|·Fünfzehn·|

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Man hörte schon, dass Dad angekommen war, obwohl er nicht einmal das Haus betreten hatte. 

Draußen knallte einmal markant die Tür, daraufhin hörte man ihn lautstark telefonieren, als ob sein Gesprächspartner und er sich quer über ein Fußballfeld hinweg unterhalten würden. Während eines Spieles.

Tante Béatrice und ich standen schon im Flur, um ihn zu begrüßen, Jaques hatte ich oben in meinem Zimmer gelassen. Wir hatten schon einige Zwischenfälle gehabt, die in die Hose gegangen, da Jaques sich so gefreut hatte, Dad widerzusehen, das diesem entweder das Handy aus der Handgefallen war oder Jaques sich in seiner Hose verbissen hatte. 

Ich selbst war auch erst vor fünf Minuten angekommen. Eilig war ich nach oben in mein Zimmer gerannt, hatte Rucksack und Jacke aufs Bett geschmissen und war anschließend wieder runter gerannt. 

Tante Béatrice hatte gerade so fragen können wie es gewesen war, bevor wir das altbekannte Wagentür Knallen gehört hatten. Ich hatte ihr nur einen Wir-Reden-Später-Blick zuwerfen können, dann hatten wir uns schon nebeneinander im Flur aufgestellt. 

"Ja, Ihnen auch. Auf Wiedersehen!"

Ich hörte, wie Dad sich verabschiedete und anschließend erklang das Klirren von Schlüsseln, ehe die Tür aufgeschlossen wurde. 

"Béatrice? Was machst du denn hier?"

Autsch. Es tat irgendwie schon weh, dass sich seine ersten Worte an die Schwester seiner verstorbenen Frau richteten, während sein Kind daneben stand. Ich verkniff mir, ein trauriges Gesicht zu ziehen, sondern versuchte möglichst neutral zu gucken, wie immer. 

"Surprise!", rief Béatrice überschwänglich und nahm meinem Dad seine Tasche ab. 

Dieser wandte sich nun auch mir zu. 

"Hallo, Charlotte!", begrüßte er mich knapp, hielt mir die Hand hin. 

"Hallo, Dad!", erwiderte ich und schüttelte seine Hand. 

Dad nickte, ehe er sich von seiner Jacke und seinen Schuhen befreite, bevor er, gefolgt von Béatrice und mir, ins Wohnzimmer ging. 

Irgendwie sehnte ich mich zurück zu Mr. Malek.

Im Wohnzimmer setzten sich Dad und Béatrice aufs Sofa, während ich in die angrenzende Küche ging und dort zweimal Kaffee aus der Maschine laufen ließ. 

Noch während der zweiten Tasse jedoch hörte ich ein lautes "Charlotte-Lily Evans!" aus dem Wohnzimmer. Ich zuckte zusammen. Dad nannte mich nur bei meinem vollen Namen, wenn er absolut außer sich war. Und in dieser Verfassung war es besser, ihn nicht zu ignorieren. 

Mit weichen Knien und dennoch großer Verwirrung aufgrund der Tatsache, dass ich nicht wusste, was ich falsch gemacht hatte, verließ ich die Küche und lief zum Wohnzimmer.

"Ja, Da-"

Ich stockte als ich erkannte, was er da in den Händen hielt. Nein. Wie hatte ich vergessen können, sie wieder nach oben zu bringen? Béatrice, die neben Dad saß, konnte mir nur einen entschuldigenden Blick zuwerfen, während Dad langsam aufstand, meine mehr als verkackte Mathe-Klausur noch immer fest in der Hand haltend. 

"Sag, dass Das nicht wahr ist!", knurrte er, blieb einen Meter vor mir stehen. Gefühlt senkte sich die Zimmertemperatur auf mindestens minus 20 Grad. Seine Augen, die er zusammen gekniffen hatte, funkelten mich wütend an. Jedoch lag nicht nur Wut in ihnen. Auch Enttäuschung, Zorn und Verständnislosigkeit. 

"I-ich...-", wollte ich zu einer Erklärung ansetzen, brach dann jedoch ab. Hatte es doch eh keinen Sinn. 

"Du willst mir ernsthaft erklären, dass du vier von einundvierzig Punkten hast? Ist das dein verdammter Ernst?! Was ist so schwer daran, mit Funktionen zu arbeiten?!", tobte Dad, versprühte dabei mächtig Speichel auf meinem Gesicht, weshalb ich dieses kurz verzog. 

"Ich kann das eben nicht!", flüsterte ich, ließ dabei den Kopf hängen. Meine Hände ballten sich zu Fäusten. 

"Du kannst also nicht, huh? Soll ich dir sagen, wieso?", fragte Dad mit bedrohlich leiser Stimme und beugte sich leicht zu mir nach unten. 

"Weil du deine Zeit mit diesen verdammten Sprachen verschwendest, so einfach ist das!", knurrte er, ehe er mir wütend die Klausur in die Hand drückte und vor Wut schäumend das Zimmer verließ. 

Sprachlos sah ich ihm hinterher, spürte, wie meine Hände begannen zu zittern. Merkte, wie sich die Tränen einen Weg nach außen bahnen wollten. Ich biss mir so fest auf die Lippe, wie ich konnte. 

Béatrice, die ebenso sprachlos war wie ich, saß wie versteinert auf dem Sofa. Kreidebleich war sie geworden, wirkte fast schon wie ein Gespenst. 

Keine von uns sagte ein Wort, es kam erst Leben in mich, als ich Jaques oben bellen hörte. Alarmiert sah ich zu Béatrice, welche wahrscheinlich an das Gleiche dachte, wie ich.

Wie von der Tarantel gestochen stürzte ich los. Béatrice hinterher. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend rannte ich nach oben, durch den schmalen Flur und in mein Zimmer. 

Doch dort herrschte Chaos. Dad hatte sich meinen Ordner genommen, in welchem ich sämtliche Grammatik, Vokabeln und MindMaps der verschiedenen Sprachen, die ich mir selbst beibrachte, notiert hatte. Nur das dieser Ordner geöffnet und leer auf dem Boden lag, sein Inhalt in vielen Papierschnipseln auf dem Boden verteilt, immer mehr werdend. 

"Dad! Hör auf!", schrie ich und rannte auf ihn zu. Er jedoch stieß mich von sich, sodass ich nach hinten und unsanft gegen den Türrahmen taumelte. Fassungslos sah ich zu, wie mein Vater stundenlange Arbeit vernichtete. Auch Béatrice konnte nichts ausrichten. Das einzige, was wir konnten, war stumm zuzusehen, wie sich zu Dads Füßen ein riesiger Papierschnipselhaufen bildete. 

Die Tränen liefen mir inzwischen unaufhörlich über die Wangen. 

Als er sämtliches Papier zerstört hatte, lief Dad zu meinem Bücherregal und holte sämtliche Sprachenbücher heraus. 

"Wenn du endlich kapierst, was wichtig ist, bekommst du die wieder!", knurrte er in meine Richtung, ehe er sich an mir und Béatrice vorbeidrückte und den Flur zurück nach unten ging. 

Béatrice eilte ihm hinterher, begann, ihn schreiend zu zu texten und sich aufzuregen, jedoch blendete ich das vollkommen auf. 

Als würde ich über ein leichenübersätes Schlachtfeld gehen, lief ich zu dem Papierhaufen, sank vor ihm auf die Knie. Das konnte nicht sein. Das alles musste ein schlimmer Albtraum sein. 

Zitternd griff ich in den Haufen, doch als ich das kalte Papier in meiner Hand spürte, konnte ich mich nicht mehr haltend. Schreiend und weinend sank ich zusammen, drückte das Papier an mich, als wäre es der Leichnam meines besten Freundes, der in der Schlacht sein Leben gelassen hatte. 

Wieder einmal fühlte ich, wie es mir die Luft zum Atmen nahm. Immer schriller wurden meine Schreie, die Tränen versiegten irgendwann. Ich fühlte mich so dumm. Ich hätte es weiter versuchen sollen. Wieso sah er nicht ein, wie wichtig die Sprachen für mich waren?

Wimmernd winkelte ich die Beine an und legte meinen Kopf auf ihnen ab. Ich fühlte mich schwach, wie ein kleines Kind, was absolut nichts in der großen weiten Welt ausrichten konnte. Ich fühlte mich so dumm und dämlich. Mindestens meine Bücher hätte ich retten können. 

Aber ich hatte es nicht getan. 

✓|Addicted to my TeacherWo Geschichten leben. Entdecke jetzt