Azriel war kaum mehr richtig wach, als Ophilie sich vor ihn in die Wanne setzte und es sich samt Buch zwischen seinen Beinen gemütlich machte.
Nur kurz öffnete der Schattensänger ein Auge, ehe er die Flügel noch weiter in das warme Badewasser eintauchen ließ und die Augen wieder schloss.
Ophilie hatte Azriel selten so müde wie in den letzten beiden Tagen gesehen. Sie wusste, dass er als Meisterspion durchaus in der Lage war, weit über zwei Tage hochkonzentriert wach zu bleiben. Das hatte er im Laufe der Jahrhunderte perfektioniert.
Doch auch der beste Meisterspion hatte eine Achillesferse. Und die war in seinem Fall seine Familie - vor allem die Frauen darin.
Er hatte er erst vorgestern endlich alles über sich und Elain erzählt. All das von dem Ophilie nur in Ansätzen wusste.
Dass er sich gewünscht hätte, dass sie seine Gefährtin gewesen wäre, damit Ophilie selbst weitermachen konnte. Drei Schwestern, erschaffen aus dem Kessel für drei Brüder.
Er hatte solange das kleine Glasfläschen mit dem Kopfschmerzpulver auf seinem Nachttisch stehen lassen, um an sie zu denken. Er hatte Dinge getan, die er sonst nur tat, wenn er nachts mit Ophilie in Gedanken aufgewacht war und sich so von seinem glühend heißen Verlangen nach ihr befreien konnte. Doch selbst hier wurden aus den goldenen Locken in seinen Gedanken hellblonde glatte Haare, die im schönsten Kontrast zu ihren bunten Augen standen.
Er hatte ihr von der Nacht in der Eingangshalle erzählt. Wie er Elain beinahe geküsst hätte und wie er von Rhysand ermahnt wurde.
„Ich wüsste nicht, wie ich Elain das Herz hätte brechen sollen, wenn du zu uns gekommen wärst, wenn ich mit ihr zusammen gewesen wäre. Die Wahrheit ist manchmal unerträglich für mich - und mir einzugestehen, dass ich dich für immer lieben werde, ist etwas, was ich sehr lange gebraucht habe, um es zu verstehen. Elain ist ein herzensguter Mensch. Ich hätte ihr nie so das Herz brechen können. Dafür danke ich Rhys bis heute." hatte er zu ihr gesagt.
Und Ophilie verstand ihn. Ging es ihr doch damals ähnlich. Egal wie sehr sie versucht hatte, sich in einen anderen Mann zu verlieben, so gnadenlos war ihr Vorhaben immer gescheitert. Weil der Kessel sie beide bestimmt hatte.
Nun war jedoch alles aus dem Schattensänger heraus und er schien damit auch endlich Frieden mit sich selbst geschlossen zu haben. Auch wenn Ophilie immer noch dringend mit Elain reden wollte.
Doch mit diesem innerlichen Frieden setzte auch eine lange zurückgedrängte Müdigkeit bei Azriel ein. Sie wollte sich nicht vorstellen, wie viele Jahre er schon so gelebt hatte. Mit diesen grausamen Gewissensbissen im Nacken.
Ophilie schlug die ersten Seiten ihres Buches auf und begann zu lesen. Schnell war sie durch die ersten drei Geschichten als Azriel sich hinter ihr bewegte und die Beine noch ein Stück weiter ausfuhr. „Was liest du?" fragte er schlaftrunken und bettete den Kopf auf ihrer Schulter.
Ophilie schlug die nächste Seite auf und seufzte leicht. „Märchen und Legenden aus dem Winterhof."
Azriel brummte verständnisvoll und vergrub die Nase an ihrem Hals, um ihren Duft zu inhalieren. „Glaubst du, du findest etwas über deine Mutter raus? Ich kann dich auch zu ihr bringen, wenn du mit ihr reden willst."
Ophilie schnaufte erheitert auf. „Du bist nicht mal in der Lage, die Augen offen zu halten. Wenn du uns mithilfe deiner Schattenmagie zu meiner Mutter bringen wollen würdest, würden wir wahrscheinlich eher noch im Sommerreich landen."
„Ich Krieg das schon hin." murmelte er, bevor er ihrer Haut einen kurzen, aber liebevollen Kuss aufsetzte. Dann jedoch spürte Ophilie wie er innehielt und von ihrer Schulter aus auf das Buch starrte. „Was ist das für eine Sprache?" wollte er auf einmal wissen und klang alles andere als müde.
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A Court of Fire and Ice | Azriel Fanfiction | Watty 2022 Shortlist
FanfictionSie sollte die erste High Lady werden. Ophilie. Tochter von Beron. Doch ihre Liebe zum Schattensänger Azriel stellte sie vor die Wahl. High Lady über das Herbstreich werden oder gemeinsam mit ihrer Liebe verschwinden und den Titel der High Lady für...