Ein Schattensänger, der kochen kann

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Ophilies Magen knurrte wild auf. Es war mitten in der Nacht und die bloße Existenz von gebratenem Huhn, Erbsen und Kartoffelbrei auf ihrem Schreibtisch, das sie vollkommen unberührt hatte stehen lassen, ließen ihren Magen aufheulen.

Sie hatte schrecklichen Hunger.

Doch genau wie die Tage davor hatte sie alle gefüllten Teller mit deftigem Fleisch stehen lassen. Rind, Huhn, Schwein. In allen Arten. In jeder Konstellation mit Kartoffeln, Nudeln oder Reis.  Zu selten gab es etwas ... rein pflanzliches.

Und so schwang sie sich auch in dieser Nacht über die Kante ihres Bettes und lief auf nackten Füßen durch das schlafende Haus am Fluss.

Ophilie hatte nie verlernt, sich wie ein Schatten zu bewegen. Ganz im Gegenteil. Das letzte was sie wollte, war von einem anderen Hausbewohner entdeckt zu werden.

Sie lief inzwischen die dritte Nacht unbemerkt in Folge hinunter in die riesige Küche, in der jedoch nie wirklich gekocht wurde. Alles hing noch sauber an Ort und Stelle. Entweder waren die Köche hier wirklich sehr gründlich beim Aufräumen oder dieser Ort war nur rein formal geschaffen wurden. Doch die Speisekammer war zum Bersten gefühlt mit leckersten Essen. Ophilies Magen heulte freudig auf.

Auch heute Nacht begutachteten ihre Augen den leckeren gelben Käse. Sie packte das kleine rundverlaufende Messer, das bereits griffbereit neben dem runden Käseblock lag und schnitt sich ein Stück davon ab.

Doch bevor sie es sich in den Mund hätte stopfen können, hielt sie in ihrer Bewegung an und lauschte. Ihr Ohr war messerscharf und genau. Sie kannte wohl alle Geräusche auf dieser Welt bestens. Und seine noch besser.

Wie ein Wirbelwind drehte sie sich blitzschnell um ihre eigene Achse und warf das Käsemesser zielgerichtet hinter sich in die Dunkelheit.

Sie verfehlte ihr Ziel nie. Und auch nicht in dieser Nacht.

Ein dunkles Kichern erklang. Dann hörte sie, wie das Messer aus der Wand gezogen wurde. Stoff zerriss dabei. „Ich dachte schon, du bist auf Hungerstreik."

Ophilie verdrehte die Augen, als sie Azriels Stimme hörte. Dennoch griff sie nach ihrem Stück Käse und ließ sich das kleine Stück im Mund zergehen. Es war Jahrzehnte her, seit sie so ein leckeres Stück gegessen hatte. Mild, nussig. Rund um lecker. „Ich hätte dich umbringen können." Schmatze sie und drehte sich erneut zum Regal um. Irgendwo müsste es hier doch auch noch Möhren geben.

Mit den Käsemesser in der Hand trat er an sie heran. „Hättest du nicht. Du bist die einzige, die mich kommen hören kann. Selbst wenn ich im Schatten agiere. Und hättest du mich mit dem Käsemesser treffen wollen, hättest du es auch geschafft. Mit einem gezielten Treffer in die Luftröhre. So wie ich es dir vor Jahrhunderten beigebracht habe."

Ophilies Aufmerksamkeit widmete sich einer Reihe voller Muffins. Sie sahen frisch aus. Was hätte sie drum gegeben sie auch wider riechen zu können. "Meilenweit." murmelte sie und griff nach einem der vielen braunen Schokomuffins. Dann drehte sie sich herum - und grinste. "Dass die anderen dich nicht hören, wundert mich. Du bewegst dich wie ein Elefant im Porzellanladen."

Er deutete mit dem Messer auf sie. "Du bist darauf trainiert wurden, Schatten sich bewegen zu hören. Nicht viele können das. Die wenigstens haben die Ausdauer und die Ohren dafür. Du hingegen kannst selbst die Sonnenstrahlen tanzen hören, wenn du wollest. Eine beeindruckende Gabe. Auch wenn sie dich trotzdem nicht vor all den Narben geschützt hat. Aber mich wundert es eher, was du hier machst. Du lässt seit Tagen dein Essen ungerührt stehen. Rhys hat sich Sorgen gemacht. Und nicht nur er."

Ophilie zog neckend eine Braue an und biss zugleich in den Muffin hinein. "Habe ich mich während deiner wertvollen Reha-Sport-Einheiten irgendwann einmal ungeschickt angestellt? Oder schwach?"

A Court of Fire and Ice | Azriel Fanfiction  | Watty 2022 ShortlistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt