|·Acht·|

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An diesem Abend, nachdem Béatrice und ich noch lange über Gott und die Welt geredet hatten, lag ich noch lange wach. Jaques wieder auf meinem Bettvorleger, friedlich schlafend. 

Ich dachte über Béatrice' Aussage nach. 

Hatte sie womöglich Recht? War Mr. Malek so kaputt, weil er niemanden zum Reden hatte? Aber was, wenn er jemanden hatte, aber nicht reden wollte? Was wenn eher zu dem Typ Mensch gehörte, der nie über seine wahren Gedanken und Gefühle sprach? Der alles in sich hineinfraß? Das würde zumindest etwas erklären, weshalb er so selten lächelte. Wenn ich so darüber nachdachte fiel mir auf, dass ich ihn noch nie richtig hatte lächeln sehen. Jedes Mal war es nur ein Schatten gewesen, ein Zucken seiner Mundwinkel, mehr nicht. 

Ich seufzte und drehte mich auf die Seite. Was interessierte es mich überhaupt? Was mit ihm war, war seine Sache! Ich blinzelte ein paar Mal, in der Hoffnung, meinen Lehrer so aus meinen Gedanken zu verbannen - erfolglos. 

Auch am nächsten Morgen, als ich schon im Klassenzimmer auf meinem Tisch saß und die Beine baumeln ließ, gehörten meine Gedanken ihm. Ich grübelte schon wieder darüber nach, was mit ihm war - obwohl ich mir noch letzte Nacht vorgenommen hatte, nicht mehr darüber zu denken. 

"Morgen Charlie"

Luise ließ sich neben mir auf ihrem Platz nieder. Doch anstatt, wie sonst auch, sich neben mich auf den Tisch zu setzen, packte sie nun zu aller Erst ihre Sachen aus, ehe sie dies tat. 

"Was ist los?", fragte ich besorgt, drehte dabei den Kopf zu ihr. 

"Nichts, alles super!", antwortete Luise, wobei man kein Detektiv sein musste, um zu merken, dass sie log. Misstrauisch zog ich die Augenbrauen zusammen. Luise log so gut wie nie. Sie hasste es zu lügen. Sie konnte nicht einmal einem Lehrer sagen, dass sie die Hausaufgaben - die sie nicht gemacht hatte - nur zu Hause vergessen hatte. Sie konnte es einfach nicht. Und wenn sie es einmal tat, jammerte sie einem die Ohren voll, wie schlecht sie sich fühlte gelogen zu haben.

"Lu, was ist los?", fragte ich erneut, dieses Mal mit mehr Nachdruck in der Stimme. Luise seufzte.

"Mittagspause, Dach.", sagte sie nur, ehe sie sich vom Tisch erhob und zu Stacy lief, die gerade ins Zimmer gekommen war. Verwirrt sah ich ihr hinterher. Irgendwas stimmte hier ganz und gar nicht!

Ich konnte mich den ganzen Vormittag nicht wirklich konzentrieren. Mein Gehirn lief auf Hochtouren. Ich hatte mir wahrscheinlich alle möglichen Szenarien vorgestellt von dem, was Luise beschäftigte. Jedoch hatte ich so gut wie jedes wieder verworfen, weshalb ich nur noch verwirrter war, als vorher auch schon. 

So konnte ich es nicht erwarten, nach dem Klingeln zur Mittagspause aufzuspringen und nach draußen zu stürmen. Da Luise in der 5. und 6. Stunde Informatik hatte, während ich den Spanischkurs besuchte, waren wir nicht, wie sonst auch, zusammen. 

So schnell es ging schlängelte ich mich durch die immer dichter werdende Schülermasse, welche sich fröhlich quatschend durch die Gänge drückte. Ärgerlich darüber, dass die ganzen Kleinen so langsam ließen, verdrehte ich die Augen. 

Als sich mir die Möglichkeit bot, mich an einer besonders langsamen Gruppe aufgeregt durcheinander plappernder Mädchen, die allesamt nebeneinander laufen mussten, vorbei schieben zu können, ergriff ich diese. Das sich dabei die Tür eines Zimmers öffnen würde und ich niemand anderem als Mr. Malek höchstpersönlich in die Arme laufen würde, hatte ja keiner ahnen können. 

Da ich hatte sprinten wollen, war es kein Wunder, dass ich mit mächtig Speed in den jungen Lehrer rein rannte, welcher nach hinten taumelte, dabei seine Tasche verlor. Ich - zum Glück - machte vor ihm keinen theatralischen Sturz. 

"Was zum-", setzte Mr. Malek gerade an, doch da hatte ich mich schon gebückt, seine Tasche, die glücklicherweise geschlossen gewesen war, aufgehoben, ihm in die Hand gedrückt und war mit einem "Sorry, Mr. Malek!", an ihm und der Mädchengruppe, die stehen geblieben waren und das Spektakel beobachtet hatten, vorbei gerannt. 

So schnell es ging, jagte ich durch die Flure nach ganz oben. Dort passierte ich erst Mr. Maleks Bürotür - welch Ironie- ehe ich die Tür mit der Aufschrift "Betreten verboten" aufzog und das dahinter gelegene Treppenhaus betrat. Sorgfältig schloss ich die Tür wieder hinter mir, ehe ich nach oben auf das Schuldach hechtete. 

Dort sah ich bereits Luise sitzen, ihren Rucksack als eine Art Kissen nutzend, während sie nach oben in den Himmel sah. 

Vorsichtig legte ich mich neben sie, blickte ebenfalls in den wolkenverhangenen Himmel. 

Keine von uns sagte auch nur ein Wort, wir sahen einfach nur stumm nach oben.

"Ich mach mir Sorgen, Charlie...", begann sie schließlich langsam, weshalb ich meinen Kopf zu ihr drehte. Sie jedoch blickte weiterhin auf zum Himmel. 

"Lu... du bist seit den letzten drei Jahren Jahrgangsbeste... ich meine-"

"Nicht deswegen, Charlie!", unterbrach sie mich unwirsch, sah mich dabei aus dem Augenwinkel an. Verwirrt schloss ich den Mund und blinzelte ein paar Mal. Okay, dass letzte Szenario, welches ich mir ausgedacht und noch nicht verworfen hatte, war nun auch eine Sackgasse gewesen. 

"Weswegen... denn dann?", wagte ich leise zu fragen, Sorge schwang unüberhörbar in meiner Stimme mit. 

Luise begann zu lachen. 

Noch verwirrter als sowieso schon sah ich zu ihr, beobachtete, wie sie die Augen geschlossen hatte und lachte. Doch klang ihr lachen nicht fröhlich... vielmehr... traurig. 

"Ich mache mir wegen dir Sorgen, Charlotte!"

Mit einem Schlag hörte sie auf zu lachen, drehte den Kopf und sah zu mir herüber. Traurigkeit lag in ihrem Blick. Sie seufzte.

"Du sagst immer, dass alles in Ordnung mit dir ist, Charlie. Aber ich merk doch, das was nicht stimmt. Sogar Jack hat es mitbekommen. Wir machen uns wirklich Sorgen. Ist etwas vorgefallen? Hat dein Dad wieder Stress wegen deinen Mathenoten gemacht?"

Ich konnte ihrem besorgten Blick nicht standhalten, weshalb ich wieder nach oben in den Himmel sah. Luise neben mir seufzte.

"Immer schweigst du, wenn es um sowas geht."

Ich hörte, wie sie sich aufsetzte. 

"Ich zwinge dich nicht, darüber zu reden. Ich will nur, dass du weißt, das Jack und ich für dich da sind, okay? Wir sind Ohana... und Ohana heißt Familie", zitierte sie vorsichtig Stitch, meine absolute liebste Disneyfigur. Ich schluckte erneut. 

"Du kannst immer zu mir kommen, ja? Egal was ist."

Ich hörte zu, wie sie sich erhob, den Rucksack schulterte und das Dach verließ. Ich blieb allein zurück.

Nach ein paar Minuten setzte ich mich auch auf. Mir war klar gewesen, dass sich meine beiden Freunde sorgten... doch das sie es so sehr taten, das hatte ich nicht gedacht. 

Missmutig erhob ich mich nun auch und trottete wieder zurück. In meinem Kopf spielten sich nun die verschiedenen Szenarien ab, wie Jack und Luise reagieren würden, würde ich ihnen erzählen, was ich Béatrice erzählt hatte. Doch jedes Szenario endete schlimmer als das vorherige. 

Ich durfte es ihnen unter keinen Umständen sagen!

Plötzlich fühlte ich mich unfassbar müde. Nur mit meiner gesamten Kraft brachte ich es fertig, die schwere Tür wieder zu schließen. Ich seufzte und wollte mich auf den Weg zurück ins Klassenzimmer machen, als ich eine Stimme hörte, die meinen Namen rief. Und diese klang nicht gerade fröhlich. 

"Miss Evans. Ich bitte Sie dringlichst in mein Büro. Sofort."

✓|Addicted to my TeacherWo Geschichten leben. Entdecke jetzt