♥︎°Kapitel 28°♥︎

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Der Wolf mit dem rotbraunem Fell lief auf mich zu. Er befand sich direkt gegenüber von mir. Vor mir kam er zum Stehen. Ich schaute ihm tief in die Augen. Sie schienen schwarz, aber ich sah hinter diesen Augen noch andere. Keine Tieraugen, sondern die eines Menschens. Sie waren dunkelbraun.
Ich kannte diese Augen. Ich kannte sie so gut wie meine eigenen und ich wusste wem sie gehörten.

Plötzlich erschien eine neue Situation.
Neue Bilder tauchten auf.
Ich erkannte ein Mädchen mit langem, gelockten Haar.
Das Mädchen war ich selbst. Evan stand ihr gegenüber.
Sie waren eng in einer Umarmung umschlungen.
Sie küssten sich. Sie wirkten so vertraut und stark verbunden.

Wieder verschwammen die Bilder und sofort erschienen neue.

Der rotbraune Wolf war wieder zu sehen. Er lag auf einem Felsen von dem aus man den Wald überblicken konnte.
Vor ihm prasselte ein Lagerfeuer. Wieder erkannte ich das Mädchen mit dem schönen Haar. Sie lehnte mit dem Rücken an dem Bauch des Wolfes. Ihr Kopf lag auf seinem weichen Fell. Sie schien zu schlafen.

Weitere Visionen mit dem Wolf und dem Mädchen, mir, folgten. Und dann waren da manchmal wieder welche von mir und Evan.

Ich sah Bilder wie wir zusammen lachten, er mir sanft eine Haarsträhne hinters Ohr strich, wir uns gegenseitig aus Spaß neckten und wie ich den Kopf an seine Schulter legte.

Dann war da zwischendurch wieder das Bild des Wolfes.
Ich strich durch sein weiches Fell, saß auf seinem Rücken und wir jagten durch die Landschaft oder wir lagen ruhig in der Natur und genossen die Gesellschaft des anderen.

Schließlich sah ich noch eine Zeichnung.
Die Zeichnung dieses einen Wolfes. Er stand auf einer Schlucht und überblickte die Landschaft. Über ihm prangte der silberne Vollmond.
Ich wusste, dass sie von mir selbst war.

Diese Vision hatte ich schon einmal gehabt.
Damals war sie mir fremd und verwirrend vorgekommen. Aber jetzt wusste ich mit was sie zusammenhing.

Mit jeder Vision wurde mir etwas klarer. Immer mehr begann ich zu verstehen und zu begreifen, in was für einer Welt ich lebte und was ich selbst mit ihr zu tun hatte.
Auf einmal machte alles einen Sinn. Die merkwürdigen Gefühle, die ich empfunden hatte, die mysteriösen Visionen, die ich immer wieder gesehen hatte und die verwirrenden Ereignisse der letzten Tage, die ich durchlebt hatte.

Diese ganzen Puzzleteile konnte ich nun zusammensetzen. Ich fühlte mich erleichtert. Als würde eine Last, die ich nun seit mehreren Tagen mit mir herum geschleppt hatte, endlich von mir abfallen.
Ich fühlte mich frei und jeder Schmerz, der mich zuvor noch gequält hatte schien nun von mir abzufallen.

Plötzlich ging ein Ruck durch meinen Körper.
Ich zuckte zusammen und schreckte hoch.
Meine Augen öffneten sich wie von selbst und ich holte einmal tief Luft. Ich war nun wach und setzte mich aufrecht hin. Mein Atem ging schnell und in den nächsten Sekunden japste ich nach Luft. Ich brauchte eine Weile, um zu realisieren was passiert war.
Ich schaute mich erst nach ein paar Minuten um und sah zuerst in Evans und anschließend in Joshs Gesicht.
Josh wirkte leicht geschockt und auch Evan musterte mich besorgt und ängstlich.

Evan fasste vorsichtig nach meiner Hand und legte sie in seine beiden.
"Kayla. Geht's dir gut? Was ist passiert? Du hast mir Angst gemacht."
Ich legte meine andere Hand beruhigend auf seine und sah ihn an. Er wirkte überrascht, machte aber keine Anstalten meine Hand zu entfernen.
"Alles ist gut. Ich...Ich habe meine Erinnerungen zurück bekommen."

Ich hatte erwartet, dass er erleichtert ausatmen und sich freuen würde. Doch das tat er nicht. Stattdessen war seine Miene noch besorgter als zuvor.
Ich schaute ihn abwartend an, aber er sagte nichts.
Schließlich war es Josh, der die Stille zwischen Evan und mir durchbrach.

"Und wie fühlst du dich?"
Ich drehte den Kopf und warf ihm einen flüchtigen Blick zu ehe ich mich wieder Evan zuwandte.

"Gut. Evan hat den Schmerz von mir genommen.
Jetzt fühl ich mich erleichtert und frei. Ich merke nichts mehr von dem Vampirbiss an meinem Hals.
Mein Körper hat gegen das Vampirgift angekämft und gesiegt. Ich weiß jetzt, dass das Vampirgift Schuld an meinem Gedächtnisverlust ist. Nun habe ich meine Erinnerungen zurück und alles macht einen Sinn."

Joshs Augen weiteten sich. Er schien nicht richtig zu glauben, was ich gerade gesagt hatte.
Als er antwortete begann er leicht zu stammeln:
"E... Evan. Sie...Sie erinnert sich wirklich."

Evan reagierte nicht. Ich spürte, dass sein Blick immer noch auf mir ruhte und drehte mich zu ihm. Ich nahm meine Hand von seiner und legte sie stattdessen an seine Wange. Ich spürte wie meine Augen feucht wurden. Wahrscheinlich hielten mich nun alle für komplett bescheuert. Eben noch hatte ich gesagt, dass es mir gut ging und nun war ich den Tränen nah. Es stimmte es ging mir gut. Aber gleichzeitig war ich traurig.

"Wie konnte ich unsere gemeinsame Zeit nur vergessen.
Es tut mir so leid. Wieso hast du mir nichts erzählt?
Wieso habt ihr alle mir nichts erzählt?"

Ich schluchzte und schämte mich nicht dafür. Sie alle hatten mich für dumm verkauft. Niemand hatte mir etwas gesagt. Sie alle hatten mir die Wahrheit verschwiegen und mich mit meinem Schmerz allein gelassen.
Die ganze Zeit über hatte ich mich in der Nähe der Jungen und besonders in der Nähe von Evan so vertraut und zuhause gefühlt. Immer wieder aufs Neue hatte ich mir den Kopf darüber zerbrochen wieso ich so empfunden hatte. Aber nie hatte ich eine Erklärung dafür gefunden. Jetzt wusste ich sie. Nun wusste ich alles.

Evan schien sich nun einigermaßen gefasst zu haben und holte einmal Luft, bevor er zu Sprechen begann.

"Wir konnten dir nichts erzählen. Einerseits waren wir unsicher, ob du uns überhaupt glauben und deine Erinnerungen zurück erlangen würdest, wenn wir dir etwas aus deiner Vergangenheit erzählten.
Auf der anderen Seite wusste ich, dass du dich selbst erinnern musst.
Dein Körper musste gegen das Vampirgift ankämpfen und dann würdest du deine Erinnerungen wieder bekommen. Wenn ich dir aus der Vergangenheit erzählt hätte, hätte dir das nicht weitergeholfen. Du hättest nur von mir Geschichten gehört, aber könntest dich nicht erinnern.
Und ich wollte, dass du dich erinnern kannst."

Ich nickte langsam. Ich verstand ihn und ich wusste, dass er Recht hatte. Meine Hand wanderte von seiner Wange hinter seinen Kopf.
Ich sah ihm in die Augen und schenkte ihm ein kleines Lächeln.

"Danke, dass du mir geholfen und die Schmerzen auf dich genommen hast. Ohne dich hätte ich es nicht überlebt."
Evan strich mit dem Daumen eine Träne aus meinem Auge, die sich gebildet hatte.
Ich wusste nicht wieso. Es gab keinen Grund für mich zu weinen.
Vielleicht war ich einfach so glücklich und erleichtert, dass ich meine Erinnerungen zurück hatte, dass ich weinen musste. Ich wusste es nicht.

Evan lächelte. Dabei leuchteten seine dunkelbraunen Augen, was sein Lächeln strahlend wirken ließ.

"Du brauchst mir nicht danken. Ich werde dir immer helfen. Egal, ob du von einem Blutsauger bedroht wirst, Schmerzen hast oder von Verrätern wie Remus verletzt wirst. Ich bin immer für dich da und jetzt weißt du ja auch wieder warum. Dass wir die Schmerzen anderer auf uns nehmen können ist immerhin eine Sache für die wir Werwölfe gut sind."

Ich schüttelte hastig den Kopf und zog ihn näher an mich.
"Ihr seid für noch so viel mehr gut."

Der Clan der CosantoirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt