Du, sehr verehrter Leser, musst wissen, dass ich im Oktober kurze Zeit als Dialogerin für Amnesty gearbeitet habe (das sind die Leute, die in den Fußgängerzonen immer Leute anquatschen). Für mich als Introvertierte war das ein großer Schritt aus der Komfortzone, aber ich wollte mich an meine Grenzen bringen und neue Erfahrungen sammeln.
Tatsächlich habe ich meine Arbeit besser hinbekommen, als ich anfangs gedacht hatte. Leider haben meine Bemühungen trotzdem nicht ausgereicht, ich hatte nicht den Erfolg, der von mir erwartet wurde, und so wurde ich gefeuert.
Gut, das Wort feuern hat da niemand direkt in den Mund genommen und ich bin dem Kampagnenleiter immer noch dankbar dafür, dass er bis zur letzten Sekunde an mich geglaubt hat. Wäre ich an jemand anderen geraten (ich werde hier natürlich keine Namen nennen), dann könnte ich sehr sicher nicht so positiv auf diese anderthalb Wochen zurückblicken.
Ich habe nämlich einiges gelernt:
Erstens, ich bin viel zu nett für den Job.
Zweitens, wenn du dir absolut dämlich dabei vorkommst, machst du alles richtig.
Drittens, manche Leute sind auf Konfrontation aus und denen wünscht man am besten freundlich "Schönen Tag noch!" und ignoriert alles, was sie einem danach noch an den Kopf werfen.
Viertens, nur weniger als zehn Prozent der Leute, die man anspricht, bleiben stehen und noch bedeutend weniger kommen tatsächlich an den Stand.
Fünftens, immer freundlich lächeln.
Sechstens, kein Mensch ist bereit, 40€ im Monat zu spenden (ja, das wird eigentlich erwartet).
Siebtens, es ist echt goldig, wie manche Menschen einen ignorieren wollen, dann aber doch grinsen müssen, wenn man sie mit "Hallo an den Herrn, der gerade so interessiert wegschaut" anspricht.
Achtens, ich sollte an meinem Smalltalk arbeiten.
Neuntens, auf Leute, die sagen, sie kämen noch einmal vorbei, wartet man vergeblich.
Zehntens, es macht wirklich Spaß, besonders, wenn man verdammt coole Leute im Team hat.
Elftens, alles zu geben reicht manchmal trotzdem nicht.
Und zu guter Letzt etwas, worauf ich besonders stolz bin, aber dazu muss ich erstmal ausholen. Ich war nämlich die designierte Fahrerin aus meinem Team, weil niemand anderes einen Führerschein hatte. Ergo war ich dafür zuständig den Opel Insignia sicher zum Ausladen in die Fußgängerzone zu bugsieren und danach das nächste Parkhaus anzusteuern.
Das war vor allem am Anfang eine ziemliche Herausforderung für mich, weil ich davor nur in der Fahrschule und da auch nur ein einziges Mal durch ein Parkhaus gefahren bin. Mein Fahrschulauto war auch alles andere als ein Kombi.
Dementsprechend habe ich die Kunst des Ins-Parkhaus-Fahrens erst wieder mehr oder weniger neu lernen müssen, aber den Dreh hatte ich ziemlich schnell raus und habe das Auto in der zweiten Woche sogar freiwillig (denn da hatten wir dann drei Leute mit Führerschein im Team) im Parkhaus abgestellt und abends wieder geholt.
Und das hat mir im Nachhinein sogar etwas gebracht, weil ich Vivian kurz vor Weihnachten besucht habe und wir in Hanau in das so ziemlich engste Parkhaus geraten sind. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal erwähnen, dass ich einen Jeep Renegade fahre, der zwar der kleinste der Jeep-Familie, aber trotzdem ein relativ bulliges Auto ist.
Trotzdem habe ich es geschafft, mein Auto sicher ein- und wieder auszuparken ohne auch nur ein einziges Mal zurücksetzen zu müssen. Gut, Vivian hatte auf dem Beifahrersitz schon fast einen Nervenzusammenbruch, weil wir wirklich in den allerletzten Winkel im obersten Stockwerk fahren mussten und es teilweise schon echt knapp war, aber es ist ja alles gut ausgegangen.
Das war's mit der Exkursion und damit zurück zu Amnesty (ich mache hier doch tatsächlich den Sprechern von Tagesschau, heute-journal und Co. Konkurrenz).
Weil mein Team zu dem Zeitpunkt, an dem ich gefeuert wurde, in Hannover stationiert war, sollte ich eine etwas längere Zugreise vor mir haben, um wieder nach Hause zu kommen. Das war für mich nicht weiter schlimm, weil ich ohnehin nichts besseres zu tun hatte, weshalb ich mir das Quer-durchs-Land-Ticket gelöst habe (auch, weil ich das voll erstattet bekommen habe, was bei einem ICE-Ticket nicht der Fall gewesen wäre).
Ursprünglich sollte ich dreimal umsteigen. Ja, sehr verehrter Leser, achte auf meine Wortwahl.
In Hannover lief noch alles glatt und ich kam pünktlich in Göttingen an, um in Ruhe umsteigen zu können. Mein Anschlusszug musste jedoch aus für mich unerklärlicher Ursache mitten im Nirgendwo halten.
Dumm nur, dass die Umstiegszeit ausgerechnet am nächsten Halt so knapp berechnet war. Eigentlich hätte das trotzdem kein Problem dargestellt, weil das ein Mini-Bahnhof war und ich in den zehn Minuten locker ans andere Gleis gekommen wäre.
Naja, hätte hätte Adilette.
Wir standen mittlerweile schon zehn Minuten und mir war klar, dass es ein Ding der Unmöglichkeit werden würde.
Da hat es auch nichts gebracht, dass es hieß, der Zug nach Würzburg würde warten, weil eben exakt das nicht passiert ist. Nichts als falsche Hoffnungen wurden mir da eingepflanzt. Wir sind nämlich kaum in den Bahnhof gefahren, da war der schon über alle Berge.
So stand ich also gefühlt mitten im Nirgendwo in einem Kaff mit dem nichtssagenden Namen Neudietendorf und musste auf den nächsten Zug warten. Ab hier wird es mies.
Die nächste Bahn war ein Bummelzug, der natürlich nicht Mal annähernd nach Würzburg gefahren ist. Stattdessen ging es erstmal nach Meiningen, das noch abgelegener war als Neudietendorf, so schien es jedenfalls, weil es dort nur einen Kopfbahnhof und zwei Gleise gab.
Dort war ich also erneut gestrandet, habe aber das beste aus der Situation gemacht und einsam auf einem Wartebänkchen meine Kekse gefuttert. Ungefähr eine dreiviertel Stunde später ging es mit dem nächsten Bummelzug weiter, der gemächlich durch die entlegensten Dörfer in Thüringen getingelt ist.
Etwas Gutes hatte die Sache aber doch, denn so konnte ich den Thüringer Wald in seinem schönsten Herbstkleid bestaunen. Ich habe mir wirklich halb meine maskierte Nase an der Scheibe plattgedrückt, so schön anzuschauen war es und hat mich nebenbei auch zumindest für kurze Zeit das Chaos vergessen lassen.
Die Ernüchterung folgte prompt, wie sollte es auch anders sein. Wir hielten an einem ranzigen Bahnhof. Und hielten und hielten. Je länger wir dort standen, desto ungeduldiger wurde ich. Da hat es auch nichts gebracht, dass sich der echt nette Zugbegleiter (der jeden persönlich nach seinem Zielbahnhof gefragt hat) für die Verzögerung entschuldigt hat.
Und ja, genau deshalb habe ich auf meiner Odyssee erneut meinen Anschlusszug verpasst. Dafür war der Zugverkehr zwischen Schweinfurt und Würzburg reger als gedacht, sodass ich bald im nächsten Zug saß und so langsam Licht am Ende des Tunnels erblicken konnte.
In Würzburg hievte ich also zum letzten Mal meinen großen und schweren Koffer vom einen in den anderen Zug. Gott sei Dank, ich war nämlich langsam echt ausgelaugt. Kein Wunder, wenn man bedenkt, wie lange ich schon unterwegs war.
Die letzte halbe Stunde Fahrt ging wie im Flug vorbei und ich kam nach neun Stunden Irrfahrt endlich am altbekannten Bahnhof meines Nachbarkaffs an, wo ich von meinem Dad empfangen wurde.
Statt dreimal durfte ich im Endeffekt fünf Mal umsteigen, aber immerhin habe ich mein Ithaka schlussendlich doch erreicht, aber das interessiert dich, sehr verehrter Leser, doch sowieso nicht.
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Memoiren, die keinen interessieren
RandomWie man dem Titel entnehmen kann, werde ich in diesem Buch veröffentlichen, was (vielleicht kurioses) in meinem Leben passiert. Könnte sein, dass ich dieses Buch zwischendurch als Boxsack missbrauche, um meinem Ärger über gewisse Personen Luft zu ma...