56. Kapitel

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„Es... uhm... ich bin gerne hier." Ich nicke verstehend, sage aber nichts. „Um ehrlich zu sein, bin ich lieber hier als in meiner Wohnung."

Es ist einen Moment still zwischen und ich höre in meinem Gedanken immer wieder meinen Freund diesen Satz sagen. Er ist lieber hier, als bei sich zuhause. Harry zupft am Ärmel seines Oberteils und sieht an mir vorbei, dann zur Seite, auf den Boden und immer wieder zwischendurch steifen sich unsere Blicke. Er ist unsicher. Sehr. Ich warte, ob er noch etwas sagen möchte, aber er schweigt. Dann plötzlich steht er vom Esstisch auf. 

Verwirrt sehe ich ihm nach. Was wird das? Mit leisen Schritten folge ich ihm. Er steht im Wohnzimmer und hat seinen Schlüsselbund in der Hand. Ich brauche einen Moment, um zu verstehen, was er dort tun. Doch dann laufe ich schnellen Schrittes die letzten Meter auf ihn zu. Als ich ihm den Schlüssel aus der Hand nehme, sieht er auf, möchte etwas sagen, doch schließt seinen Moment einen Moment später wieder. Ich sehe mir den Schlüssel an. Meine Vermutung bestätigt sich, es ist mein Haustürschlüssel.

Einen Moment lang mustere ich Harry nachdenklich. Er beißt sich auf die Unterlippe und sieht weg. In der Hoffnung, nichts falsches zu tun, greife ich nach seiner Hand. Genauer gesagt, nehme ich ihm den Schlüsselbund ab, der noch festhält und nach zwei – vielleicht auch drei – Versuchen, bekomme ich den Schlüssel wieder durch den Schlüsselring geschoben. „Was...", setzt Harry zu einer Frage an, aber ich lächle nur zufrieden, als ich den Schlüssel an dem Bund erblicke. „Du kannst ihn dran lassen." – „Dranlassen?" – „Natürlich.", nicke ich und gebe ihm den Bund wieder. Er lässt ihn in seiner Hand ruhen und blickt das Metall an. „Ich könnte verstehen, wenn du ihn wiederhaben möchtest.", sagt er schließlich. Ich seufze und streiche ihm die Haare aus der Stirn. Er sieht auf.

„Love, ich habe den Schlüssel nicht nachmachen lassen, damit er in meiner Schublade versauert. Dass es dir bisher zu früh war, akzeptiere ich voll und ganz, das weiß du, aber denkst du wirklich, deswegen möchte ich nicht, dass du ihn bei dir behältst? Auch jetzt noch, obwohl ich wieder da bin?" Er zuckt mit den Schultern. „Ich wollte es nicht machen, ohne dich zu fragen." – „Dann Frag." – „Mhm?" – „Frag mich.", wiederhole ich lächelnd und verschränke seine Finger mit meinen. Er zögert erneut. „Da ist noch etwas.", stelle ich fest. Er nickt und ich gehe in Gedanken die letzten Minuten durch. Ich bin mir nicht sicher, aber das kann ich nur ändern, indem ich nachfrage.

„Hat es was damit zu tun, dass du meintest, dass du lieber hier bist als bei dir zuhause?" Er schnaubt. „Nicht?" – „Doch. Treffer.", antwortet er nur und zuckt mit den Schultern. Ihm ist anzusehen, dass er in seinem Kopf nach den richtigen Wörtern, nach der richtigen Formulierung sucht. Ich hetze ihn nicht. „Die Wohnung in der ich lebe, ist nicht meine Wohnung.", beginnt er kurz darauf. „Sie ist über TAA angemietet, sie gehört nicht wirklich mit." – „Mhm. Ich weiß." – „Alle Möbel gehören dem Unternehmen. Nicht mal das Bett ist mein eigenes.", sagt er mit bitterem Tonfall. „Weiß du, seitdem ich zwischendurch hier bin... vor allem, nachdem ich einige Tage hier quasi gewohnt habe... als ich in meine Wohnung zurückgekommen bin, hat es sich nicht wie ein Zuhause angefühlt, weiß du? Es war eher ein Gefühl von Hotel. Eine große Suite oder so.", verdeutlich er mir. „Da habe ich beschlossen hier in deinem Haus zu bleiben, obwohl die Handwerker weg waren. Ich habe es nicht eine Nacht in der Wohnung ausgehalten, die mein Boss mir besorgt hat.", seufzt er und zuckt mit den Schultern. „Ich weiß natürlich, dass mir hier auch nichts gehört, aber... die Dinge hier ist nicht nur zweckmäßig. Also auch, aber nicht nur, verstehst du?"

Ich nicke und mache einen kleinen Schritt auf ihn zu. Harry lehnt an der Rückseite des Sofas und ich stelle mich zwischen seine Beine. „Ich finde es schön, weißt du? Also nicht, dass du dich in der Wohnung nicht wohlfühlst, aber es ist toll, dass es hier offenbar der Fall ist.", lächle ich und werde noch ein wenig glücklicher, als ich es ohnehin schon bin. „Ich möchte nicht, dass es dir zu schnell geht, Love.", betone ich noch einmal. Wie hätte ich bei seinen Worten nicht daran denken können? Wie hätte ich meine Gedanken von diesem Thema fernhalten sollen? Er schüttelt den Kopf. „Nein. Nicht mehr." Lächelnd spiele ich mit einer Hand mit seinen Locken. „Dann bleib." Harrys Blick wird groß. „Bleib hier. Du musst es deinem Boss nicht sagen, wenn du nicht willst. Du kannst du Wohnung noch behalten, falls es dir zu viel wird, aber... ich habe dich sehr gerne in meiner Nähe." Ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen. „Bleib hier."

„Du möchtest wirklich, dass ich hier einziehe?" – „Erstaunt es dich?" – „Es... überrascht mich ein wenig.", gibt er zu. „Ich wusste bis gerade nicht einmal, ob es in Ordnung war, dass ich mich hier einquartiert habe, ohne dich vorher zu fragen und jetzt... du möchtest, dass ich hier wohne?" – „Ich würde mich sehr darüber freuen.", stimme ich zu, denn es ist die Wahrheit. Jeden Morgen einen Kuss. Jeden Abend einen Kuss. Nach Hause kommen und wissen, dass ich nicht alleine einschlafen werde. Einschlafen und wissen, dass mein erster Blick am Morgen in seine Richtung gehen wird. Mir wird warm ums Herz.

Fast unscheinbar nickt Harry. Er nickt. Er möchte es auch. Ich grinse breit, lache glücklich und ziehe ihn in meine Arme. „Wirklich?", frage ich vorsichtshalber nach. Nun nickt er stärker. „Ja. Ich will mit dir zusammen wohnen!", antwortet er schließlich. Er hat seine Stimme wiedergefunden und presst mich an seinen eigenen Körper. „Ich bin so viel lieber bei dir, als irgendwo sonst.", murmelt er gegen meinen Hals und ich schließe meine Augen. Wir lassen uns nicht los. Einige Zeit lang bleiben wir in der Umarmung und genießen den Moment. Es ist unser Moment. Einer von vielen keinen Augenblicken, die nur uns gehören. 

Harry schmiegt sich an mich und ich weiß, dass er lächelt, auch wenn ich es nicht sehe. Sanft drücke ich einen Kuss auf die Haut seiner Halsbeuge und er lacht leise und glücklich. Ich wiederhole es und Harry drückt mich fester. Es ist wundervoll, wie er auf mich reagiert. Ich könnte den ganzen Tag nichts anderes machen, als ihn wieder und wieder zu küssen und zu berühren, nur um beobachten zu können, was passiert.

„Louis.", murmelt er leise. „Schatz." – „Mhm?" Vorsichtig löst Harry sich von mir, legt eine Hand auf meine Wange und streicht mit dem Daumen darüber. Ich bin sicher, ich erröte ein wenig. Mein Herz klopft mir bis zum Hals und meine Knie sind längst nicht mehr so stabil, wie sie es sein sollten. „Ich liebe dich, Louis. So sehr. Du bist so ein wunderbarer Mensch." Ich schüttle lachend den Kopf. „Ich liebe dich auch, Haz." Ich widerspreche dem anderen Teil seiner vorherigen Aussage nicht, er würde ja doch wieder anfangen zu diskutieren. Stattdessen küsse ich ihn, sanft, liebevoll, mit Bedacht und voller Hingabe. Er seufzt leise und streicht über meinen Rücken. Eine Gänsehaut breitet sich aus und ein Schauer krabbelt meine Wirbelsäule hinab.

„Wann... uhm... wann kann ich meine Sachen herbringen. Es ist nicht so viel... also müssen wir niemanden engagieren oder so. Ein Auto habe ich ja hier. Naja, also kein eigenes, aber Leasingwagen von TAA." – „Wann immer du möchtest.", entgegne ich. „Du hast meinen Haustürschlüssel, ich gebe dir gleich den Code für die Garage und dort ist definitiv noch Platz für einen zweiten Wagen." – „Ich darf die Garage nutzen?", fragt er überrascht und ich lache. „Harry, Love, das hier ist jetzt dein Zuhause. Du darfst machen, was immer du willst!" 

Harry unterdrückt ein Grinsen. „Naja, also fast alles.", merke ich an. „Ich wäre nicht erfreut darüber, wenn du plötzlich alle Wände bunt streichst oder meine Eishockey-Sachen wegpackst, aber -" – „Das würde ich doch nie machen!", unterbricht er mich sofort empört und ich lache. „Das weiß ich doch, das war ein Spaß." – „Haha." – „Mach, was immer du möchtest, Love. Ein neues Sofa, ein anderer Wohnzimmertisch, von mir aus auch ein neues Bett. Ich möchte, dass du dich hier wohlfühlst und dass es für dich ein Zuhause wird, okay?" – „Das dürfte ich alles machen?" Ich nicke und nehme seine Hand, ehe ich ihn aus dem Wohnzimmer führe.

Mein erster Stopp ist mein Arbeitszimmer. „Schau, hier ist definitiv viel freie Fläche. Wenn wir meinen Schreibtisch dorthin stellen", ich deute zur linken Seite des Raumes, „ist hier genug Platz, damit du dich auf der Seite einrichten kannst. Und abgesehen davon, bin ich so gut, wie nie im Arbeitszimmer.", erkläre ich und gehe weiter. Der nächste Haltepunkt ist in meinem Keller: mein Fitnessraum. „Ich wette, du hast eine Yogamatte, oder?" – „Natürlich.", antwortet er mir, als wäre es selbstverständlich. „Dann richte es dir hier ein, wie du möchtest. Mit Pflanzen oder so einem Kram." – „Das stört dich nicht?" – „Wieso sollten mich Pflanzen beim Sport stören?", frage ich verwirrt. „Vielleicht machst du es nicht." – „Mir ist es recht egal.", erwidere ich schulterzuckend und führe Harry als nächstes in mein – nein unser Schlafzimmer und sehe in meinen begehbaren Kleiderschrank.

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Mehr Fluff. Wie findet ihr es? Meint ihr, das klappt?

Love, L 

Lightning Strikes TwiceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt