgendwann gekauft...dagegen konnte ich nichts tun, auch Bartosz oder sonst wer nicht. Aber ich hatte zum Glück jedes Mal Zeit mich von ihnen zu verabschieden. Eine feste Umarmung, ein paar nette und hoffnungsvolle Worte. Aber ich konnte niemandem erneut so ein Versprechen geben, wie ich es Noel gegeben hatte.

Aber der Abschied war nicht so schmerzhaft wie gedacht. Bartosz stand mir zur Seite, da er ja über alles Bescheid wusste. Und im Endeffekt überwiegte die schöne Zeit mit den beiden.

So kam der Frühling und ich fühlte mich wieder lebendiger. In mir kam die Lebensfreude auf und ich genoss jeden Tag. Es könnte mein letzter sein, mein letzter auf der Erde, mein letzter hier mit den Jungs. Das hatten mir die Ereignisse der letzten Monate deutlich gezeigt. Doch ich war daran gewachsen und nicht zugrunde gegangen.

🔸Upload: 17.01.2022🔸

🔸1220 Wörter🔸

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