|·Sechs·|

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In den folgenden Tagen ignorierte Mr. Malek mich.

Als er mir beispielsweise in der folgenden Mathestunde meine wenigen Lösungen wieder gegeben hatte, hatte er an mir vorbei gesehen. In Französisch ignorierte er meine Hand, wenn ich mich meldete. Selbst, wenn ich die Einzige war, die das tat. Jedes Mal tat er so, als würde er meine Hand nicht sehen, sodass ich es schlussendlich einfach sein ließ.

Auch wenn wir uns auf den Gängen ab und zu über den Weg liefen, warf er mir höchsten einen seiner kalten Blicke zu. Allgemein distanzierte er sich von vielen. Manchmal beim Essen hörte ich die Kleinere über ihn tuscheln. Zwar ging es meistens darum, wie hübsch er war, allerdings ging es manchmal auch darum, dass er ganz schön streng geworden war. Und dann wurden die wildesten Vermutungen angestellt. Davon, dass er von seiner Frau verlassen worden war, darüber das er beim Geheimdienst arbeitete und somit ein Spion war bis hin zu dem Punkt, dass er jemanden verloren hatte.

Und dann war da ich, die stumm einen Tisch weiter saß, zuhörte und selbst wusste, dass sie eigentlich der Auslöser für das Ganze war. Eine andere Lösung gab es nicht. Verheiratet konnte er nicht sein, er trug keinen Ring am Finger.

Ich fühlte mich von Tag zu Tag schlechter. Ich wusste, dass es meine Schuld war. Ich hatte vermutlich alte Narben in ihm aufgerissen, auch wenn das nie meine Absicht gewesen war. Und mit jeder weiteren ignorierten Meldung, mit jedem weiteren monotonen Blick, begann es mich von innen zu zerreißen. Ich fühlte mich scheiße.

Luise und Jack hatte ich nichts von dem Gespräch erzählt. Aus mehreren Gründen nicht. Sie wussten nicht, wie es mir eigentlich ging. Sie kannten mich immer nur als die lächelnde glückliche Charlie. Die zerbrochene, kaputte Charlotte-Lily, die kannten sie nicht. Und so würde es auch hoffentlich noch ein ganzes Stück bleiben. Jedoch merkte ich, dass sich die beiden Sorgen um mich machten. Sie versuchten zwar, so wie immer mit mir umzugehen, doch merkte ich ihre Blicke, die sie sich zu warfen, wenn ich wieder einmal nur kurz angebunden oder gar nicht auf eine Frage antwortete.

Die Pausen verbrachte ich weitestgehend allein. Ich lief durch die Flure, war schon dreimal vor der Tür von Mr. Maleks Büro zum Stehen gekommen, jedoch war ich jedes Mal sofort wieder umgedreht. Was hätte ich denn schon sagen sollen?

'Ja hey, sorry wegen letztens. Das ist mir nur so raus gerutscht und jetzt kann ich nachts nicht schlafen, weil ich mir über Sie Gedanken und Vorwürfe machen. Joa, das wars, schönen Tag noch'

Das konnte ich echt nicht bringen. Aber wollte ich es denn überhaupt? Also so richtig?

Ich war hin- und hergerissen. Auf der einen Seite wollte ich mich ja entschuldigen. Ich wollte mich entschuldigen, unbeabsichtigt alte Narben vom ihm wieder aufgerissen zu haben. Ich wollte endlich wieder in Französisch etwas sagen dürfen. Ja, ich würde sogar wollen, etwas falsches in Mathe sagen zu können, so lange er aufhörte, mich zu ignorieren.

Auf der anderen Seite jedoch wehrte ich mich auch dagegen, zu ihm zu laufen. Er hatte das Thema mit der Maske und dem wahren inneren Ich angesprochen, also musste er auch als Konsequenz sehen, dass es ihm auch nah gehen konnte, oder etwa nicht? Es war doch logisch, dass man, wenn man solch ein sensibles Thema ansprach, auch selbst damit konfrontiert werden konnte oder war das nur meine eigene verkorkste Denkweise?

Ich seufzte und fuhr mir einmal durch die roten Locken. Wieso war von jetzt auf gleich alles so kompliziert geworden? Wieso hatte ich nicht einfach die Klappe halten können? Wieso hatte ich sie überhaupt aufgemacht? Bei anderen Lehrern hielt ich auch den Mund, wenn mir etwas nicht passte. Aber bei ihm in Französisch, da... Keine Ahnung, war vermutlich eine Sicherung durch gebrannt, oder wie auch immer man dazu sagte.

Zum Glück war Dad zur Zeit wieder in New York bei seinem Chef in der Firma. So hatte ich unser kleines Häuschen für mich. Jaques, der auch merkte, wie dreckig es mir ging, kam immer, wenn ich am Küchentisch saß und Hausaufgaben machte, zu mir und legte sich leise winselnd unter den Stuhl. Ja, eigentlich ließ er mich nie alleine. Tagsüber wich er mir nicht von der Seite und nachts schlief er nicht auf seiner Decke im Flur, sondern jaulte so lange vor meiner Tür, bis ich ihn zu mir ins Zimmer ließ. Dort legte er sich auf meinen Bettvorleger und schlief dann dort.

Auch gerade saß ich am Tisch und machte meine Physik-Hausaufgaben - Experiment-Auswertung von dem freien Fall aus der Schule, bäh -, als es plötzlich an der Tür klingelte.

Sowohl Jaques, als auch ich sahen auf. Wer konnte das denn sein? Ich erwartete doch gar niemanden? Für die Post war es zu spät, Luise war beim Klavierunterricht und Jack beim Karate. Sonst kannte niemand aus der Schule meine Adresse.

"Erwartest du jemanden, Jaques?", fragte ich die Bulldogge scherzhaft, ehe ich - da es erneut Sturm klingelte - aufstand und zur Tür lief, Jaques mir dicht auf den Fersen.

"Ja, hal-"

Noch mitten im Satz brach ich ab.

Mit großen Augen stand ich im Türrahmen, sah zu meinem Gegenüber. Das konnte nicht sein.

|·AN·|
Heyyy

Ich wollte mich an dieser Stelle für die 200 Reads bedanken. Ich freue mich über jeden Leser und hoffe, das euch diese Story weiterhin gefällt :)

Lissy

✓|Addicted to my TeacherWo Geschichten leben. Entdecke jetzt