Vergangenheit und Aaron

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Judith ist mittlerweile friedlich in meinen Armen eingeschlafen. ,,Warum hast du dich nie mit gleichaltrigen abgegeben Zahra?“, kommt es wieder neugierig von Carl. Eigentlich gibt es keinen Grund das irgendwem vorzuenthalten und wie Veronica schon sagte, Menschen vertrauen einem eher, wenn man ihnen auch etwas von sich erzählt. ,,Das ist eine lange Geschichte.“ ,,Wir haben Zeit. Und reden hilft.“, sagt nun auch Rick, weshalb ich mir einen Ruck gebe und zu erzählen beginne: ,,Ich wurde in Washington, irgendwo ein Stück außerhalb der Hauptstadt geboren. Ich kann mich nicht an meine Eltern erinnern, oder sonst irgendwen aus meiner Familie, außer meinem Bruder. Wir sind in einem Heim aufgewachsen bis wir ungefähr acht waren, er ist zwei Jahre älter als ich. Glaube ich. Na ja, sagen wir so, ich war ein ziemlich verschlossenes und zurückhaltendes Kind. Ich fand die anderen immer kindisch und auch meinen Bruder, der mich immer dazu bringen wollte mit den anderen zu spielen, habe ich nicht verstanden. Ich sah keinen Sinn darin, mit irgendwelchen Puppen einen auf Happy Family zu machen oder mit einem Fußball durch die Gegend zu schießen. Die anderen Kinder fanden mich komisch und haben sich von mir fern gehalten, was mir aber nur recht war. Da es sonst zuvor immer zu Auseinandersetzungen kam, die für keinen ein gutes Ende nahmen. Ich hab lieber gezeichnet oder gelesen, in meinem Zimmer gehockt und an Geschichten geschrieben, mich fortgeträumt und mir überlegt, was gewesen wäre, wenn meine Eltern nicht gestorben wären. Na ja, irgendwann kam es dann dazu, dass mein Bruder verschwand. Von einem Tag auf den nächsten war er weg, hat mir einen Brief hinterlassen und gemeint, er würde mich nachholen… aber er kam nie zurück. Kurz darauf wurde ich von einer Frau mitgenommen, quasi adoptiert. Am Anfang schien alles gut zu werden. Wir gingen in die Stadt und einkaufen, haben zusammen Fernsehen geschaut, aber dann hat sie ihr wahres Gesicht gezeigt. Das zusätzliche Geld, das Kindergeld, hat sie gebraucht um sich ihre Drogentrips zu finanzieren und mir hat sie beigebracht, dass ich stehlen muss um zu überleben. Wir sind in einen Laden rein, ich habe was mitgehen lassen und musste es ihr draußen geben. Wenn ich erwischt wurde hat sie einen auf wütende Mutter gemacht und gemeint sie würde mir Manieren beibringen… Na ja, abgesehen davon, dass ich zu dieser Zeit nur geklaut habe, weil sie das verlangte, war ihre Art mir Manieren beizubringen ihr Gürtel… geändert hat das nichts, ich wurde trotzdem erwischt, aber mit der Zeit habe ich gelernt, wie ich mich zu verhalten habe um den Schmerzen aus dem Weg zu gehen... In der Schule war ich nicht sonderlich oft, habe keinen Sinn darin gesehen. Warum sollte ich irgendwelche Zahlen auswendig lernen und Gedichte analysieren? Das habe ich bis dahin nie gebraucht und würde es wohl auch nie. Also habe ich mich mit sieben statt in der Schule auf der Straße rumgetrieben. Ich habe gelernt, dass sich Leute, die Mitleid mit einem kleinen Mädchen haben, dass alleine durch die Straßen Washington wandert, sehr leicht das Geld aus der Tasche ziehen lassen. Von dem Geld habe ich mir dann Zeug für mich gekauft, überwiegend Essen. Na ja… irgendwann kam ich eines Tages nach Hause, zu der Frau, aber… na ja, wie soll ich sagen… Sie hing einfach da. Ich weiß nicht, was genau passiert ist, hab es damals nicht verstanden, nicht verstanden, dass sie sich erhängt hat. Und als ich dann zurück ins Heim sollte, bin ich abgehauen. Wurde obdachlos, hab mich mit anderen rumgeprügelt, geklaut und viel zu jung zu Trinken angefangen. Ich habe kleinen Sinn im Leben gesehen und die Menschen, die Kinder in meinem Alter die ich zu der Zeit gesehen habe, waren alle so anders als ich. Die waren in der Schule, sind danach mit dem Bus nach Hause gefahren, die Mutter hatte das Essen schon auf dem Tisch und dann wurde gespielt oder in den Verein gegangen. Abends gab es dann eine Gute-Nacht-Geschichte und was weiß ich. Die mussten sich keinen Kopf darum machen, wo sie die nächste Nacht verbringen oder wann sie das nächste Mal was essen können. Und mit dem Hintergedanken war ich immer bei meinem Bruder. Er war damals der Grund dafür, dass ich nicht einfach aufgegeben habe. Ich habe immer daran geglaubt, ihn wiederzufinden. Na ja, jedenfalls hat mich dann irgendwann Jackson gefunden. Ein bärtiger, grimmiger Rocker mit einer Harley, einem Kampfhund, einer Autowerkstatt und einem Traum. Mehr einer Vision. Ich verstehe bis heute nicht, warum er mich damals mitgenommen hat, aber dank ihm habe ich gemerkt, dass das Leben aus mehr besteht. Dass man sowas wie Zuneigung und Vertrauen auch von anderen Menschen bekommen kann. Dass man sie überhaupt bekommen kann. Es war seltsam. Ich hab nicht verstanden, warum sich plötzlich jemand um mich sorgt und auf mich aufpasst, ein fremdes Straßenkind. Aber er hat es gemacht. Ohne zu zögern. Na ja, durch Jackson habe ich dann Hershel kennengelernt und gemeinsam haben wir unseren Club hochgezogen. Alles was ich kann habe ich ihm zu verdanken. Jagen, Schießen, Kämpfen, Auto fahren, Gitarre spielen… überleben… Hershel hat mir damals als ich noch jünger war die Schule ersetzt. Jack wusste, dass ich mit Leuten in meinem Alter nichts anfangen konnte und meine Probleme grundsätzlich mit Gewalt löse, nichts was in der Schule gerne gesehen wird. Außerdem habe ich keinerlei Papiere besessen. Keine Geburtsurkunde, keinen Ausweis. Nichts. Aber wirklich interessiert hat mich das auch nicht… Damals haben wir den Kompromiss geschlossen, dass ich, wenn ich vernünftig lerne, am Abend mit der Maschine fahren darf. Also habe ich gelernt. Tja… und wie gesagt, mehr gab es in meinem Leben nicht, nur das und der Club. Da waren keine Kinder oder Zeit zum spielen. Wie gesagt, ich habe mir öfter Gedanken darüber gemacht, was wohl gewesen wäre, wenn alles anders gekommen wäre. Aber eigentlich hätte ich es nicht anders gewollt. Hätte ich die Wahl gehabt, ich wäre den gleichen Weg wieder gegangen. Na ja und jetzt wisst ihr alles über mich.“, ende ich meinen Vortrag und lehne mich schmunzelnd an die Wand.

Together or not at all - The Walking Dead (Daryl FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt